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Vielleicht erfährst du noch, wohin die andern gekommen sind.

Vielleicht erfährst du es noch.

56

Freundschaft

Nicht nur körperliche Zustände, auch Geisteshaltungen werden durch Hormone gesteuert. Das Hormon der Mutterliebe ist bekannt – männliche Affen, denen man es eingespritzt hat, verhätscheln Meerschweinchen wie Babys. Hört man mit den Injektionen auf, fressen sie sie.

Sicher werden auch Gefühle wie Freundschaft von irgendwelchen physikalisch-chemischen Agenzien reguliert. Sobald man den Mechanismus kennt, lassen sie sich willkürlich beeinflussen. In gewissen Fällen erspart das Gewissenskonflikte.

Seit sieben Jahren war ich mit Gerk zusammen. Er war ein Boraner von Bora II. Ein großer, hagerer Bursche, von uns Menschen nicht verschiedener als früher ein Weißer von einem Neger. Ich habe den etwas schüchternen Kerl gern gehabt, er hatte einen feinen Humor, eine nette Art, sich über alles mögliche lustig zu machen, auch über sich selbst.

Sieben Jahre binden. Sie waren nicht immer leicht. Dreimal waren wir drüben in den Quecksilbersümpfen, und einmal haben wir die Kette des Sichelgebirges überquert. Mit drei Biwaks auf den Kalihalden.

Einmal überraschte mich ein Unwetter. Ich suchte Antimonkristalle und war ziemlich weit in die Wüste hinausgegangen. Dann umzog es sich plötzlich. Ganz oben standen die Wolken aus Kaliumionen in ihrem blassen Rot. Und über den Boden kroch gelber Natriumnebel. Wind kam auf und wirbelte gelbe Dampfsäulen empor.

Die Entladungen sind etwas Schaurigschönes. Es sind nicht Blitze wie auf der Erde – es ist, als ob ein Strömen und Gleiten beginne, ein orangenes Leuchten steigt von den Natriumwirbeln empor, ein Pfeifton klingt auf, der in ein Heulen übergeht, ein nervenzermürbendes, schrilles Heulen. Einer grellen Lichterscheinung folgt etwas wie ein Donnerschlag, aber nicht mit tiefen, sondern mit höchsten Tönen.

Diesmal war es besonders arg. Eine Entladung folgte der anderen, es jaulte und krachte ohne Pause. Ich kroch unter einen Bimssteinblock und zitterte, daß ein Wirbel in meine unmittelbare Nähe kommen könnte.

Da hat mich Gerk herausgeholt. Ganz von selbst, die Ionenströme unterbrachen ja jede Funkverbindung. Er setzte sich in den Panzer und fuhr in die Maelström. Ein Wirbel schmolz ihm die Seitenwand weg. Aber er fuhr weiter. Ein Silikatsplitter durchschlug seinen Helm und verletzte ihn über dem Auge. Er fuhr weiter. Er fand mich mit seinem Ortungsgerät.

Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Es ist noch nicht ganz geklärt – die Ionen lähmen unsere Muskeln. Gerk trug mich ins Fahrzeug und kehrte zurück zum Bimssteinblock, weil ich meinen Fotoapparat liegen lassen hatte. Er wußte, daß dieser mein wertvollstes Stück war. Erst dann lenkte er den Panzer zur Station. Die letzte Strecke mußte ich ans Steuer. Ich hatte mich etwas erholt, aber er war am Ende seiner Kräfte.

Seither hat sich viel geändert. Neben der Station schoß eine kleine Stadt aus dem Boden. Menschen sind in ihr und Boraner. Auf diesem entlegenen Planeten haben wir uns immer gut vertragen. Doch seit heute ist Krieg zwischen uns. Die Stadt wird evakuiert.

Es ist klar, daß wir unsere Freundschaft aufgeben mußten. Wir gingen in die psychologische Klinik und ließen uns behandeln. Die Negatronenstrahler brachten es rasch in Ordnung. Man kann die Bänder sehr genau einstellen.

Wir saßen uns gegenüber und beobachteten uns. Äußerlich änderte sich nichts. Da drüben saß der Boraner, mit dem ich an den Quecksilbersümpfen gestanden war, den ich in den Sichelbergen am Seil geführt hatte, der mich aus den Ionenwirbeln geholt hatte. Aber irgendwo innen wandelte sich etwas. Ich konnte meine übertriebene Zuneigung plötzlich nicht mehr verstehen. Meine Erlebnisse hätte ich mit jedem anderen ebenso haben können. Zunächst spürte ich noch Sympathie, ein wenig sentimentales Gefühl, mit Erinnerungen verknüpft. Doch auch das verging. Nichts blieb. – »Fertig«, sagte der Arzt.

