Ich presste eine Hand gegen meine Wange und umklammerte mit der anderen den Griff des Wahren Schwerts, während ich immer weiter zurückging. In meiner Wange pulsierte der Schmerz, mal stärker, mal schwächer.
»Diesmal entkommst du mir nicht!«, hallte es noch einmal aus der Dunkelheit. »Du siehst mich nicht, aber ich dich. Selbst das Wahre Schwert wird dir nicht helfen.«
Erneut durchriss ein Pfiff die Luft, aber diesmal schaffte ich es, mich wegzuducken. Mein Feind musste ganz nah sein. Mein Feind, der meiner Fantasie entsprungen war, der aber trotzdem nicht schlechter tötete als ein echter.
Ich streckte die Hand aus und die Waffe schoss aus der Scheide. Das Wahre Schwert leuchtete mit einem schmalen Lichtstreifen in der Finsternis.
»Willst du es also versuchen?«, stachelte mich die Stimme aus der Dunkelheit an. »Nur los! Bin gespannt, ob du triffst!«
Ich hatte gehört, wo er sich befand. Ganz genau hatte ich es gehört – fast als wollte Len, der Freiflieger, dass ich auf ihn einschlug.
»Natürlich treffe ich!«, rief ich. »Es wird schwer sein, danebenzuhauen!«
Ich drehte meiner eigenen Angst den Rücken zu und hob das Wahre Schwert. Ohne zu zielen, schlug ich auf die Finsternis ein. Die zu verfehlen, wäre nun echt schwer gewesen.
Etwas zerriss, als würde ein Rasiermesser Papier durchschneiden. Ein Licht flammte auf und blendete mich. Ich kniff die Augen zusammen und riss in einem Reflex die Hände hoch, wobei ich trotzdem mit dem Wahren Blick sah, wie die Klumpen der Finsternis schrumpften und sich auflösten. Als Letztes verlosch die Finsternis an der Stelle, an der Len der Freiflieger gestanden hatte.
Etwas tröpfelte leise auf den Boden. Blut – und es war nicht rot, sondern schwarz. In ihm lauerte Finsternis. Und nie würde sie aus ihm weichen.
Nach dem Raum, in dem ich mich befand, folgte kein weiterer mehr. Einen Ausgang gab es nicht, nur ein Loch in der Decke und einen langen, schmalen Schacht, an dessen Ende ein schwaches Licht flackerte.
Ich betrachtete das Schwert in meinen Händen, das Wahre Schwert. Über die helle Klinge schossen weiße Zickzackblitze. Ein Blutstropfen, der auf das Schwert fiel, verbrannte mit einem Zischen.
»Ich brauche dich nicht mehr«, erklärte ich dem Wahren Schwert. Gehorsam löste es sich in Luft auf. Nur die Scheide hing noch an meinem Gürtel. Ich hob die Arme und spreizte die Flügel. Wind wehte durch den Raum und trieb den Staub gegen die Wände.
Da es hier keinen Aufwind gab, bereitete mir der Start Probleme. Am Ende schaffte ich es aber doch und lenkte meine restlichen Kräfte in die Flügel. Über große Reserven verfügte ich nicht mehr. Komisch…
Ich flog auf das Ende des Tunnels zu, doch auf halbem Weg schmolzen die Wände um mich zusammen – und ich fand mich im Zimmer des Waffenhändlers wieder. Keine Ahnung, ob ich durch die Decke oder durch die Wand oder durch den Fußboden gekommen war.
Der Sonnenkater hockte wieder auf dem Tisch. Offenbar unterhielten er und der Waffenhändler sich.
Len schlief auf dem Sofa. Als mir klar wurde, dass er mir mit Sicherheit nicht ins Labyrinth gefolgt war, beruhigte ich mich endgültig.
»Schön, dich zu sehen, mein Junge«, meinte der Waffenhändler. Er wunderte sich überhaupt nicht über mein Auftauchen, seine Stimme klang ruhig und etwas traurig.
»Ich habe meine Angst besiegt«, verkündete ich, während ich mich neben Len setzte.
»Das ist mir klar. Andernfalls wärst du jetzt nicht hier«, sagte der Händler.
Ich tastete mein Gesicht ab. Blut klebte keins mehr daran. Nicht ein Tropfen. Aber über meine Wange zog sich eine Narbe, ein feiner Strich, wie er nur von einer längst verheilten Wunde stammen konnte.
»Ist es schwer gewesen?«, erkundigte sich der Mann.
Ich nickte. Aus irgendeinem Grund glaubte ich, er würde mich jetzt ausquetschen, doch er sagte kein Wort mehr. Er saß einfach da und schaute abwechselnd mich und die Scheide des Wahren Schwerts an.
