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Und trotzdem hat sich der Freiflieger vor meinem Blick gefürchtet, dachte ich. Aber ich wollte mich jetzt nicht mit dem Kater streiten. Deshalb wandte ich mich wieder an den Händler: »Können Sie Len wirklich freikaufen?«

»Ich werde denen ein gutes Angebot machen«, versicherte er. »Ganz so, als ob es meine eigene Tochter wäre.«

Das glaubte ich ihm zwar nicht – aber immerhin gab er mir damit einen Funken Hoffnung.

Nach einer halben Stunde kamen die Freiflieger zurück. Allerdings nicht alle und auch ohne Schwerter. Sie landeten am Rand des Sumpfs und der Händler ging ganz allein zu ihnen hin. Als ob überhaupt nichts passiert wäre!

Ich saß rund hundert Meter entfernt und ließ meinen Blick zwischen dem Turm, in dem Len gefangen war, und diesen finsteren Gestalten, die den Händler gerade umringten, schweifen. Log er oder nicht? Konnte er Len wirklich freikaufen?

Fünf Minuten später winkte der Händler mit der Hand, woraufhin die Soldaten nach und nach von den Tieren abzogen. Die Freiflieger sprangen auf die Büffel zu oder flatterten um sie herum. Sie knüpften die Packsäcke ab und flogen damit weg. Dabei trug jeder von ihnen fünf oder sechs schwere Beutel. Alle Achtung!

Ohne hinzusehen, fuhr ich mit der Hand über den rauen Stein, auf dem ich saß, tastete nach dem Sonnenkater und schnappte ihn mir, um ihn kurz entschlossen auf meinen Schoß zu setzen. »Was meinst du, sind sie sich einig geworden?«, fragte ich.

»Ich weiß es nicht«, antwortete der Kater verlegen. »Nur wenige verstehen, wie der Handel zwischen ihnen abläuft. Aber wir werden es ja gleich wissen…«

Die Freiflieger, die sich über alle Maße beladen hatten, schafften es nur mit Mühe, zu ihrem Turm zurückzufliegen. Ihnen eilten andere Freiflieger entgegen, die ebenfalls Beutel trugen, welche sie vor dem Händler fallen ließen. Diese Strecke flogen sie mindestens ein Dutzend Mal. Jedes Mal, wenn die beladenen Freiflieger sich uns näherten, beäugte ich sie voller Hoffnung.

Aber Len brachten sie nicht.

Erst als die letzten Freiflieger mit den Resten der Ware verschwanden, marschierte ich zu dem Händler. Er sah zufrieden und heiter aus. Sobald er mich erblickte, machte er jedoch eine ernste Miene.

»Es hat nicht geklappt, Danka«, erklärte er ohne Umschweife. »Tut mir leid. Sie haben sich geweigert, den Jungen wieder herauszugeben. Wie du bestimmt weißt, vermehren sich Freiflieger nicht so wie Menschen. Daher stellen Gefangene ihre einzige Möglichkeit dar, ihre Zahl zu vergrößern. Sei nicht traurig. Du kriegst den Lohn für euch beide und außerdem…«

»Entweder bist du ein gemeiner Dreckskerl oder du lügst!«, fauchte ich leise. »Nimm die Brille ab!«

Der Händler zögerte.

»Nimm sie ab! Oder ich bring dich um, das schwöre ich!«

Seufzend nahm der Händler die Brille ab. »Ich fürchte mich vor dieser Drohung nicht«, stellte er klar. »Aber ich möchte, dass du dich davon überzeugst, dass ich die Wahrheit gesagt habe.«

Es ist nicht ganz einfach, einen Menschen mit dem Wahren Blick anzusehen. Das Gesicht verschwimmt dann, nimmt eine andere Form an, kann dir nichts mehr vorspiegeln oder verheimlichen…

»Du lügst nicht«, stellte ich fest – und zwar erleichtert, was mich selbst wunderte. »Du bist einfach nur ein mieser Typ. Selbst für deine eigene Tochter hättest du nicht mehr geboten als für Len.«

Der Händler zitterte, als streife ihn kalter Wind. Dann setzte er die Brille wieder auf.

»Wir packen jetzt die Waren zusammen, die wir von den Freifliegern bekommen haben, beladen die Tiere und ziehen weiter«, informierte er mich. »Wirst du meine Anweisungen befolgen?«

»Ich werde euch helfen zu packen«, erklärte ich. Hinter mir maunzte der Kater verwundert.

