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Die Antwort stellte Wokk zufrieden. Er klopfte Len auf die Schulter, erhob sich und verkündete in offiziellem Ton: »Hiermit erteile ich euch die Erlaubnis, euch in der Stadt der Händler aufzuhalten. Achtet die bestehenden Gesetze, befolgt die Befehle der Ordnungshüter und vergesst nicht, dass man für alles zu bezahlen hat. Solltet ihr Probleme bekommen, wendet euch an mich.«

Die beiden Gefährten Wokks mischten sich nicht in unser Gespräch ein. Als die drei jedoch über die Uferpromenade abzogen, fingen sie einen halblauten Streit mit ihm an.

»Und ich hatte schon gedacht«, sagte Len leise, »wir müssten ihnen Geld geben.«

»Er sehnt sich zu sehr nach Flügeln«, erklärte ich. »Er weiß, dass er nie wieder fliegen wird, erinnert sich aber noch genau, wie es ist, zu fliegen. Deshalb wollte er uns nicht über den Tisch ziehen. Aber seine beiden Kumpane sind älter und haben bereits alles vergessen. Wir hatten Glück, dass er bei ihnen das Sagen hat.«

»Wer denn auch sonst?«, meinte Len verwundert. »Schließlich war er noch vor Kurzem ein Flügelträger, ist geflogen und hat gekämpft. Da ist es doch klar, dass er ein besserer Kämpfer ist als die beiden alten Herren.«

Letztendlich betrachteten Len und ich die Welt eben doch mit anderen Augen. Und wir wunderten uns über andere Dinge. Wenn Len gewusst hätte, womit sich unsere Altersgenossen in meiner Welt so beschäftigten, hätte er sich vor Staunen bestimmt nicht mehr eingekriegt.

»Lass uns einen Imbiss suchen«, schlug ich vor. Als mir aufging, wie komisch das Wort »Imbiss« in dieser Bilderbuchlandschaft mit ihren Segelschiffen klang, musste ich unwillkürlich grinsen. »Ich meine natürlich eine Taverne.«

Eine Taverne fanden wir erst nach einer geschlagenen halben Stunde, als wir nämlich auf die Idee kamen, nicht länger die Uferpromenade hinunterzumarschieren, wo uns die wenigen Leute – keine Händler, sondern Wachmänner und Matrosen – sowieso nur neugierig anstarrten, und stattdessen aufs Stadtzentrum zusteuerten. Das Ding hieß dann auch nicht Taverne – und erst recht nicht Imbiss –, sondern schlicht und ergreifend »Gasthaus«. Aus der halb offenen Tür strömten uns wirklich leckere Düfte entgegen. Der Sonnenkater, der in Lens Ausschnitt geschlafen hatte, schob seinen Kopf heraus, schnupperte und schnurrte zufrieden.

»Denkt daran, euch um eine Übernachtungsmöglichkeit zu kümmern«, ermahnte uns der Kater, als er wieder im Flügeloverall verschwand. »Und für mich bestellt Milch!«

Ich war davon überzeugt, gleich etwas zu sehen, das einer Taverne aus einem Piratenfilm entsprach – aber da sollte ich mich irren.

Die Gaststätte war winzig klein, ein einfacher Raum mit fünf oder sechs kleinen Tischen und einem Bambusvorhang, der die Küche abtrennte. An den beiden Tischen in unserer Nähe saßen Wachmänner, die selbstvergessen Buletten mit Reis aßen. An einem anderen saßen zwei Händler in Jeans und tranken Wein aus hohen Kelchen. Die Gäste schielten zu uns rüber, wenn auch nicht allzu unangenehm. Wir nahmen an einem freien Tisch Platz. Erstaunt stellte ich fest, dass die Händlerstadt anfing, mir zu gefallen.

»Wie geht’s jetzt weiter?«, flüsterte Len.

»Woher soll ich das wissen? Warten wir erst mal ab.«

Len schluckte seine Spucke hinunter und nickte widerwillig. »Gut. Nur würde ich halt gern was essen…«

So saßen wir also da, schauten einander an und taten so, als ob wir nicht gleich vor Hunger sterben würden. Zum Glück brauchten wir nicht lange zu warten. Einer der Händler legte einen Kristalltaler auf den Tisch, stand auf und ging zum Ausgang, während der andere mit finsterer Miene seinen Wein austrank. Vor dem Bambusvorhang sagte der erste Händler jedoch laut und deutlich: »Herrin, es gibt Kundschaft!«

Daraufhin wurde Len sofort ganz aufgeregt und sogar der Kater ließ sich wieder blicken.

