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Dieser Planet hat die richtige Temperatur und genügend Sauerstoff. Ich habe ihn gefunden, er wird meinen Namen tragen. Wir werden ihn besiedeln, kolonisieren, Wälder roden, Städte bauen. Aber noch immer tönt es: »Es ist ein Mörder.«

»Es hat den Frieden gebrochen.«

Noch immer windet sich die Pflanze am Boden. Ich beginne zu begreifen.

Ich kann nichts dafür, daß ich ein Mensch bin. Aber manchmal schäme ich mich.

63

Flieg, Käfer, flieg!

Das Mittelalter kennt das Zauberwort, das magische Zeichen, den Drudenfuß: Symbole, die bannen – nicht durch direkte Wirkung, sondern über die Geisterwelt, in der nicht körperliche, sondern geistige Kraft herrscht, wenn sie nur erkannt wird. Es kommt nicht darauf an, ob das Zeichen geschrieben, gesprochen oder nur gedacht wird. Auf die Konstellation kommt es an.

Die moderne Geometrie hält Pararäume für möglich, in denen unser gewöhnlicher Raum neben vielen anderen eingebettet liegt. Die Frage ist nur, welches Mittel gibt es, um aus unserem vierdimensionalem Raum-Zeit-Kontinuum hinauszukommen.

Es geschah in der Zeit, in der unser alter Raum zu zerbröckeln begann. War es eine Atombombe oder ein elementares Ereignis? Niemand wußte es. Irgendwo begann es. Der Raum zerbröckelte. Abschnitt um Abschnitt zerfiel, löste sich auf, und mit ihm alles, was drinnen war. Das Fortbestehen der Menschheit hing an drei Namenlosen: einem Narren, einem Kind, einer Greisin.

Sie führten den alten Mann in die Zelle.

Der Kranke kauerte am Boden und kratzte mit den Fingernägeln in die Wand: Punkte, die er mit Strichen verband, neue Punkte, neue Striche, unentwegt. Als sich die Tür öffnete, machte er – ohne aufzusehen – eine unwillige Gebärde der Abwehr. Zwischen den Fingerkuppen und den Nägeln sickerte Blut hervor.

»... er immer in diesem Zustand?« fragte der Alte, weißhaarig, gebückt, auf einen Stock gestützt.

»Erst hat er Papier beschmiert«, berichtete der Wärter, »... haben es ihm weggenommen. Dann kamen die Wände dran. Das kostete ihm den Bleistift. Jetzt malt er mit den Fingern. Sollen wir ihn in eine Zwangsjacke stecken?« Der Wärter zuckte die Schultern. »Sonst ist er harmlos.« Er entfernte sich und ließ den Besucher mit dem Kranken allein.

Als er nach einer halben Stunde wiederkam, war der alte Mann verschwunden. Sein Stock lag am Boden. Der Kranke zeichnete nicht mehr. Ein zufriedener Ausdruck lag auf seinem Gesicht, als man ihn in die Abteilung für gemeingefährliche Patienten führte. Man wußte nichts. Aber man hatte einen vagen Verdacht.

Der Kranke zeichnete nie wieder. »... sitzen neben uns, Mutti«, sagte der Junge. »Siehst du sie denn nicht?«

Die Mutter schüttelte den Kopf. Sie strich dem Kind übers Haar. »Mach die Augen zu und schlafe! Niemand ist da.«

»... hat er nur seit zwei Tagen?« fragte das Dienstmädchen, das mit der Milchflasche hinter ihr stand. »... Arzt hat nichts festgestellt«, antwortete die Mutter.

»... braucht keine Angst zu haben«, flüsterte der Junge. »... tun uns nichts. Sie sind lieb. Sie wollen mir etwas sagen. Wenn ich es nur verstehen könnte!«

»... sagen sie denn?«

»... soll in ein anderes Zimmer kommen. Es sind viele Zimmer da. Sie haben keine Wände... Jetzt sprechen sie wieder. Pst – seid still!« Er schloß die Augen. Ganz still lag er da.

»Er schläft«, meinte das Mädchen. »Lassen wir ihn schlafen!« Mit der Mutter entfernte es sich aus dem Zimmer.

Als beide vor dem Schlafengehen noch einmal nach dem Kind sahen, war es verschwunden. Eine Mulde im Bett zeigte, wo es gelegen war. Die Decke lag sauber darüber gebreitet. Das Kind war nicht mehr da. Sie fanden es nie wieder. Es blieb ihnen auch nur wenig Zeit, danach zu suchen.

Das Dorf kauerte hoch am Berg, die Häuser steckten tief in der Erde. Jahrhunderte waren spurlos darüber hinweggezogen.

Im Dämmerlicht eines Holzbaues stand eine uralte Wiege. Ein verrunzeltes Weib hatte seine klammen Finger auf die geschnitzte Randleiste gelegt und schaukelte das hölzerne Bettchen leicht hin und her. Das rosige, in Polster verhüllte Wesen darin stieß ein dünnes Geplärre aus.

