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»Warum denn nicht?«, erwiderte der Kater, wobei er sich mit ehrlichem Bedauern von der immer leerer werdenden Schüssel losriss. »Mittlerweile können wir uns doch einen kleinen Spaß gönnen… Len, was ist mit dir, was machst du für eine düstere Miene?«

Len brummte etwas, während er mit der Gabel in seinem Teller herumstocherte. Es gab gebratenen Fisch und Kartoffeln.

»Offenbar halten uns schon alle für Katzen«, sagte ich. »Die ganze Zeit kriegen wir nur Fisch. Findest du das nicht auch blöd, Len?«

Bevor Len antworten konnte, kam eine Frau zu uns. Als ich aufschaute, erkannte ich sie. Garet, die Frau des Händlers! Ich suchte die anderen Tische ab, konnte Gabor jedoch nicht entdecken. Dafür saß ihre rotblonde Tochter fünf Meter entfernt und grinste mich an!

»Hallo, Flügelträger«, begrüßte Garet uns munter. »Darf ich mich zu euch setzen?«

»Selbstverständlich.« Prompt schob ihr Len einen Stuhl hin. Was für ein Gentleman der auf einmal sein konnte!

Garet maß uns mit einem prüfenden Blick. »Als ich von zwei Flügelträgern mit einem Kater gehört habe, war mir klar, dass es sich nur um euch handeln konnte. Ihr seid ja das Tagesgespräch! Bei uns hat sich der Kater nicht so redselig gezeigt.«

»Es gab ja auch nichts, über das wir uns hätten unterhalten können«, erklärte der Kater mürrisch und sprang auf meinen Schoß. Ich streichelte ihn. Welche Laus war ihm denn jetzt über die Leber gelaufen?

»Reata hat euch unsere Adresse gegeben«, fuhr Garet fort, ohne im Geringsten auf den sprechenden Kater zu achten. »Ihr hättet uns doch mal besuchen können…«

»Wir waren anderweitig beschäftigt«, erklärte ich und beugte mich zum Kater runter. »Was ist denn los?«, flüsterte ich.

»Ich mag solche Leute nicht«, murmelte er. »Die… die haut einfach nichts um. Alles haben sie schon gesehen, alles kennen sie…«

Beinahe hätte ich laut losgelacht. Der Kater war eingeschnappt, weil er zum ersten Mal einem Menschen begegnet war, der sich nicht für ihn interessierte! Garet wunderte sich nicht über ihn, bestaunte ihn nicht und fürchtete ihn nicht. Und das nahm er ihr übel.

So ein eitler Fatzke!

»Ich möchte euch einen Vorschlag machen«, meinte Garet, deren Blick zwischen mir und Len hin- und herging. »Einen geschäftlichen.«

»Hm«, antwortete ich bloß, denn ich kämpfte immer noch gegen mein Lachen an. Der Kater tat so, als schliefe er. Die anderen Gäste platzten fast vor Neugier.

»Meine Tochter und ich wollen einen kleinen Segeltörn machen. Wollt ihr uns auf unserem Boot begleiten?«

»Wozu?«

Garet schwieg einen kurzen Moment. »Erstens weil wir es bezahlen«, meinte sie schließlich lachend. »Und zweitens… weil ihr braun werden könnt.«

Das Boot, zu dem man uns gebracht hatte, war ziemlich groß, mehr eine Jacht. Eine Mannschaft gab es nicht, was Garet und Reata jedoch nicht störte. Sie hissten die Segel, spannten hier Leinen, lockerten da welche – mit einem Wort, sie beschäftigten sich mit diesem ganzen nautischen Kram, von dem eine Landratte keine Ahnung hat. Len und ich durften kurzerhand unsere Muskelkraft zur Verfügung stellen, ohne dass die beiden Frauen sich groß um den amoralischen Aspekt der Kinderarbeit geschert hätten. Übrigens sind wir, solange wir Flügel tragen, stärker als die meisten Erwachsenen. Die Flügel trinken zwar unsere Kraft, geben uns aber auch welche zurück.

Nach fünf Minuten blähte sich das Segel im Wind und die Jacht glitt in die Finsternis. Aus reiner Gewohnheit klappte ich das transparente Visier runter und schaute mich um. In der Ferne machte ich ein anderes weißes Segel aus. Offenbar fuhr gerade eines der Schiffe der Händler in den Hafen ein. Die Stadt blendete mich mit den Lichtern der Laternen in den Augen. Ich schaute nach vorn. Nichts als Finsternis. Finsternis bis zum Horizont… Wo Garet ihr Sonnenbad wohl nehmen wollte? Sie hatte uns versichert, die Reise dauere nicht länger als einen Tag und wir könnten – falls wir das wollten – schon heute Abend wieder in der Stadt sein.

