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»Und wer bin dann ich, Kater? Wenn du ein Werkzeug des Lichts bist, bin ich dann ein Werkzeug des Werkzeugs?«

»Nein, Danka, du bist ein Mensch. Und das ist etwas ganz anderes«, antwortete der Kater. »Du entscheidest selbst, was dir stärker zusagt, das Licht oder die Finsternis. Im Moment bin ich dein Gehilfe und du stehst auf der Seite des Lichts, und irgendwo hier…«

Der Kater verstummte, als schlucke er das Ende des Satzes herunter.

»… gibt es einen Menschen, der der Finsternis dient«, beendete ich den Satz. »Stimmt’s? Und den muss ich töten. Oder nicht?«

» Ja, so ist es«, brummte der Kater. »Nur stellt sich alles noch etwas komplizierter dar. Die Finsternis wohnt nicht nur in einem einzigen Menschen. Und so einfach bringst du sie nicht um. Du musst dafür sorgen, dass die Menschen sich zwischen dem Licht und der Finsternis entscheiden. Und denjenigen zum Sieg verhelfen, die für das Licht einstehen.«

»Aber sie haben sich doch längst entschieden!«

»Ach ja? Du glaubst doch nicht wirklich, die Flügelträger seien diejenigen, die für das Licht einstehen?«

Der Seniorclub fiel mir wieder ein. Und wie die Flügelträger mir die Augen ausgestochen hatten…

»Aber was heißt das?«, hauchte ich. »Wen soll ich auf die Seite des Lichts rufen? Die Händler, oder was? Denen ist doch eh alles egal!«

»Du sollst aus Bösem Gutes machen, denn es gibt nichts, woraus man es sonst erschaffen kann. Das hat einer von euch Menschen gesagt. Und recht hat er. Wenn die Flügelträger glauben, sie stünden auf der Seite des Guten, auf der Seite des Lichts – dann zwinge sie, auch tatsächlich gut zu sein!«

»Was soll der Quatsch! Wie kann man jemanden zwingen, gut zu sein?«

»Ganz einfach: Lass nicht zu, dass sie sich lediglich als gut bezeichnen! Bringe sie dazu, entsprechend zu handeln!«

»Wie soll das gehen? Ich bin nur ein Junge…«

»Ich möchte einmal einem Jungen begegnen, der vorbehaltlos zu dem Jungen in sich steht«, meinte der Kater mit einem traurigen Lächeln.

»Wir hätten den Wahren Spiegel nicht tauschen sollen«, erwiderte ich. »Jetzt würde ich gern mal hineinschauen.«

»Für dich sind alle Spiegel Wahre Spiegel«, sagte der Kater und drehte sich um.

Im ersten Moment begriff ich nicht, worauf er hinauswollte. Doch nach einer Weile stand ich auf und stellte mich vor den Spiegel neben der Tür.

Ein ganz normaler Spiegel. Ein stinknormaler sogar. Ein verstaubtes Ding, das am Rand gesprungen war, mir aber dennoch ein tadelloses Spiegelbild zeigte. Das Gesicht eines gewöhnlichen Jungen, das schon fast so blass wie das der Flügelträger aussah. Meine Haare waren zerzaust, über meine Wange lief eine feine Narbe. Eine uralte Narbe… Nur meine Augen leuchteten schwach, als würdest du durch die Schlitze einer Maske einen Sternenhimmel betrachten.

Es war so einfach – aber ich hatte solche Angst davor… Genau wie beim Sprung vom Turm der Flügelträger setzte ich den Wahren Blick ein, diesmal allerdings, um in den Spiegel zu schauen. Ich konnte gerade noch erkennen, wie in meinen Pupillen weiße Funken aufsprühten, bevor mein Spiegelbild zerfloss. Nun sah ich im Spiegel nur das Zimmer, den schlafenden Len und den Sonnenkater, der leise sagte: »Geduld, du siehst dich nicht auf Anhieb… Geduld!«

Und als hätte der Spiegel seine Worte gehört, erschien mein Gesicht wieder. Mein Gesicht – das doch nicht meines war. Ich sah das Gesicht eines Erwachsenen. Derjenige, der mich da aus dem Spiegel heraus anblickte, mochte zwanzig oder dreißig Jahre alt sein. Das war aber noch gar nicht das Schlimmste.

