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Shoky sprang auf und stürzte zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um. »Du selbst hast diese Strafe dem Tod vorgezogen!«, fauchte er. »Also spare dir deine gemeinen Vorwürfe, Danka! Schließlich habe ich dir geholfen! Wegen mir bist du überhaupt noch am Leben!«

Die Tür knallte zu. Ich schlug die Augen auf und schaute Len verlegen an.

»Das hast du ganz richtig gemacht, Danka«, sagte Len. »Er hat’s nicht anders verdient, dieser Hüter der Ordnung!«

Ich widersprach ihm nicht. Aber ich machte mir auch nichts vor: Fair war das nicht gewesen. Shoky hatte wirklich keine andere Möglichkeit gehabt.

»Lass uns zum Turm hochgehen, Len.«

Er folgte mir die Treppe hinauf und steckte mir oben das schwarze Stoffband zu. Mit einem schiefen Lächeln legte ich es an. Als ob das für mich einen Unterschied machte! Ich würde bis zum Horizont alles klar erkennen. Selbst der graue Nebel störte mich immer weniger.

Denn in meinen Augen funkelte das Wahre Licht.

»Fliegen wir!«, sagte ich und stieg in den tief hängenden Himmel auf. Der Wind peitschte uns wie mit scharfen, durchsichtigen Gerten, ich passte genau zwei Böen ab und schlüpfte zwischen sie, damit meine Flügel es leichter hatten.

Len versuchte, es mir nachzumachen. Seine Flügel hackten wie Stöcke auf die Luft ein, denn die Strömung so ausnutzen wie ich, das konnte er nicht. Mein Wahrer Blick war schon klasse!

»Ich habe Flügel!«, schrie ich über der schweigenden Stadt. »Ich habe Flügel!«

Nur mit Mühe schloss Len zu mir auf. Jetzt wurde mir bewusst, wie viel Kraft meinen Junior jeder Flügelschlag kostete, und auch den Schweiß auf seiner Stirn sah ich.

»Du kommst wohl nicht so schnell nach?«, fragte ich. »Wollen wir ein Wettfliegen veranstalten? Ich gebe dir einen Vorsprung!«

Len legte die Flügel an und drehte nach Norden ab, zu dem Gebirgspass, aus dem die Karawane der Händler kommen würde. Lachend folgte ich ihm.

Am Pass holte ich Len ein, tauchte unter ihn und schnappte nach seinen Händen. Ich wollte, dass er lernte, wie man sich von der Strömung tragen ließ. Stattdessen sackte Len jedoch nach unten ab und schaute mich erschrocken an.

»Jetzt kann ich wirklich fliegen, Len!«, rief ich, als wollte ich mich rechtfertigen. »Jetzt brauchen wir vor niemandem mehr Angst zu haben!«

»Ich habe Angst vor dir«, gestand Len leise.

Schweigend umarmte ich ihn, lenkte uns nach unten und bremste unmittelbar über dem Boden ab. Ich stellte meinen Junior auf seine Füße und er legte seine Flügel an. Er stand da wie ein Soldat nach dem Befehl »Stillgestanden!« und starrte mich an, ohne nur einmal zu blinzeln.

»Tut mir leid«, entschuldigte ich mich. »Aber wenn du… wenn du plötzlich wie ein Vogel fliegen kannst… dann machst du automatisch ein paar Dummheiten.«

»Ich weiß«, sagte Len ernst. »Gute Flügelträger wechseln manchmal von sich aus zu den Freifliegern über. Sie wollen das Fliegen nicht aufgeben, wenn sie erwachsen werden.«

»Ist Kurt freiwillig gegangen?«, fragte ich.

»Ihm blieb nur noch ein halbes Jahr, vielleicht ein ganzes«, antwortete Len mit einem Nicken. »Er hat mir befohlen, ihm zu folgen, und wir sind auf einem Turm der Freiflieger gelandet. Dann hat Kurt mich gepackt und mir gesagt, wir würden jetzt Freiflieger werden. Das würde gar nichts weiter ändern, nur hätten wir dann halt für immer Flügel und würden die Finsternis nicht mehr fürchten. Er hat immer geglaubt, er wüsste besser als ich, was für mich richtig ist…«

»Len…«

»Aber ich will gar nicht aufhören, Angst vor der Finsternis zu haben! Ich hasse sie!«

Len fing an zu weinen. Ich begriff immer noch nicht, worum es eigentlich ging.

»Und jetzt fängst du auch noch damit an!«, stieß er hervor. »Du willst entscheiden, was für mich am besten ist! Du bist genau wie alle anderen!«

»Entschuldigung…« Mehr brachte ich nicht heraus. »Len, du bist der beste Flieger hier. Gerade deshalb war ich ja ganz aus dem Häuschen, dass ich dich in der Luft einfangen konnte.«

Lens Tränen trockneten sofort und er lächelte mich zaghaft an.