Die Stimmung des Händlers besserte sich prompt. »Du bist ein seltsamer Junge. Ein sehr seltsamer. Aber ich bin froh, dass du diesen Schicksalsschlag wie ein Mann hinnimmst und…«

»Ich werde euch helfen zu packen und die Karawane bis zur Schlucht begleiten«, unterbrach ich ihn. »Dann mache ich kehrt und suche Len. Wenn ich ihn nicht retten kann, komme ich zurück. Ich hole die Karawane wieder ein und bringe dich um. Oder glaubst du etwa, das könnte ich nicht?«

»Ich werde mit dir mitfliegen«, sagte der Sonnenkater, als der Lärm der abziehenden Karawane kaum noch zu hören war. »Schließlich trage ich letztendlich die Schuld an dem Desaster. Darüber hinaus stehen mir Zauberkräfte zur Verfügung…«

»Und obendrein zwanzig Krallen, vier kleine Eckzähne und noch ein paar andere winzige Zähnchen.«

»Führst du Buch darüber, oder wie?«, konterte der Kater beleidigt – und verstummte dann. Vermutlich hatte er begriffen, dass dies nicht der Zeitpunkt war, um eingeschnappt zu sein.

Wie immer, wenn er verlegen war, fing er an, sich zu putzen.

»Ich schlage Folgendes vor, Danka«, sagte er schließlich. »Ich fliege von einer Seite an den Turm heran und lenke die Freiflieger ab. Du versuchst derweil, heimlich in den Turm einzudringen und Len zu befreien.«

»Na gut«, meinte ich missmutig, denn mir fiel auch nichts Besseres ein. »Versuchen wir’s.«

Wir hockten in der Schlucht, wo die Freiflieger uns nicht erspähen konnten. Vermutlich rechneten sie auch gar nicht damit, dass jemand auf die Idee kommen könnte, ihren Turm anzugreifen.

Ich breitete meine neuen Flügel aus und musterte sie eindringlich. Ich trug einen neuen Overall, denn den anderen, den der Freiflieger ramponiert hatte, hatte ich wegwerfen müssen. Ein weiterer Flügeloverall war fest verschnürt und an meinem Gürtel befestigt. Für Len.

»Viel Glück, Danka«, sagte der Sonnenkater.

»Dir auch«, erwiderte ich.

Ich hielt mich sehr tief über den Bergen und flog einen Bogen ums Tal. Nachdem ich eine günstige Felsspalte ausgemacht hatte, versteckte ich mich dort und lugte zum Turm hinüber. Er stand mitten im Sumpf – wie eine schwarze Kerze auf einer Torte aus Scheiße. Aus den Fenstern quoll Finsternis. Selbst auf die Entfernung konnte ich sie spüren.

Außerdem spürte ich noch, dass Len da drinnen war.

Als der Sonnenkater wie ein kleiner leuchtender Funken aus der Schlucht schoss und auf den Turm zusauste und dabei immer schneller wurde, war das mein Zeichen, in Aktion zu treten. Mit gespannten Flügeln sprang ich vom Felsen, passte eine Strömung ab und ließ mich von ihr tragen. Komisch, dass ich vor Kurzem noch an Höhenangst gelitten hatte. Zu fliegen, das kam mir jetzt so natürlich vor…

Ich landete am Fuß des Turms, legte die Flügel an und spähte nach oben. Der Kater kreiste um die Spitze wie eine Motte um eine Lampe. Hoffentlich würden die Freiflieger wirklich nur Augen für ihn haben und mich nicht bemerken… Mit dem Wahren Blick untersuchte ich die Steine, aus denen der Turm errichtet worden war, und versuchte, eine Tür zu entdecken. Das gelang mir auch. Es handelte sich um eine Holztür, die aus groben Brettern bestand. Warum war sie mir nicht gleich aufgefallen?

Ich griff nach der Klinke – einem grob behauenen Holzklotz – und zog die Tür zu mir. Sofort blendete mich Licht!

Aber Wahres Licht war das bestimmt nicht! Es setzte sich zusammen aus grauer Abenddämmerung, grellen Laternen, den Dolchspitzen hell erleuchteter Fenster, den…! Autsch! Mit dem Wahren Blick in elektrische Lampen zu starren tat verdammt weh!

Ich hatte eine Verborgene Tür erwischt! Und zwar die zweite von den drei Türen, die zur Erde führten. Ich stand an der Schwelle, vor mir lag ein Platz. Dieser wiederum war alt und kopfsteingepflastert, dort gingen Menschen spazieren, Glocken läuteten irgendeine Abendstunde. Jeder Erstklässler in meinem Land hätte diese Melodie und den Roten Platz erkannt – selbst wenn er wie ich noch nie in Moskau gewesen war.