Ich rüttelte Len an der Schulter, stand auf und schaute den Kater an. Der wich meinem Blick aus.
»Gehen wir«, sagte ich.
Den ganzen Weg über löcherte Len mich mit Fragen zum Labyrinth. Als er endlich kapierte, dass ich nicht darüber sprechen wollte, spielte er den Beleidigten. Der Kater lief ungewöhnlich schweigsam neben uns her.
Zur Freude der neu eingetroffenen Gaffer aßen wir unser Abendbrot in der Gaststätte. Diesmal enttäuschte der Kater sie nicht, sondern plauderte angeregt mit Magda und bestellte erst eine weitere Portion Fisch, dann auch noch eine Schale saurer Sahne. Irgendwann gingen wir nach oben in unser Zimmer, wo Len, der immer noch schmollte, sich aufs Bett warf, ohne den Flügeloverall auszuziehen. Der Kater machte es sich an seinen Beinen bequem.
Gute fünf Minuten sagte niemand ein Wort. Len schlief ein, damit hatte er nie Probleme. Der Kater und ich saßen im Halbdunkel, denn unsere einzige Beleuchtung war das matte Licht einer Straßenlaterne, das durchs Fenster hereinfiel.
Der Kater gab als Erster auf. »Bist du böse auf mich, Danka?«
»Nein«, antwortete ich. »Und ich bin froh, dass ich ein Wahres Schwert habe.«
»Doch, du bist mir böse, denn…«
»Warum hast du mich nicht von Anfang an in alles eingeweiht?«, unterbrach ich ihn.
Der Kater fing an, sich nervös zu putzen. »Wann ist dir das klar geworden?«, fragte er.
»Als du mit dem Waffenhändler gesprochen hast.«
»Und was genau ist dir klar geworden?«
»Dass du mich nicht zufällig in diese Welt gebracht hast. Du hast gewusst, dass es hier keine Sonne gibt. Und du wolltest, dass ich mich in den Krieg gegen die Freiflieger einmische!«
»Aber all das war mir nicht von vornherein klar«, sagte der Kater leise. »Glaubst du mir das?«
»Was heißt das: nicht von vornherein?«
»Ich bin schließlich kein Mensch, Danka. Ich bin bloß Wahres Licht, das von einem Wahren Spiegel zurückgeworfen worden ist und eine Form angenommen hat.«
»Ja, und?«
»Wenn in einer Welt das Licht verschwindet, dann werden auch alle anderen Welten in Mitleidenschaft gezogen. Und zwar sowohl die heilen wie auch die Welten, in denen das Wahre Licht ohnehin bereits Schaden genommen hat.«
»Spielst du damit auf meine Welt an?«
Der Kater nickte und runzelte die Stirn. »Danka«, fuhr er dann in einer Weise fort, als koste es ihn sehr viel Mut, »das Wahre Licht ist kein guter Zauberer oder Gott. Es ist überhaupt kein vernunftbegabtes Wesen. Es ist bloß eine von drei Kräften.«
»Von drei?«, fragte ich irritiert.
»Ja. Es gibt das Licht, die Finsternis und die Dämmerung…«
»Und was ist die Dämmerung?«
»Das spielt keine Rolle, Danka, du wirst kaum mit ihr in Berührung kommen. Das Licht ist bloß eine Kraft, die Finsternis ebenfalls. An sich sind sie weder gut noch böse. Es war ein Zufall, dass das Unglück hier mit dem Verlöschen der Sonne seinen Lauf genommen hat. Seitdem wartet man hier auf die Rückkehr des Lichts oder zumindest auf einen Menschen aus einer Welt voller Sonne!«
»Wofür ist denn ein solcher Mensch nötig?«
»Glaubst du etwa, ich könnte hier alles allein wieder erleuchten? Pah! Du musst den Menschen helfen, die hier leben. Und danach bin ich dann dran.«
»Und was genau wirst du tun?«
»Ich weiß es nicht. Ich bin nur ein Werkzeug, Danka! Ich bin ein Werkzeug des Lichts, mit dem es gegen die Finsternis kämpft. Natürlich kann ich tun, was mir gefällt. Da ich jedoch selbst aus Wahrem Licht bin, sind meine Wünsche mit dem identisch, was das Licht will.«
»Ist dir das schon lange klar?«, fragte ich zaghaft.
»Nein, noch nicht sehr lange. Ich bin ja noch im Wachstum und werde erst Schritt für Schritt klüger. Davon abgesehen, bin ich zwar aus Licht – aber meine Form hast du mir gegeben. Insofern sehe ich die Dinge genau wie ihr Menschen.«