Raschelnd teilte sich der Vorhang und es erschien eine junge Frau von etwa zwanzig Jahren. Sie sah gut aus, selbst mit dem rotblonden Haar. Für mich gab es keinen Zweifeclass="underline" Sie musste die Tochter eines Händlers sein.

»Flügelträger«, stellte sie in einer Mischung aus Staunen und Freude fest. »Was darf’s sein?«

»Für mich bitte Milch«, mischte sich der Kater ins Gespräch. »Die Jungen bräuchten jedoch etwas Handfesteres. Das überlasse ich ganz Ihnen, Lady.«

In den nächsten Sekunden huschte der Blick der »Lady« zwischen dem Kater, Len und mir hin und her, als versuche sie herauszufinden, wer von uns beiden der Bauchredner sei. »Für wen ist die Milch?«, fragte sie schließlich.

»Für mich natürlich«, versicherte der Kater freundlich. »Sahne ginge freilich auch.«

Die Frau schrie auf. »Du kannst sprechen?«

»Man muss ja wohl seine Zunge zum Einsatz bringen, da man uns hier andernfalls nicht zu bewirten gedenkt«, erklärte der Kater von oben herab.

»Wird sofort…« Als die junge Frau in die Küche fegte, hätte sie sich beinah im Vorhang verheddert.

»Was sollte das?«, zischte ich.

»Ach, stehen uns etwa unbegrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung?«, fragte der Kater zurück.

»Also… nicht wirklich.«

»Dann lass mich nur machen. Derart erstaunliche Gäste wie uns wird man nicht schröpfen wollen.«

Kurz darauf mümmelten Len und ich bereits unsere Buletten, wobei ich den starken Verdacht hatte, dass sie eher aus Fisch als aus Fleisch bestanden. Der Kater schleckte inzwischen genüsslich seine Sahne. Die Wachmänner glotzten uns an und vergaßen darüber völlig ihr Essen. Auch zwei Mädchen lugten durch den Bambusvorhang aus der Küche zu uns rüber. Da uns der Appetit unter diesen neugierigen Blicken fast verging, hängte uns der Kater prompt ab. Kaum hatte er das letzte Tröpfchen Sahne verputzt, linste er auf meinen Teller. »Meiner Ansicht nach bewältigst du die zweite Frikadelle nicht«, sagte er nachdenklich.

»Dann hilf mir«, bot ich sofort an und schnitt die Hälfte davon für ihn ab. Len spendierte ebenfalls eine Hälfte.

Einer der Wachmänner lachte heiser. Wir aßen weiter. Die rotblonde Frau kam noch einmal zu uns. »Bleibt ihr lange in unserer Stadt, Flügelträger?«, wollte sie wissen.

»Eine Woche vielleicht«, antwortete der Kater.

»Und habt ihr schon eine Unterkunft?«, fragte sie ihn direkt, nachdem sie wohl endgültig zu der Überzeugung gelangt war, dass er bei uns das Sagen hatte.

»Bisher noch nicht«, meinte der Kater mit trauriger Stimme. Er reckte sein Köpfchen hoch, hielt dabei aber nach wie vor ein Stück Fleisch in der Pfote. »Um unsere Finanzen ist es wahrlich schlecht bestellt«, fuhr er dann fort. »Sie dürften uns wohl nur wenige Mahlzeiten in Ihrer vortrefflichen Gaststätte erlauben.«

Die junge Frau ließ sich kurz etwas durch den Kopf gehen und setzte sich schließlich zu uns an den Tisch. »Wir würden euch gern unsere Gastfreundschaft erweisen«, informierte sie uns mit gedämpfter Stimme. »Zum Lokal gehören auch Zimmer und eines davon ist zufälligerweise gerade frei. Der Preis wäre rein symbolisch, einen Taler pro Woche. Allerdings nur unter der Bedingung, dass ihr jeden Tag bei uns frühstückt und zu Mittag und Abendbrot esst.«

Wenn der Kater ein Mensch gewesen wäre, hätte ich ihm jetzt unterm Tisch einen Tritt gegeben, damit er ja akzeptierte. Die Bedingungen hätten nicht besser sein können – aber was tat der Kater?

»Unsere Mittel reichen nicht aus, um bei Ihnen zu speisen, verehrte Lady«, jammerte er.

Die Frau blickte zu den Wachmännern hinüber, die dem Gespräch mit großen Augen folgten.

»Der Preis für die Mahlzeiten ist ebenfalls symbolisch. Ein Taler.«

»Pro Woche«, stellte der Kater sofort klar.

»Abgemacht«, willigte die Frau ein. »Die Gastfreundschaft ist meine Schwäche.«

»Die in diesem Fall kompensiert werden dürfte durch die Bewirtung all der neugierigen Gäste«, entgegnete der Sonnenkater.