Derjenige – da im Spiegel – lächelte. So freundlich, als hätte er lange auf diese Begegnung gewartet und als würde er sich riesig darüber freuen. Seine Miene wirkte ruhig und selbstsicher. Dieses Ich – das nicht ich war – wollte weg von zu Hause. Dieses Ich – das nicht ich war – hatte sich ohne große Skrupel an Iwon gerächt. Dieses Ich – das nicht ich war – hatte das Labyrinth durchwandert, denn es sorgte sich schon lange nicht mehr um seine Mutter, fürchtete sich nicht vor seinem Vater und hatte nicht die geringste Absicht, für einen Freund zu sterben.

»Warum?«, fragte ich, aber die Lippen meines Spiegelbilds bewegten sich nicht. Diese Frage interessierte ihn nicht – denn er kannte die Antwort.

»Weil du so bist«, antwortete der Kater traurig. »Du bist dieser Erwachsene, der es hasst, ein Kind zu sein.«

»Und du wusstest, dass ich so bin?«

»Ja.«

Ich schaute zum Kater hinüber, und als ich danach wieder in den Spiegel blickte, sah ich bloß einen Jungen.

»Er ist rücksichtslos«, meinte ich einfach in den Raum hinein.

»Selbstverständlich.«

»Und böse.«

»Das nun nicht gerade. Du bist rücksichtslos, wenn du etwas durchsetzen willst. Aber deine Ziele sind gut, Danka.«

Schweigend ging ich zum Bett, zog mich aus und kroch unter die Decke. »Passiert so was oft, Kater?«, fragte ich.

»Ein Fall wie deiner ist selten. Meist ist das Gegenteil zu beobachten – dass in einem Erwachsenen ein Kind steckt. Das ist schrecklich. Denn so jemand kann auf sehr sanfte und zärtliche Weise etwas Böses bewirken… Schlaf jetzt, Danka. Wir werden morgen unsere Entscheidung treffen.«

7. Sonnenbräune

Len weckte mich, indem er mich an der Schulter rüttelte. »Danka, das Frühstück wartet«, meinte er ein wenig verlegen. Ohne jeden Übergang fügte er dann hinzu: »Tut mir leid, dass ich gestern sauer auf dich war. Ich verstehe ja, wenn du dich nicht an das Labyrinth erinnern willst…«

»Ist doch längst vergessen«, beruhigte ich ihn. »Wo ist denn unser pelziger Freund?«

»Den hat der Hunger schon nach unten getrieben«, antwortete Len munter.

Der gestrige Tag existierte irgendwie nicht mehr in meinem Gedächtnis. Das Labyrinth kam mir nur noch wie ein Märchen vor, meine Ängste kindisch und irreal. Ich hatte das Schwert bekommen und das war gut. Noch besser war, dass Len mir nicht ins Labyrinth gefolgt war. Und dass ich tief in meiner Seele erwachsen und rücksichtslos war, was hieß das schon? Mein Wesen und ich, wir würden uns mit den Jahren aneinander annähern.

»Ich habe dich im Labyrinth getroffen, Len«, berichtete ich, während ich mich wusch. »Also nicht dich, sondern eine Figur, die mir vom Labyrinth vorgegaukelt wurde.«

Meine Worte brachten Len ziemlich aus der Fassung. »Was heißt das, Danka?«, fragte er, wobei er aufhörte, sich Wasser ins Gesicht zu spritzen. »Hast du etwa Angst vor mir?«

»Nicht vor dir, sondern um dich, du Blödmann«, maulte ich genervt. »Da, im Labyrinth, haben dich… also nicht wirklich dich… die Freiflieger geschnappt. Wer denkt sich denn so einen Schwachsinn aus, dass das meine Wahre Angst sein soll?«

»Aber… du hast mich doch bestimmt gerettet?«, meinte Len kleinlaut. »Und ich war gestern sauer, weil du…«

»Nein, ich hab dich nicht gerettet, denn das war ja eben nicht meine Wahre Angst«, erklärte ich. »Die sieht anders aus. Gehen wir frühstücken?«

»Ja«, antwortete Len gedehnt.

Wir gingen die Treppe runter. Die beiden Scheiden schlugen gegen meine Beine, eine schwere, mit dem Schwert des Tuak, und eine ganz leichte, die Scheide für das Wahre Schwert.

In der Gaststätte hatten sich heute noch mehr Gäste versammelt. Magda schwirrte nicht mehr allein zwischen den Tischen herum, sondern zusammen mit einer unbekannten Frau. Ständig rief man die beiden und bestellte Wein.

Der Kater schwebte über einer Schüssel mit Sahne und leckte sie genüsslich aus.

»Was soll diese akrobatische Vorführung?«, flüsterte ich, während ich mich an den Tisch setzte.