»Sei nicht mehr sauer, Partner«, bat ich.

Ich wusste nicht, warum ich es tat, aber plötzlich schaute ich ihn mit dem Wahren Blick an. Lens Gesicht zitterte, zerfloss und veränderte sich. Nun stand er so vor mir, wie er wirklich war. In dem Moment schämte ich mich ein bisschen für meine Fähigkeit. Eines wusste ich jedoch ganz genau: Niemals würde ich jemandem erzählen, was ich gesehen hatte. Um keinen Preis der Welt.

Dann sprach ich die Worte aus, die jetzt genau die richtigen waren: »Du kannst mir ruhig eine verpassen, Len, weil ich dich erschreckt habe. Aber lass uns trotzdem um die Wette fliegen.«

»Du gewinnst doch sowieso«, meinte Len traurig.

»Da wäre ich mir nicht so sicher«, sagte ich aufmunternd.

»Abgemacht«, antwortete Len, plötzlich hellauf begeistert. »Ja, jetzt zeig mal, was du kannst! Eben bin ich nämlich nicht mit voller Kraft geflogen!«

Wir standen in der Mitte der engen Schlucht, durch die auch die Händler mussten. Gerade als wir aufsteigen wollten, packte Len mich am Arm. »Pst!«

Als ich genauer hinhörte, machte ich ein leises Klackern und Scheppern aus. Die Geräusche kamen näher.

»Die Karawane!«, meinte Len. »Wir haben Glück! Von oben hätten wir sie nicht so einfach ausgemacht, denn die Händler tarnen sich normalerweise.«

»Um vor den Freifliegern sicher zu sein?«

»Um vor egal wem sicher zu sein.«

Als Erster tauchte ein großer Mann hinter einer Biegung auf. Seine braun gefleckte Kluft hatte genau die Farbe der Felsen. Um keine böse Überraschung zu erleben, behielt ich ihn im Auge.

»Das sind die Wachen der Karawane«, beruhigte mich Len. »Hallo!«

Die Hand am Schwert, kam der Begleitsoldat auf uns zu. Drei weitere Männer erschienen auf der Bildfläche, ihnen folgten einige riesige Tiere, die an Büffel erinnerten und schwer bepackt waren.

»Hallo ihr zwei Junioren«, meinte einer der Männer mit einem Hauch von Freundlichkeit in der Stimme. »Warum seid ihr allein?«

»Ich bin der Senior in unserem Team«, klärte ich ihn auf. »Wann werdet ihr die Stadt erreichen?«

Erstaunt sah der Mann mich an. »Woher sollen wir das wissen?«, meinte er kopfschüttelnd. »Wir sind schließlich bloß der Begleitschutz… zu dem auch du eines Tages gehören wirst, falls du nicht vorher stirbst. Erkundige dich bei den Händlern danach.«

Sofort verlor der Soldat jedes Interesse an uns und marschierte weiter. Seine drei Gefährten umrundeten uns, ohne ein Wort zu sagen, und folgten ihm.

»Sie halten sich für etwas Besseres als die normalen Städter«, zischte Len. »Dabei sind sie nur Sklaven der Karawane! Schau, dort sind die Händler!«

Die Karawane war sehr groß, bestimmt an die hundert Lasttiere, ein Dutzend Soldaten, aber nur drei Händler. Zu meiner Verwunderung erkannte ich auf Anhieb, dass es sich dabei um eine Familie handelte, einen Mann und eine Frau, beide in den Dreißigern, und ein rotblondes, braun gebranntes Mädchen, das ein oder zwei Jahre älter war als ich.

Oh, Wahnsinn! Ich blickte zu Len hinüber, aber der stutzte überhaupt nicht angesichts der Sonnenbräune des Mädchens. Gut, dann würde ich es eben allein rauskriegen, wo sie so braun geworden war. Eine Brille trugen die drei übrigens auch nicht! Wie konnten sie da sehen?

»Hallo!«, rief Len, der sich alle Mühe gab, stolz und wichtig auszusehen. »Gab es unterwegs irgendwelche Zwischenfälle? Haben die Freiflieger euch Ärger gemacht?«

»Wir liegen mit niemandem im Krieg, mein Junge. Selbst mit den Freifliegern nicht.« Der Händler löste sich von den gemütlich trottenden Lasttieren, kam zu uns rüber und schlenderte mit uns weiter. »Was ist mit eurer Stadt? Nimmt sie am Krieg teil?«