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»Das ist meine holde Gattin«, stöhnte Gert mit einer Stimme, als wäre er zum Tode verurteilt. »Machen wir uns auf was gefasst!« Ihn schien diese Neuigkeit viel stärker zu beeindrucken als meine fantastischen Fähigkeiten. »Ich habe ihr hoch und heilig versprochen, den Boden zu wischen… O Licht, steh mir bei! Das habe ich völlig vergessen!«

Ich stellte mir vor, wie dieser alte Herr die Ärmel hochkrempelte und mit dem Wischlappen über den Boden kroch, und musste unwillkürlich kichern. Len fing ebenfalls an zu lachen, aber ich glaube mehr aus Solidarität. Nur der Kater machte eine bekümmerte Miene. »Kannst du auch durch diese Wände sehen, Danka? Die sind immerhin aus Stein!«

»Durch Steinwände kann ich nicht sehen«, informierte ich ihn. »Aber durch Fensterläden aus Holz und durch Vorhänge ganz problemlos!«

»Und wie fühlst du dich?«

»Wie neugeboren!«, rief ich und hüpfte zum Beweis herum. Genau in dem Moment betrat die ältere Dame das Haus.

Zunächst schüttelte sie bloß den Kopf. Dann runzelte sie die Stirn, sah mich an und versuchte, sich einen Reim auf mein Verhalten zu machen.

»Ich habe es noch nicht geschafft, aufzuräumen, Keja, die Ereignisse haben sich überschlagen«, ratterte Gert los. Das war schon komisch – ein erwachsener, ja, sogar schon ein alter Mann, der sich wie ein kleiner Junge rechtfertigte!

»Ich habe gehört, dass du dich um den Jungen kümmerst, der geblendet worden ist, Gert«, brachte die Dame zögernd hervor. »Aber das… das gibt’s doch nicht… kannst du etwa sehen?«

»Ja«, gab ich zu.

»Gert!« Keja strahlte und fuchtelte wild mit den Händen. »Hat Shoky also doch einen Ausweg gefunden?«

Keiner sagte ein Wort.

»Ich wusste doch, dass unser Enkel zu so etwas nicht imstande ist«, meinte Keja erleichtert. »Und ich törichte alte Frau habe an ihm gezweifelt!«

»Dieser Sicht der Dinge sollten wir uns anschließen«, sagt der Kater nachdenklich. »Schlecht ist die Version ja wahrlich nicht.«

»Du kannst sprechen?«, fragte die Dame erstaunt.

»Mit einer so herzensguten Frau würde selbst ein kleines graues Mäuslein sprechen«, antwortete der Kater galant.

Dieses Katzenkompliment schien Keja ihre Fassung wiederzugeben. Sie schüttelte den Kopf, trat an den Kater heran und beäugte erst ihn, dann Len misstrauisch.

»Er ist kein Bauchredner«, erklärte der Kater.

»Bestimmt nicht«, beteuerte Len.

»Nun gut.« Die Dame hatte jetzt wieder voll die Kontrolle über sich. »Du bist der Junior im Team, stimmt’s? Folglich kannst du Kartoffeln schälen. Komm mit!«

Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte Len am Ärmel hinter sich hergezogen.

»So nennt sie das immer: Kartoffeln schälen«, teilte Gert uns mit, während er es sich in einem weichen Sessel am Kamin gemütlich machte. »Vermutlich muss er Kuchenteig kneten… Wenn mit dir alles in Ordnung ist, Danka, könntest du mir dann meine Pfeife und den Tabaksbeutel geben? Liegt alles auf dem Tisch.«

»Das sehe ich doch«, erklärte ich glücklich.

Während Gert seine Pfeife stopfte, behielt er den Kater und mich im Auge. Der Sonnenkater lag vor ihm auf dem Boden. Ohne lang zu überlegen, hockte ich mich neben ihn.

»Was wollt ihr wissen?«, fragte Gert.

»Wie es dazu kam, dass ihr die Sonne verloren habt«, sagte der Kater entschieden. »Erzählst du uns das?«

»Das ist mit einem Wort gesagt«, antwortete Gert und seine Miene verfinsterte sich. »Wir haben sie verkauft.«

»Wie bitte?«, schrie ich auf.

