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Flüchtig neigte er den Kopf zum Gruß und drehte sich um.

»Halt!« rief eine Stimme hinter ihm. »... beweist uns, daß Sie überhaupt imstande sind, Ihre Drohung auszuführen!«

Erregte Stimmen klangen auf. »Bluff!« erscholl es. »Nehmt ihn fest!«

Kai verhielt seinen Schritt und wandte sich wieder der Menschengruppe zu, die sich plötzlich einig gegen den war, der ihre sinnwidrigen Kriegspläne durchkreuzen wollte.

»... für einen Beweis verlangen Sie?« fragte Kai.

»Vernichten Sie einen der Hügel dort!« forderte einer der Offiziere.

»... die Siedlungen, die dort liegen?« fragte Kai. »... Herden an den Hängen? Die Menschen, denen diese Hügel Heimat sind?« Sein Blick wanderte von den Uniformierten in die Umgebung, über die Hubschrauber, die seltsam plump hinter dem Verhandlungsplatz standen, über die Sandtäler und Dünen, über die Berge in der dämmrigen Ferne. Schließlich fing er sich an der vollen Kugel des Mondes.

Sie sollen ihren Beweis haben, dachte er. Einen Augenblick zögerte er noch. Dann zog er ein graues Kästchen aus der Innentasche seiner Jacke und klappte einen Deckel hoch. Einige Griffe... ein metallisches Schnappen... ein fahler Schein fiel über die bewegungslos Harrenden. Er kam vom Mond, der plötzlich den doppelten Durchmesser zu haben schien. Eine leise Erschütterung lief über den Boden. In diesem Moment wirbelte Sand auf, wie von unsichtbaren Händen emporgeschleudert, ein dumpfes Dröhnen lag in der Luft. Dann war es wieder still. Nur das leise Klingen der abertausend Sandkörner war zu hören, die allmählich wieder zu Boden sanken.

Endlich war die Luft wieder rein, die Sicht wieder frei. Alles war wie früher. Nur – der Mond war vom Himmel verschwunden.

8

Kalziumaktivierung

Wissen ist Macht. Macht bringt Verantwortung. Nicht jeder ist ihr gewachsen.

In den Atomkernen schlummern ungeheure Kräfte. Nicht alle sind gezähmt. Bei vielen bedarf es nur eines kleinen Anstoßes, um sie frei zu machen, um eine Kettenreaktion auszulösen, bei der ein Atom zerplatzt, andere zum Zerplatzen bringt und so weiter – bis die riesigen Energien erschöpft sind. Jeder Mensch trägt solche Energien mit sich herum.

Im ersten Jahr nach der Entscheidung der Sicherheitskommission hatte er gearbeitet. Das gesamte unterirdische Labor stand zu seiner Verfügung. Die Reaktoren und Energiewandler, der Selektor und das Glyonenmikroskop. Er arbeitete wie nie zuvor. Ihn erfüllte eine Leidenschaft, wie sie die sagenhaften Heiligen der Christen gekannt haben mochten, die dem weltlichen Leben entsagt hatten. Er wurde zum Asketen seines Wissens und kannte nicht Rast und Ruhe, um alle Möglichkeiten auszunützen, die ihm durch seine Lage geboten waren.

Im zweiten Jahr ließ seine Leistung nach. Er ertappte sich immer häufiger bei abschweifenden Gedanken, die mit seinen Zielen nicht in Einklang standen. Dann stand er auf und wanderte durch die dämmrigen Gänge, über die flachen endlosen Treppen, mit gesenktem Kopf, ruhelos.

Das dritte Jahr brachte den Zusammenbruch. Er tobte drei Tage lang, dann blieb er auf seinem Lager liegen und mußte durch Energon-Tabletten ernährt werden. Man hielt seine Kammer verschlossen, und nur von Zeit zu Zeit sah der Institutsarzt nach ihm.

Aber seine Lebensgeister waren noch nicht erloschen. In ihm gloste die Gier nach dem Leben wie ein unterirdisches Feuer. Während sein Körper untätig blieb, arbeitete sein Gehirn. In ihm erwachte ein Haß. Ein Haß auf seine Kollegen, die zugleich seine Wächter und Unterdrücker waren, die ihn hier festhielten wie einen tollen Hund, um ihr eigenes armseliges Leben zu schützen. Haß auf die gesamte Menschheit, die Luft und Sonne genießen durfte, das Licht und den Wechsel von Tag und Nacht.

