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Len gab dem Kater auch was ab und dann machten wir uns alle drei über unser bescheidenes Frühstück her. Verblüfft registrierte ich, dass zweihundert Gramm Schokolade offenbar das Maximum waren, was ich auf einmal verdrücken konnte.

»Und was machen wir jetzt?«, wollte Len wissen, nachdem er seine Portion aufgegessen hatte. Seinen Appetit nahm ich als Beweis, dass mit ihm wieder alles in Ordnung war.

»Na, was wohl? Wir gehen in die Stadt«, verkündete der Kater, während er sich mit der Pfote die Schnauze putzte.

»In unsere?«, fragte Len ebenso erleichtert wie enttäuscht.

»Nein, in die Stadt der Händler«, sagte ich. »Schließlich haben wir noch gar nichts herausbekommen. Vielleicht treffen wir unterwegs auch wieder auf die Karawane.«

»Das dürfte meiner Ansicht nach ziemlich schwer sein«, verkündete der Kater.

In diesem Punkt sollte er sich jedoch glücklicherweise irren. Sobald der Kater in Lens Ausschnitt verschwunden war, flogen wir los. Der Pfad der Karawane lag wie auf dem Präsentierteller vor uns, der Wind stand günstig und schon nach drei Stunden erspähten wir unter uns die langsam dahinzottelnden Tiere. Die Karawane hatte sich so beeilt, vom Turm wegzukommen, dass sie überhaupt nicht mehr an ihre Tarnung gedacht hatte. Als wir auftauchten, blieben alle stehen. Die Soldaten richteten ihre Armbrüste auf uns.

»Wir sind’s!«, schrie ich, während ich tiefer ging.

»Wen bringst du da mit?«, fragte der Händler, als hätte er meine Worte nicht gehört.

»Na Len!«, antwortete ich. »Wir kommen jetzt runter!«

Da der Händler nichts weiter sagte, landeten wir neben ihm. Mir entging nicht, wie seine Tochter sich hinter seinem Rücken versteckte.

»Wir sind’s!«, wiederholte ich, während ich die Flügel anlegte. »Was ist denn los?«

»Len ist jetzt ein Freiflieger«, erklärte der Händler verunsichert.

»Das bin ich nicht!«, knurrte Len. »Danka hat mich gerettet!«

Nach und nach bildeten die Begleitsoldaten einen Ring um uns. Sollten sie es sich einfallen lassen, uns mit ihren Armbrüsten zu beschießen, gäbe es für uns kein Entkommen, das war mir klar.

»Wie konntest du ihn retten?«, fragte mich der Händler. »Die Freiflieger haben den Jungen in den Turm gebracht. Von da ist noch nie jemand entkommen.«

»Er ist auch nicht entkommen«, sagte ich, da ich ahnte, dass ich den Händler nicht würde überzeugen können. »Ich habe den Turm zerstört.«

Jemand lachte los. Der Händler sah mich bloß schweigend an, holte seine schwarze Brille aus der Tasche und setzte sie auf. Als mir wieder einfiel, woraus das Glas der Finsternis bestand, wurde mir schlecht.

»Du lügst nicht«, bemerkte der Händler nach einer Weile. Dieses »du lügst nicht« fiel mir auf. Er hatte nicht festgestellt: Du sagst die Wahrheit. »Auch wenn deine Geschichte höchst unwahrscheinlich klingt…« Dann sah er Len lange an, bevor er die Brille abnahm und den Blick wieder auf mich richtete. Er betrachtete mich nachdenklich. »Senkt die Waffen«, befahl er endlich. »Es sind Menschen.«

Die Soldaten leisteten dem Befehl nur zögernd Folge. Sie rührten sich nicht und beglotzten uns, als kämen wir von einem anderen Stern. Plötzlich drängelte sich ein Mann aus unserer Stadt zwischen ihnen durch, packte Len beim Kinn und sah ihm in die Augen. »Tatsache, Len«, stellte er verblüfft fest, »du hast es geschafft, mein Junge.«

»Ich kann es auch kaum glauben«, antwortete Len ernst.

Daraufhin redeten die Soldaten alle durcheinander und schoben sich näher an uns heran. Offenbar wollte jeder von ihnen uns angrabschen, knuffen oder irgendwas Blödes zu uns sagen. Der Händler löste die Versammlung kurz entschlossen auf. »Dass die beiden Jungen ein solches Glück hatten, heißt nicht, dass wir unterwegs nicht mehr mit Unannehmlichkeiten zu rechnen hätten. Wache!«

Rasch bezogen die Männer wieder ihre Posten.