»Wir haben sie verkauft«, wiederholte Gert. »Jeder ein Stückchen und alle zusammen. Als die Händler das erste Mal zu uns gekommen sind, brachten sie eine Unmenge erstaunlicher Dinge mit…« Gert seufzte. »Wir hatten jedoch nur wenig, was sie gebrauchen können. Weizen, Obst und Schwerter – all das hat sie nicht interessiert. Wir haben ein einfaches Leben geführt, aber wir wollten so gern ein schönes Leben haben. Ich war damals in deinem Alter, Danka. Noch heute erinnere ich mich, wie sehnsüchtig meine Mutter den Schmuck und die Stoffe betrachtete, die nie zuvor jemand von uns gesehen hatte. Mein Vater hatte sich in ein Schwert verliebt, das durch Stein und Eisen wie durch Butter ging. Er war Soldat.«

Gert zündete die Pfeife an und stieß eine Rauchwolke aus.

»Eines Tages kam meine Mutter von den Händlern mit allem zurück, was ihr Herz begehrte«, fuhr er dann fort. »Sie hatte jenen Teil der Sonne verkauft, der für sie schien. Danach lief sie immer im Halbdunkel, herum, denn das Dämmerlicht hüllte sie ein. Aber das störte sie überhaupt nicht. Selbst mich schreckte das damals nicht. Am Himmel war ja lediglich eine kleine graue Wolke aufgezogen – aber sie sollte meine Mutter für immer von der Sonne trennen. Dann bildeten sich immer mehr Wolken. Dafür brannten in unseren Häusern helle Lampen, im Bad gab es warmes Wasser, wir besaßen gute Waffen, unser Essen war abwechslungsreich und schmackhaft wie nie zuvor. Jemand verlangte von den Händlern, dass sie ihn sein Leben lang mit Essen versorgten, und das machten sie dann auch anstandslos. Alles war so einfach: Wir brauchten bloß ein wenig Licht zu verkaufen, danach konnten wir ein sattes und geruhsames Leben führen. Wie graue Schatten streiften die Menschen durch die Straßen, die letzten Lichtflecke huschten an ihnen vorbei und versuchten, der Finsternis zu entkommen. Denn nicht alle hatten sich durch gutes Essen und schöne Kleidung verführen lassen. Doch irgendwann fand sich selbst für die Störrischsten unter uns eine Ware. Dann verkauften auch sie ihr Licht. Für gute Bücher, von deren Lektüre sie immer geträumt hatten, für schöne Worte, die sie nun sagen konnten, für neue Lieder, die zu hören Freude bereitete.

Viele verkauften auch das Licht ihrer kleinen Kinder. Die konnten ja nicht dagegen protestieren. Den Himmel überzog inzwischen ein grauer Nebel, der sich immer seltener auflöste. An den dunkelsten Stellen entstanden die Türme, in denen die Freiflieger wohnen. Sie griffen uns an und entführten Menschen, die dann ebenfalls zu Freifliegern wurden. Daraufhin erbaten wir von den Händlern das Geheimnis der Flügel, doch wir hatten kein Licht mehr, mit dem wir sie hätten bezahlen können. Dabei mussten wir uns doch wehren! Sie boten an, unsere stärksten Männer als Bezahlung zu akzeptieren. Uns blieb keine andere Wahl. Die Flügel, die unsere Frauen dann herstellten, trugen jedoch nur Kinder, für Erwachsene waren sie zu schwach. Das war das Ende der Geschichte. Als irgendwann alle ihr Licht verkauft hatten, hing nur noch dichte Düsternis über uns. Die Jugendlichen wurden in Junioren und Senioren aufgeteilt und schützen seitdem die Stadt vor den Freifliegern. Die Erwachsenen heuern bei den Händlern an, um ihre Familien zu ernähren. Nur wenige…« Gert lächelte traurig. »… werden in unseren Städten alt. Aber das ist das Leben, an das wir uns gewöhnt haben.«

»Ihr habt also das Licht verkauft und eure Sonne hat aufgehört zu scheinen«, sagte der Kater voller Hohn. »Die Sonne scheint für alle Menschen – aber natürlich nicht, wenn sie die Finsternis wählen…« Fauchend machte er sich daran, sich zu putzen. Das machte er offenbar immer, wenn er wütend war.

»Gibt es für sie denn gar keine Hoffnung mehr, Sonnenkater?«, fragte ich im Flüsterton. »Kommt das Licht nie mehr zurück? Wenn sie sich bessern, versprechen…«

»Das haben wir bereits versucht«, sagte Gert und seufzte. »Wir haben die Sonne um Verzeihung gebeten, wir haben die Freiflieger getötet, wir haben Lagerfeuer entzündet, um die Düsterkeit zu vertreiben… Die Händler haben wir gebeten, uns unser Licht zurückzuverkaufen. Sie haben jedoch geantwortet, das Licht sei bereits weiterverkauft und der Käufer habe nicht die Absicht, es zurückzuverkaufen.«

»Und dieser Käufer, das ist der Herr der Finsternis?«, schlussfolgerte der Kater.

»Das nehmen wir zumindest an«, sagte Gert.