Die Frau brach in schallendes Gelächter aus. »Woher seid ihr eigentlich, Jungs?«
»Immer hübsch eins nach dem andern«, sagte der Kater. »Könnten wir zunächst noch jeder eine Frikadelle bekommen?«
Das Zimmer, in das uns die Frau brachte – die übrigens einen ganz normalen Namen hatte und Magda hieß –, war mit Sicherheit keine Luxussuite. Nachdem sie uns allein gelassen hatte, beschwerte sich Len darüber. Ich selbst hatte jedoch den Eindruck, drei mal drei Meter würden für zwei Jungen und einen Sonnenkater durchaus genügen.
In dem Zimmer standen zwei Betten – die für Erwachsene schmal gewesen wären, für uns jedoch keinen Grund zur Klage boten. Außerdem gab es einen Kamin, in dem Brennholz vorbereitet war, sowie einen Tisch und einen einzelnen Stuhl. Die Wände bestanden aus Ziegelsteinen, die nicht einmal getüncht waren, worüber Len ebenfalls lästerte. Über dem Bett, das er sich ausgesucht hatte, hing ein kleines Bild mit einem Schiff, das über das nächtliche Meer segelte. Meiner Meinung nach sah dieses Schiff viel besser aus als die realen Vorbilder. Neben der Tür, die mit einem soliden Schloss abgesperrt werden konnte, hing ein kleiner, trüber Spiegel. Mehr gab’s in dem Zimmer nicht. Das heißt, ein Fenster war natürlich auch da, vor dem nur eine leichte Gardine hing – was Len absolut umhaute. Er war nicht daran gewöhnt, dass vor den Fenstern keine Läden waren und Licht durch sie hereinfiel, und sei es auch nur das Licht von Straßenlaternen.
Der Kater rannte eine Weile geschäftig durchs Zimmer und flog dann auf mein Bett.
»Heute schlafe ich bei dir«, erklärte er. »Wenn es kalt wird, unter der Decke. Du liegst doch still, wenn du schläfst?«
»Woher soll ich das denn wissen? Wenn ich schlafe, schlafe ich!«, antwortete ich. »Warum hast du eigentlich nicht auch noch damit angegeben, dass du fliegen und leuchten kannst?«, fragte ich.
»Was hätten wir denn sonst noch in der Hand, wenn wir länger als eine Woche bleiben müssen?«, antwortete der Kater.
»Du würdest einen prima Händler abgeben«, meinte Len halb verächtlich, halb begeistert.
»Ich werde mir diesen Gedanken durch den Kopf gehen lassen«, versprach der Kater und fing an, sich zu putzen. »Geht jetzt ins Bett, Jungs, morgen steht uns ein harter Tag bevor.«
»Wieso das?«, fragte ich.
»Keine Ahnung. Aber nur so zum Spaß sind wir ja nicht hergekommen. Schlaft jetzt!«
Ohne ihm den Befehlston übel zu nehmen, zog ich mich aus und kroch unter die Decke.
»Gute Nacht, Danka«, sagte Len gähnend.
»Gute Nacht«, erwiderte ich. Dem Sonnenkater wünschte ich noch extra, wie es sich gehört: »Einen strahlenden Sonnenaufgang.«
Ich wachte davon auf, dass der Kater an meinem Ohrläppchen knabberte und mir den Mund mit der Pfote zuhielt. Da ich nicht begriff, was das sollte, hätte ich ihn beinah auf den Fußboden gepfeffert. »Pst, Danka!«, flüsterte der Kater in dem Moment. »Steh auf.«
Ich stand auf. Der Kater hing schwach leuchtend in der Luft.
»Was ist?«, fragte ich verdattert und immer noch im Halbschlaf.
»Sieh dir mal deinen Junior an…«
Endlich dämmerte mir, dass etwas passiert sein musste, und ich drehte mich zu dem Bett um, in dem Len schlief. Sofort erstarrte ich. Da lag nicht Len. Da lag jemand, der ihm sehr ähnlich sah, dessen Gesicht jedoch so böse und verkniffen war, dass mich der pure Horror packte.
