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»Wirklich?«

»Ganz bestimmt!«, versicherte der Kater. »Du könntest mit leerem Magen ja wohl auch keinen Marathon laufen, oder?«

»Nicht mal mit vollem«, gab ich zu. »Was hat es eigentlich mit diesem Spiegel auf sich? Woher kommt er?«

»Das weiß ich doch nicht. Er ist sehr alt. Das kleine Mädchen, das ihn gehalten hat, hatte ihn einfach an sich genommen und dann Sonnenstrahlen damit eingefangen! Puh, dieses Mädchen hat nicht die blasseste Ahnung, was für ein erstaunliches Ding es bei sich zu Hause aufbewahrt!«

Da saß ich nun neben dem Sonnenkater und ließ mir durch den Kopf gehen, was ich eben gehört hatte. Bestimmt staubten in etlichen Haushalten Wahre Spiegel vor sich hin, mit denen man eigentlich Wunder hätte vollbringen können. Wir beachten diese Dinger gar nicht, obwohl wir sie nur ins Morgenlicht stellen müssten, um…

»Sag mal, Kater, wie kriegt man raus, ob man einen Wahren Spiegel vor sich hat?«

»Du brauchst bloß in ihn hineinzuschauen und dir dabei zu wünschen, dich so zu sehen, wie du tatsächlich bist. Die meisten Menschen haben jedoch Angst vor diesen Spiegeln und schauen sich lieber ihr Abbild an statt ihr eigentliches Wesen.«

»Und worin besteht der Unterschied zwischen beidem?«

»Du dummer, dummer Danka«, sagte der Kater. »Du bist wirklich noch sehr klein…«

Beleidigt verzichtete ich auf jede weitere Frage.

»Ist dir nicht kalt?«, fragte der Kater und legte sich auf meine Füße.

»Nein.«

»Nimm’s mir nicht übel, wenn ich dich aufziehe. Im Grunde bin ich an allem schuld. Ich wollte ein bisschen vor dir angeben…«

»Schon gut. Warten wir auf den Sonnenaufgang, dann gehen wir wieder nach Hause. Es ist nur schade, dass wir gar nichts von dieser Welt gesehen haben.«

»Was sollte es hier schon zu sehen geben?«, fragte der Kater schläfrig. »Zwischen den Felsen erstreckt sich ein kleines Tal. Hundert mal zweihundert Meter, nicht mehr. Ferner gibt es einen kleinen Bach, ein paar Bäume und ein paar einzelne Felsblöcke.«

»Woher weißt du das denn?«

»Das sehe ich doch.«

»Bei der Dunkelheit?!«

»In mir brennt immerhin Wahres Licht«, erinnerte mich der Kater mit einem Seufzer. »Lass uns schlafen, Danka!«

»Ich will aber nicht schlafen.«

»Dann halte den Mund, damit ich schlafen kann.«

Habt ihr schon mal in völliger Dunkelheit dagesessen? Mit einem schlafenden Kater auf den Knien? Und es war wirklich stockfinster, denn nachdem der Kater eingeschlafen war, leuchtete sein Fell nicht heller als die Birne eines Nachtlichts in einem Kinderzimmer. Was hättet ihr in dieser Situation gemacht?

Eben. Ich schlief auch ein.

2. Warten auf den Sonnenaufgang

Ich wachte auf, weil mir eiskalt war. Der Kater schlief noch. Er strahlte zwar unablässig seine Wärme aus, doch die reichte nur für meinen Bauch und den oberen Teil der Beine. Über meine Schultern strich dagegen eisiger Wind.

Als ich die Arme um meine Schultern schlang, hob der Kater sofort seinen Kopf und leuchtete mit ganzer Kraft auf. »Frierst du?«

»Wie kommst du denn darauf?« Meine Zähne klapperten wie verrückt, außerdem hatte ich wahnsinnigen Hunger. »Mit Sicherheit fang ich mir gleich die nächste Erkältung ein!«

»Dann kuriere ich dich eben wieder«, sagte der Kater absolut gelassen. »Hab noch etwas Geduld, gleich bricht der Tag an. Vor Sonnenaufgang ist es immer besonders dunkel und kalt.«

»Aber dann wird es hell, ja?«

Vorsichtig setzte ich den Kater auf die Erde und fing an herumzuhüpfen, um warm zu werden. Aber es half kaum.

»Vielleicht haben wir zu wenig Schlaf abgekriegt?«, meinte ich, nachdem ich mich wieder ins Gras gesetzt hatte.

»Siebeneinhalb Stunden. Reicht dir das etwa nicht?«, schnaubte der Kater. »Machst du dir eigentlich einen Begriff, was für ein famoses Zeitgefühl Sonnenkater haben?«

Plötzlich kam mir ein furchtbarer Verdacht, den ich jedoch erst mal für mich behielt. »Und vor Sonnenaufgang kannst du die Tür ganz bestimmt nicht aufmachen?«, fragte ich stattdessen.