Wir standen auf, sahen uns kurz an. Wir wußten genausogut übereinander Bescheid wie zuvor. Aber wir waren uns fremd. Wir waren nicht aufeinander böse – wir haßten uns nicht. Wir waren uns nur gleichgültig. Er ging und ich ging. Wir wandten uns voneinander ab und schritten hinaus, jeder in eine andere Richtung. Jetzt können wir aufeinander schießen...

57

Der Patient

Ein Reporter stößt auf die Sensation des Jahrhunderts. Doch jemand wünscht anonym zu bleiben. Es gibt Mittel, Erlebtes ins Unterbewußtsein absinken zu lassen. Es gibt auch Mittel, es wieder hervorzuholen. Sonst hätte diese Geschichte nicht erzählt werden können.

Eigenartig, schon wieder zuckt das Licht. Wie soll man da lesen können. Ich könnte der Schwester läuten, mich beschweren. Ich lege das Buch aufs Nachttischchen.

Wenn mein Arm nur bald wieder in Ordnung käme! Immer diese Schmerzen. Mühsam rutschte ich etwas vor, die Haut meines Rückens ist wund. Ich lösche die Lampe... Ein wenig schlafen!

Etwas zischt. Ein Schlag, nicht besonders laut. Ein Knirschen.

Ich bin hellwach – tappe nach dem Schalter. Ist etwas zu sehen? Mein Blick tastet die Umgebung ab – den weißlackierten Schrank – die Wand mit dem langweiligen Blumenbild – das Fenster – da ist es: Zwei Sterne aus Glassprüngen sitzen hintereinander in den blanken Scheiben. Zwei winzige Löcher in der Mitte.

Ich versuche mit den Augen in das Dunkel einzudringen, das sich draußen, hinter dem Krankenhaus, erstreckt... War das ein blauer Schein? Der sanfte Blitz eines entfernten Wetterleuchtens? Ich werde mich wohl getäuscht haben.

Aber das ist Wirklichkeit: ein Licht. Zwei helle Pünktchen hüpfen, schwanken, torkeln, verschwinden, tauchen auf.

Es fällt mir nicht ein, eine Schwester zu rufen. Ich trete ans Fenster. Der Schmerz in meinem Arm steigt hinauf bis zu den Schulterblättern und bleibt dort sitzen. Nebensächlich. Dort unten irren Menschen durch den Wald. Irgend etwas ist geschehen. Ich starre in die Finsternis.

Wie viele Minuten stehe ich nun hier? Daß meine Beine so schwach sind! Werde ich noch zum Bett kommen...?

Ich muß geschlafen haben. Ein Geräusch hat mich geweckt. Schritte auf dem Korridor. Geflüster. Eine Tür geht. Jemand ächzt. Die aufregenden Geräusche heimlicher Geschäftigkeit. Wieder raffe ich mich auf. Wozu bin ich Reporter?

Durchs Schlüsselloch ist nicht viel zu sehen. Ein wenig aber doch: Die Nachtschwester läuft hin und her, der Oberarzt verschwindet im Zimmer gegenüber. Heute abend noch war es leer.

So spät ein neuer Patient? Das muß ein Unfall sein. Der Sprung in meinem Fenster – der blaue Schein – ein Flugzeugabsturz?

Ich warte. Ich hocke am Boden und lehne mich an die Tür, um nicht zu ermüden. Allmählich beruhigt sich das Treiben. Die Nachtschwester streicht noch draußen herum. Dann Stille. Ich warte noch ein wenig...

Die Tür ist gut geölt. Der Gang riecht nach Karbol. Meine Finger ertasten Metall, die Klinke. Der Raum gegenüber ist verschlossen. Ich ziehe den Schlüssel meines eigenen Zimmers ab, vielleicht paßt er...

Er paßt. Unangenehm laut das Geräusch... Langsam drücke ich die Tür auf... Der Raum ist dunkel... Schnaufende Atemzüge... Was tun? Ich wage es. Die Neonröhre flackert auf. Schmerzend grell ist das Licht.

Etwas liegt im Bett. Dicke Decken, ein Schädel hinter weißen Verbänden. Aber das Gesicht ist frei! Zwei pulsierende Nasenlöcher, kein Mund: ein Saugnapf! Zwei Augen, gelb, dreieckig. Zwei offene Augen, die mich anstarren. Augen, als wenn sie mich verschlingen wollten!

Oh, warum starren sie so? Der Boden dreht sich unter meinen Füßen. Meine Gedanken kreisen durcheinander. Was soll ich hier? Warum bin ich hierhergekommen? Ich kann meinen Blick nicht von den Augen lösen. Helligkeit geht von ihnen aus... Und doch sind sie dunkel, Abgründe...