»Ich möchte mit dir reden«, sagte der Händler und packte mich am Oberarm. »Ungestört.«

Wir sonderten uns etwas von den anderen ab. An uns trotteten die Büffel vorbei, die schwer mit den Waren der Freiflieger bepackt waren.

»Hast du den Turm wirklich zerstört?«, fragte der Händler, nachdem er lange geschwiegen hatte.

»Ja.«

»Ich wüsste zu gern, wie du zu dem geworden bist, der du heute bist«, meinte der Händler nachdenklich.

»Das war nicht angenehm«, sagte ich und starrte ins Nichts.

»Das kann ich mir vorstellen. Bist du sicher, dass mit deinem Freund alles in Ordnung ist, Danka?«

»Klar.« Ich sah den Händler an. Obwohl er keine Brille trug, wollte ich ihn nicht mit dem Wahren Blick betrachten. »Stimmt denn etwas nicht mit ihm?«

»In ihm wohnt Finsternis, mein Junge. Das habe ich durch die Brille der Freiflieger gesehen. In ihm hockt Finsternis, wenn auch zusammengekauert, versteckt. Aber sie lebt…«

»Sie… haben versucht… einen Freiflieger aus ihm zu machen«, presste ich mit schwacher Stimme heraus.

»Und sie hätten beinahe Erfolg gehabt. Kannst du für deinen Freund bürgen?«

»Ja«, antwortete ich, ohne darüber nachzudenken.

Eine Weile sagte der Händler kein Wort. Die Karawane zuckelte immer weiter den Pfad entlang.

»Gut. Ihr werdet weiterhin für mich arbeiten. Bis wir die Stadt erreicht haben.«

»Haben Sie einen Auftrag für uns?«, wollte ich wissen.

»Übernehmt die Kontrolle aus der Luft, erkundet die Wege. Genau wie bisher.«

Ich breitete die Flügel aus und wollte abheben. Sollte der Händler doch zu Fuß gehen – ich war und blieb ein Flügelträger!

»Danka, warte…«

Ich drehte mich um.

»Ich heiße Gabor. Kannst du dir das merken?«

»Natürlich, Gabor«, antwortete ich. »Ich werde es mir merken.«

Dann flog ich hoch in den dunklen Himmel.

4. Die Stadt am Meer

Bis zur Stadt der Händler brauchten wir eine Woche. Abenteuer erlebten wir unterwegs keine, ja, es passierte eigentlich nichts, woran ich mich erinnern könnte. Das Einzige, was sich verändert hatte, war das Verhalten der Erwachsenen uns gegenüber. Ich kann nicht behaupten, dass sie Angst vor uns hatten oder uns nicht mochten, aber sobald wir auftauchten, verstummten ihre Gespräche, und sie setzten saure und gelangweilte Mienen auf.

Nur Gabor und seine Familie verhielten sich uns gegenüber genau wie bisher. Sogar in etwas übertriebener Weise, wie ich fand. Sie taten, als ob rein gar nichts passiert wäre. Die Finsternis, die sich in Len angeblich verborgen hielt, erwähnte der Händler mit keinem Wort mehr. Ich wiederum konnte sie einfach nicht entdecken, egal wie sehr ich mich anstrengte.

Als wir eines Tages spätabends – doch was spielte Zeit in dieser Welt schon für eine Rolle? – die Berge überquerten, erblickten wir die Stadt der Händler. Die Karawane machte halt, obwohl Gabor keinen Befehl dazu gegeben hatte – doch diesmal ließ er es durchgehen.

Der Anblick war in der Tat überwältigend.

Die Stadt strahlte. In der Stadt der Flügelträger wäre nie jemand auf die Idee gekommen, Straßenlaternen aufzustellen. Und die Fenster waren dort so dicht verhängt, als befürchteten die Einwohner einen Luftangriff.

Die Händler hatten jedoch vor niemandem Angst. Zumindest taten sie so, als ob. Aus allen Fenstern strömte Licht auf die Straße, an den Kreuzungen und Plätzen standen Laternen, bei denen es sich um Schalen handelte, in denen eine weiße Flamme brannte.

Die Stadt stellte sich als gar nicht so groß heraus, sie nahm nur einen schmalen Streifen an der Küste ein und zog sich noch die Hügel hinauf. Bereits auf den ersten Blick ließ sich erkennen, dass sie um einen Hafen herum entstanden war. In ihm lagen zwei Dutzend Schiffe vor Anker, ein Boot segelte gerade ins offene Meer hinaus.