»Das ist die Finsternis«, flüsterte der Kater mir ins Ohr. »Das Schwarze Feuer brennt in ihm, Danka. Wenn Len nicht schläft, ist er stärker als die Finsternis. Aber sie lauert in ihm…«
Der Händler fiel mir wieder ein, der die Finsternis in ihm durch seine schwarze Brille bemerkt haben wollte. Hilflos sah ich den Kater an. »Was können wir denn für ihn tun?«
»Wir? Ihn wecken oder ihn mit Wahrem Licht bestrahlen… oder einfach Mitleid mit ihm haben. Dennoch wird die Finsternis in ihm wachsen. Wir müssen viel, sehr viel Wahres Licht finden, um die Finsternis in Len bis aufs letzte Fünkchen auszubrennen.«
»Wie viel?«
» Sehr viel, Danka. Aber frag mich nicht, wie viel genau und woher wir es nehmen sollen. Das ist mir selbst völlig unklar. Schließlich bin ich…«
»… noch klein, die Leier kenne ich schon«, unterbrach ich den Kater. Ich setzte mich neben Len aufs Bett und griff vorsichtig nach seiner Hand.
Schon in der nächsten Minute entspannte sich Lens Gesicht. Es sah wieder aus wie immer, nur auf der Stirn schimmerten ein paar Schweißperlen.
»Vielleicht ist alles halb so schlimm«, sagte der Kater seufzend. »Leg dich hin und schlaf noch ein wenig. Ich halte die Finsternis in ihm in Schach.«
Mit diesen Worten machte er es sich auf Lens Brust bequem, fing leise an zu schnurren und beachtete mich nicht weiter.
Also ging ich wieder ins Bett, selbst wenn ich nicht mehr einschlafen konnte. Ich lag da, starrte an die Holzdecke, auf die Ritzen zwischen den Brettern, und wartete, bis auf der Straße die ersten Schritte der Leute zu hören waren und das Licht der Laternen heller wurde, um den neuen Tag anzuzeigen.
Irgendwann wachte Len auf und bemerkte den Kater auf seiner Brust. »Hat Danka dich im Schlaf getreten?«, fragte er ihn lachend.
»Und wie!«, log der Kater dreist. »Zukünftig schlafe ich lieber bei dir, du bist friedlicher.«
5. Das Schwert
Bad und Klo lagen am Ende des Gangs, jeweils eines für alle Zimmer. Wie in einer Gemeinschaftswohnung. Zum Glück schien außer uns niemand im Gasthaus zu wohnen. Als wir nach unten gingen, immer noch verschlafen und mit feuchten Haaren nach dem Duschen, brach das vielstimmige Gemurmel sofort ab.
An jedem Tisch saßen rund zehn Leute. Die meisten tranken Wein und aßen gebratenen Fisch dazu. Natürlich verstand ich von solchen Dingen noch nichts, aber ich fand, dass diese Kombination als Frühstück nicht gerade üblich war. Es waren Wachmänner und Händler und alle glotzten uns unverhohlen an. Sie waren bestimmt gekommen, um den sprechenden Kater zu erleben. Wir stapften zu dem einzigen noch freien Tisch – der offenbar für uns reserviert war – und setzten uns, wobei wir versuchten, niemanden anzusehen.
In absoluter Stille brachte Magda uns Bratfisch mit Gemüse, eine Schale mit Sahne für den Kater und je ein Glas Wein für Len und mich.
»Vielen Dank«, brachte ich verlegen hervor. Der Kater schwieg.
Magda schwirrte hin und her und servierte den Gästen Wein. Wir aßen in aller Eile und träumten nur von einem: hier wegzukommen. Der Kater schlürfte seine Sahne – und schwieg.
Magda musterte ihn ungeduldig.
Erst als der Kater sich über den Fisch hermachte, durchbrach er die Stille. »Etwas zu lange gebraten…«, verkündete er klar und deutlich.
Ein lautes Raunen ging durch die Gäste. Danach herrschte wieder Stille, nur durchbrochen vom Gluckern des Weins, den die Gäste sich eiligst eingossen.
Len schielte zu mir herüber. »Was ist, sollen wir den mal probieren?«, flüsterte er.
Ich nippte vorsichtig an dem Wein und schüttelte den Kopf. Er war sauer – und fürchterlich stark. Da Len und ich uns jedoch schämten, um Wasser oder Saft zu bitten, warteten wir einfach, bis der Kater mit seinem Fisch fertig war.
Der ließ sich allerdings Zeit. Als er fertig war, sprang er in Lens Armbeuge und wir steuerten gemeinsam auf den Ausgang zu, ohne dass wir uns vorher irgendwie abgesprochen hätten. Wir waren schon halb durch die Tür, da fiel dem Kater noch was ein. »Könnte man zum Mittagessen heute mal die Fischsuppe probieren?«, erkundigte er sich bei Magda.
Sie nickte mit freudestrahlendem Gesicht. Wir verließen den Raum. Sobald die Tür hinter uns zugefallen war, redeten drinnen alle mit aufgeregten Stimmen durcheinander.
»Was für eine Komödie…«, sagte Len.