»Unter keinen Umständen.«

»Und wenn… also… äh… wenn die Nacht hier sehr lange dauert?«

»Wie meinst du das?«

»Ein paar Monate zum Beispiel. Wie am Nordpol oder am Südpol!«

Der Kater schwieg eine Weile. Irgendwann fing er an, durchs Gras zu tigern. »Ich hatte gehofft, du würdest nicht auf diesen Gedanken kommen«, meinte er niedergeschlagen.

Ich schlang die Arme erneut um meine Schultern und starrte ihn an. »Heißt das, wir müssen in diesen Bergen verrecken?«, schnauzte ich. »Hier finden wir ja nicht mal was zu essen!«

»Das ist mir durchaus bewusst«, knurrte der Kater. »Immerhin haben wir Wasser, du kannst also gern ein Schlückchen trinken.«

»Meine Mutter sucht mich garantiert schon«, fiel mir plötzlich ein. »Was soll sie denn denken? Ich bin aus dem Bett verschwunden und hab nicht mal Hausschuhe an!«

»Wir wollen noch ein wenig warten«, schlug der Kater vor. So warteten wir denn, schweigend, denn keiner von uns wollte sich unterhalten. Allerdings verkündete der Kater mit seinem famosen Zeitgefühl jede Viertelstunde, die vergangen war. Irgendwann teilte er mir mit einem Seufzer mit, es sei eine Stunde um.

»Und wo bleibt dein Sonnenaufgang?«, stieß ich hervor.

»Er lässt auf sich warten«, räumte der Kater ein. »Ich spüre ihn nicht einmal. Die Sonne ist noch weit, weit weg. Warten wir noch ein wen…«

»Mir reicht’s«, fiel ich ihm ins Wort. »Ich hab’s satt, hier rumzusitzen.«

»Eine Möglichkeit gäbe es in der Tat«, sagte der Kater und seufzte. »Immerhin beherrsche ich die Kunst des Fliegens. Ich könnte mich in die Lüfte erheben und fliegen, bis ich irgendwo auf Sonnenschein stoße.«

»Und dann?«

»Dann schöpfe ich neue Kraft und kehre zu dir zurück. Sonnenkater verfügen über einen famosen Orientierungssinn, deshalb werde ich dich unbedingt wiederfinden. Danach öffnen wir völlig mühelos die Tür und alles ist wieder in Ordnung.«

»Warum bist du damit nicht gleich herausgerückt?«, maulte ich.

»Weil ich eben kein Sonnenstrahl mehr bin!«, erklärte der Kater ungeduldig. »Obwohl ich sehr schnell fliegen werde, kann so ein Ausflug ein paar Tage in Anspruch nehmen.«

Jetzt bekam ich richtig Angst. »Ist dir klar, was du da sagst?«, zischte ich. »Weißt du, was meine Mutter mit mir macht?«

»Einen anderen Ausweg sehe ich nicht. Entweder wir warten – oder ich fliege.«

Ich wandte den Blick von dem Sonnenkater ab. Mit einem Mal begriff ich, warum mir dieser Vorschlag nicht gefieclass="underline" Weil ich ja schon jetzt eine Heidenangst hatte.

Vermutlich fürchtete ich mich plötzlich in der Dunkelheit und ohne den Sonnenkater würde diese undurchdringlich sein. Außerdem: Was, wenn er nicht zurückkam?

»Okay«, presste ich heraus. »Flieg schon. Am besten gleich, sonst überlege ich es mir noch anders.«

»Kopf hoch, Danka.« Er wusste genau, wie ich mich gerade fühlte. »Ich beeile mich. Wenn du Durst hast, der Bach liegt direkt vor dir, etwa dreißig Meter einfach geradeaus. Warte hier auf mich.«

Bevor ich antworten konnte, ich hätte es mir anders überlegt und würde doch lieber nicht allein in dieser Düsternis zurückbleiben, sprang der Kater hoch und stieg in die Luft auf. Das orangefarbene Lichtknäuel gewann rasch an Höhe, verwandelte sich in einen winzigen Punkt am schwarzen Himmel – und flog davon. Er war wirklich verdammt schnell. Schon nach ein paar Sekunden hatte ich ihn aus den Augen verloren. Aber ob seine Kräfte ausreichten, um dieses Tempo die ganze Zeit über beizubehalten?

Die nächsten zehn Minuten heulte ich, das Gesicht in das dichte, weiche Gras gepresst. Komischerweise wurde mir dabei sogar ein bisschen wärmer. Irgendwann stand ich auf und fing an, den Bach zu suchen, von dem der Kater gesprochen hatte.