Zittrig hob die Alte das Mädchen aus der Wiege und bettete es auf ihren Schoß. Wieder schaukelte sie es hin und her, und im Takt dazu sang sie mit brüchiger Stimme ein fast vergessenes Kinderlied: »Flieg, Käfer, flieg...«

Sie sang es ein wenig anders, als es sonst üblich war. Ihre hellen Augen blickten in eine Ferne, die viel weiter zurücklag als die graue Bergreihe am Horizont.

Als die Mutter am Abend von der Arbeit in der Fabrik zurückkam, wiegte die Alte noch immer ihren Oberkörper. Aber sie sang nicht mehr. Sie hatte auch kein Kind mehr auf dem Schoß. Das Mädchen war fort, und niemand im Dorf sah es wieder.

In einem weiten, einsamen, grünen Tal stand ein alter Mann, der ein kleines Mädchen im Arm hielt. In seiner Hand lag die eines fünfjährigen Jungen. Eine flimmernde rote Sonne blickte auf sie nieder.

Ich verstehe es nicht, dachte er. Ich verstehe es nicht. Aber es wird seinen Sinn haben. Es hat alles seinen Sinn.

64

Traum

Unsere Welt ist nicht klar, nicht rein, nicht gut. Muß das so sein? Irgend etwas schwebt uns vor – etwas friedliches, schuldloses. Aber es liegt ungreifbar fern. Das Böse ist integrierender Faktor im logischen System unserer Welt, in unserem Leben, das uns oft wie ein chaotischer Traum vorkommt.

Vorbemerkung: Natürlich ist es schwer, Bilder zu finden, die das einigermaßen verständlich machen, was ich ausdrücken will. Die meisten Versuche führen zu Entstellungen, oft sogar zu Blasphemien. Ich glaube aber, man muß den Versuch wagen. Die es angeht, sollen wissen, wie es zu allem gekommen ist. Die die Frage gestellt haben, sollen die Antwort erfahren.

»... glaube, dieser Plan könnte der richtige sein«, meinte Odt. »Alles ist berücksichtigt, was wir uns wünschten.«

»Es sieht so aus«, antwortete Per, »aber bedenke, wie groß die Verantwortung ist. Daß wir keinen Einfluß mehr haben, wenn die Keime gelegt sind.«

»... schon«, gab Odt zurück, »doch arbeiten wir doch schon lange genug daran. Wir haben die Grundsubstanz, die einfachen Gesetzen gehorcht und die doch so wandlungsfähig ist, um alles weitere aufzubauen – sogar die freien Aggregate. Der Übergang zu ihnen erfolgt zwanglos und führt doch zu verhältnismäßig hoch organisierten Systemen. Und das alles in drei Dimensionen!«

»Warten wir noch bis morgen!« bat Per. »... will es mir noch einmal durch den Kopf gehen lassen.«

»Aber gern«, stimmte Odt zu. »Also bis morgen!«

Per schloß sich von der Umgebung ab. Er brauchte Konzentration, um die Entwicklung von Anfang bis Ende verfolgen zu können. Allmählich formten sich die Bilder... Im endlosen Gleichmaß bildeten sich Wirbel. Energie und Masse trennten sich, ballten sich zusammen, strömten. Feurige Kugeln teilten sich, ordneten sich zu Gruppen. Stoffe entstanden und wirkten aufeinander ein. Licht strahlte, Gase verbanden sich mit Wasser. Etwas regte sich, es wuchs, es entzog der Umgebung ungefügte Materie und ordnete sie. Amorphe Massen differenzierten sich, gewannen Gestalt, wurden größer, eins nährte sich vom andern. Immer mehr paßten sie sich ihrer Umgebung an, und immer wieder fraßen sie einander. Gefühle erwachten – und das erste Gefühl war Furcht. Gedanken begannen sich zu regen – und der erste Gedanke war Töten. Sie begannen Werkzeuge zu formen – das erste Werkzeug diente dem Mord. Die Großen brachten die Kleinen um, und die Kleinen stürzten sich zu Tausenden auf Große. Die Werkzeuge wurden Waffen, und die Waffen wurden immer zerstörender. Sie wandten sie nicht mehr an, um sich zu verteidigen – die sie töteten, waren keine Feinde. Feuerbälle stiegen zum Himmel, zuerst vereinzelt, klein, dann häufiger und riesengroß. Radioaktive Schwaden breiteten sich aus. Irgendwo begann ein Brand, weiß und erbarmungslos, die Materie verlor den Zusammenhalt, riesige Energien wurden frei, Fackeln schossen durch den Raum und trugen den zündenden Funken hinaus in fernste Fernen, ein Inferno begann, alles wirbelte, stürzte ineinander, versank...