In den langen einsamen Stunden plante er die Flucht aus seinem Gefängnis. Die anderen Menschen kümmerten ihn nicht. Einmal noch wollte er den unendlichen Himmel über sich sehen. Es war ihm gleich, was dann mit ihm und den anderen geschah. Auf solche Art hat sich noch kein Mensch an der Welt gerächt! An einer Welt von Menschen, zu denen er nicht mehr gehörte. Die paar aus dem Gleichgewicht gebrachten Atome in seinen Knochen waren der einzige Unterschied zwischen ihnen und ihm, aber zugleich die Schranke, die nicht zu überwinden war. Der erste ein Kalziumatom seines Körpers treffende Mesonenschauer aus der Höhenstrahlung wirft die Protonen und Neutronen aus ihrem labilen Gleichgewicht. Die Austauschenergien der Kernkräfte werden frei, der Prozeß greift auf benachbarte Atome über, und die kalziumreichen Knochen werden zum Herd einer Explosion von der Gewalt einer Wasserstoffbombe.

Als der Arzt wieder an sein Bett trat, stieß er ihn mit einem Fußtritt zurück, schnellte mit langen Sprüngen zur Tür hinaus, drückte den Verschluß zu. Die Sprechanlage war zerstört, die Transistoren des Fernsehers zerschlagen. Die schalldichten Wände ließen keinen Laut hindurch.

Eilig, doch mit beherrschten Bewegungen ging er durch die Flucht der Laboratorien. Er wußte, welche Räume zur Zeit leer standen. In seiner Hand hielt er die Lochmarke, die ihm den Zugang zur Oberwelt erschließen würde. Seit dem unglücklichen Tag vor drei Jahren, seitdem er das unterirdische System nicht mehr verlassen durfte, hielt er sie verborgen.

Er gelangte in den Archivraum. Hier lagen die Protokollbücher des Wachdienstes auf einem Wandbrett. Er löste einen Band aus der Reihe der anderen und blätterte darin. Mit Rotstift angestrichen stand hier die Notiz über sein Mißgeschick:

›Bei Versuch Nr. 376/62 C – Aktivierung von Kalziumatomen – geriet der technische Assistent Peter Woroscheff in das hochfrequente Mesonenfeld des Aktivators. Der sofort vorgenommene Resonanztest ergab eine weitgehende Meta-Stabilisierung des in den Knochen enthaltenen Kalziums. Da die Auslösung einer Kettenreaktion nicht völlig auszuschließen ist, darf der Betroffene auf Beschluß des Sicherheitsausschusses den Höhenstrahlung-geschützten Bereich der Laboratorien nicht mehr verlassen...‹

Ein verächtliches Lächeln glitt über sein Gesicht. Achtlos warf er das Buch beiseite und stieg die Treppe hinauf.

Im dritten unteren Stockwerk versperrte das Magnettor den Weg. Er drückte die Marke in die Kontrollritze. Einige bange Sekunden verliefen... Dann schoben sich die Leichtstahlplatten lautlos auseinander. Ein frischer Luftzug schlug ihm entgegen. Von oben her schimmerte schwaches Licht.

Die letzten Stufen – die letzten Augenblicke vor einer Katastrophe? Eine kurze Gangstrecke, noch bleiüberdeckt. Eine Tür ins Freie.

Er stockte einen Moment. Seine Hand berührte die Klinke. In den Knien spürte er ein aufkommendes Zittern. Die letzten drei Jahre liefen in seinen Gedanken ab wie ein Film. Niemand hatte mit ihm eine Regung von Mitleid gezeigt. Nun kannte auch er kein Mitleid mehr. Er stieß den Flügel auf und taumelte hinaus.

Kalter bläulicher Sonnenschein des ausklingenden Winters lag auf den Schwaden von künstlichem Nebel und verlieh ihnen den matten Glanz von Glaswolle.

Vom nahen Basaltsteinbruch her kam das Rollen einer Sprengung. Sonst geschah nichts.

Peter Woroscheff lehnte an der Mauer und hielt die Hände vors Gesicht gepreßt. Der Wind verflocht sein Haar zu wirren Strähnen. Er atmete aus vollen Zügen.

Im Tal tönten Glocken. Ihm war, als hörte er sie zum ersten Male.

9

Fahrt ins Ungewisse

Der Weltraum stellt den Menschen vor gigantische Aufgaben. Er setzt ihn aber auch gigantischen Belastungen aus. Fern aller Zivilisation, in der Leere des Raumes, wird sich seine Menschlichkeit unter Beweis stellen.