In dem Moment kam der Sonnenkater angerannt. Ich bemerkte seine ausgefahrenen Krallen. Mit aller Kraft hakte er sich an den Holzplanken fest. Ob er Angst hatte? Als er meinen Blick auffing, erhob er sich in die Luft. »Ich mag das Wasser einfach nicht«, erklärte er. »Das ist eine fremde Materie… Du weißt nicht zufällig, wohin wir fahren?«

»Ich habe angenommen, du wüsstest es«, sagte ich.

»Wie oft soll ich das eigentlich noch wiederholen?«, maulte der Kater beleidigt. »Ich bin noch klein…«

Von dem in der Luft schwebenden Kater begleitet, wanderte ich zum Bug der Jacht. Das Wasser plätscherte einen halben Meter unter uns gegen das Schiff, der Wind peitschte mir ins Gesicht. Ich hielt nach Garet Ausschau. Sie stand neben dem Mast, ohne sich irgendwo festzuhalten, und sah zu ihrer Tochter hinüber, die ihr genauso reglos gegenüberstand. Ich schob das Visier hoch und spähte mit dem Wahren Blick durch die Dunkelheit.

»Siehst du es auch?«, fragte der Kater.

»Ja.«

Zwischen Garet und Reata zirkulierten in der Luft matt leuchtende, grüne Fäden. Von ihren Fingern tropften graue Lichter aufs Deck.

»Ich vermute, sie dienen der Dämmerung«, meinte der Kater sehr leise und sogar mit einer gewissen Erleichterung.

»Ist das schlecht?«, fragte ich leise.

»Wo denkst du hin? Das ist weder gut noch schlecht. Sie gehen lediglich ihren Weg, wir unseren. Und im Moment kreuzen sich die beiden.«

»Geh zu Len«, verlangte ich. »Vorsichtshalber.«

Der Kater nickte und flog nach achtern. Len hatte sich offenbar an der immer kleiner werdenden Stadt festgeguckt. Ich ging zu den Frauen und blieb etwas abseits stehen, damit ich nicht in das grüne Spinnennetz geriet.

»Ich störe doch nicht?«, fragte ich.

»Jetzt nicht mehr«, antwortete Garet, die den Blick von ihrer Tochter löste. »Du siehst alles?«

»Hm«, beteuerte ich lieber mal.

»Dann sag deinem Freund, er soll die Augen schließen und das Visier hochschieben.« Nachdem Garet mich angesehen hatte, fügte sie noch hinzu: »Du kneif die Augen besser auch zusammen. Wir verlassen diese Welt jetzt.«

Automatisch spähte ich in die Richtung, in die die Jacht fuhr. Prompt machte ich einen kaum erkennbaren, regenbogenfarbenen Film aus, der vibrierte und sich langsam dehnte. Als ob wir aus einer riesigen Seifenblase rausfahren würden…

»Len, das Visier hoch!«, schrie ich. »Schieb das Visier hoch und schließ die Augen!«

Im nächsten Moment platzte der regenbogenfarbige Film unter dem Druck des Schiffs. In die Finsternis strömte Licht.

Das war so, als drücke man in einem dunklen Zimmer auf den Lichtschalter. Die Sonne geht nicht so schnell auf, Wolken können sich nicht mit der Geschwindigkeit eines Düsenfliegers verziehen. Hier aber veränderte sich alles von einer Sekunde auf die nächste. Die Finsternis wich dem Licht, das dunkle, undurchdringliche Wasser einem hellen, azurblauen Meer, die grauen Umrisse der Jacht einem Feuerwerk fröhlicher Farben. Diese Farben faszinierten mich mehr als alles andere. Das Licht hatte ich noch nicht ganz vergessen, echte kräftige Farben schon.

Das Holz der Jacht war bernsteingelb, das Segel schneeweiß, die Metallelemente der Takellage aus dunkler Bronze und rotem Kupfer. Oben am Mast flatterte ein blauer Wimpel, der beinahe mit dem Himmel verschmolz. Um uns herum erstreckte sich bis zum Horizont ein ruhiges, azurblaues Meer.

Die Jacht trieb dahin, als sei sie nicht eben noch mit dem Tempo eines Torpedos vorwärtsgejagt. Dafür machte sich der Seegang jetzt bemerkbar. Ich griff nach Garets Hand, um nicht hinzufallen. Diese lächelte, etwas von oben herab, aber auch zärtlich.

Von achtern kam schwankend und blinzelnd Len angestapft. Der Kater wirbelte mit irren Sprüngen um ihn herum.

»Sind… sind wir nicht mehr bei uns?«, fragte Len.

»Wir sind in eine andere Welt gefahren«, antwortete ich.