Darauf antwortete ich mit keinem Wort. Garet schwamm inzwischen langsam auf mich zu, blickte mir fest in die Augen und meinte: »Ich bin gar nicht so alt, wie du dachtest, stimmt’s, Danka?«
Ich fing an, herumzustottern. Garet legte ihre Hand auf meine Schulter. Mit einem Mal wurde mir heiß, unerträglich heiß.
»Soll ich dir ein Geheimnis der Jacht zeigen?«, fragte Garet und zog ihre Hand weg.
»Ja«, antwortete ich erleichtert.
»Dann schwimm mir nach!«
Garet hielt mit schnellen und kräftigen Zügen auf das Bootsende zu. Ich konnte nicht besonders toll kraulen und schwamm ihr einfach hinterher, wobei ich wild um mich spritzte. Ohne sich umzudrehen, lachte Garet leise.
Das Heck war so hoch wie bei einer alten Galeone. Über dem Wasser ragten Bronzehaken heraus. Ob man an denen einen Motor befestigen konnte? Vielleicht taten die Händler das sogar, wenn sie in eine Welt kamen, in der es »Photonen, Protonen und Magnetfelder« gab. An den Brettern bemerkte ich außerdem irgendwelche Kupferschrauben.
»Pass auf«, flüsterte Garet verschwörerisch und drehte nacheinander an drei Schrauben. Einen halben Meter über dem Wasser öffnete sich eine schmale Luke. »Manchmal nehmen wir Schmuggler mit oder Menschen, die sich vor der Regierung ihrer Welt verstecken.« Sie zog sich am Schiff hoch und glitt geschmeidig durch die Luke.
Sofort blickte ich woanders hin. Ich kapierte echt nicht mehr, was mit mir los war.
»Soll ich dir helfen?«, fragte Garet und hielt mir die Hand hin. Aus der dunklen Öffnung tauchten nur ihre Schultern auf.
»So weit kommt’s noch«, erwiderte ich und kraxelte durch die Luke. Garet drückte sich weiter nach hinten, um mir Platz zu machen. Sie klatschte in die Hände und eine matte, kugelige Lampe ging an.
Ich richtete mich auf und spürte, wie das Wasser an mir herabfloss. Wir befanden uns in einem kleinen Raum, zwei mal drei Meter, der fast leer war, nur auf dem Boden lag eine dicke Matratze und an der Wand hing an einem Nagel ein Frotteetuch. Garet schnappte es sich, rubbelte mit schnellen Bewegungen ihr Haar und trocknete sich anschließend ab. Ich fing an zu zittern.
»Du bist ja ganz durchgefroren, Junge«, sagte Garet, während sie auf mich zukam. »Warte mal.«
»Weshalb sind wir hier?«, fragte ich. Garet trocknete mir jedoch schon die Haare ab, danach kam der Rest von mir dran. Sie machte dabei ein ziemlich ernstes Gesicht.
Es ist eine Sache, ob du mit jemandem nackt schwimmst. Aber es ist eine ganz andere, ob du plötzlich in einem kleinen Raum neben einer nackten Frau stehst und sie dich abtrocknet – am ganzen Körper.
»Soll ich dir beibringen, was Liebe ist?«, fragte Garet mich ganz gelassen, nachdem sie das Handtuch auf den Boden geworfen hatte.
Mein Gesicht brannte, und da ich kein Wort herausbrachte, schüttelte ich bloß den Kopf.
»Du schwindelst doch«, meinte Garet ruhig.
Jetzt hätte ich abhauen müssen. Mich mit einem Hechtsprung durch die Luke retten, zum Deck zurückkehren und den Flügeloverall anziehen müssen. Denn ich war mir sicher, dass Garet mir in der Gegenwart von Len und dem Sonnenkater nicht auf die Pelle rücken würde. Nur versagten mir meine Beine den Dienst.
Außerdem wollte ich gar nicht weg.
»Das ist aber notwendig«, meinte sie. »Das ist etwas, das du brauchen wirst. Du wirst es später selbst einsehen.«
Sie hockte sich hin, legte die linke Hand auf meine Schulter und zog mich zu sich. Nach einem ganz kurzen Zögern gab sie mir einen Kuss auf den Mund.
Ich hatte schon mal ein Mädchen geküsst. Da war ich erst in der dritten Klasse gewesen. Wir waren zusammen ins Kino gegangen und hatten geglaubt, wir müssten uns küssen. Mit Garet fühlte sich die Sache jedoch anders an – und gar nicht eklig.
Als ich wieder an Deck zurückkehrte, lag Len in der Sonne. Am Ende hatte er sich doch ausgezogen – bis auf die Unterhose.
»Bist du weit weggeschwommen?«, wollte er wissen.
»Ja, sehr weit«, antwortete ich und zog mich hektisch an.
Mit einem Mal schämte ich mich meiner Nacktheit, gewaltig sogar. Sowohl vor der nackten Reata, die etwas abseits in der Sonne brutzelte, als auch vor Garet, die gerade aus dem Wasser auftauchte. Hastig schlüpfte ich in den Overall, dann schaute ich zum Kater hinüber. Er hatte sich bereits an der Sonne sattgesehen und schnurrte jetzt zufrieden. Kurz fing ich seinen Blick auf…
Er wusste alles. Er hatte alles im Voraus gewusst.
»Weshalb, Kater?«, fragte ich im Flüsterton. »Weshalb?«
»Nichts kam so, wie du es geplant hast«, antwortete er unerschüttert. »Und das ist ein gutes Zeichen.«
»Warum?«
»Du musst dich deinem Wesen annähern. So weit, wie es geht. Ich weiß nicht, was Garet sich davon versprochen hat… aber für dich wird es nützlich sein.«
»Das hat sie auch behauptet«, brachte ich müde heraus und ließ mich aufs Deck plumpsen. Len beobachtete uns erstaunt. »Dreh dich mal um, sonst verbrennst du dir den Bauch«, riet ich ihm.
Hier stimmte doch was nicht. Alles geriet… aus dem Ruder. Und zwar extrem.
»Es ist alles in Ordnung, Danka«, beruhigte mich der Kater mit weicher Stimme. Sein Ton erinnerte mich an Garet.
»Halt die Klappe!«, brüllte ich. »Ich bin nicht dein Werkzeug, vergiss das nicht!«
Dann sprang ich auf und marschierte zu Garet hinüber. »Was sollte das?«, fragte ich scharf.
»Das wirst du begreifen, wenn du gewonnen hast«, antwortete sie mysteriös. »Aber wenn du dein Duell verlierst… wozu musst du es dann wissen?«
Was sollte ich ihr darauf sagen? Und streiten konnte ich mich jetzt nicht mit ihr.
»Wir müssen zurück«, presste ich heraus, während ich woanders hinsah.
»Gut, dann öffnen wir den Durchgang«, willigte Garet ein. »Sofort?«
»Ja.«
»Reata!«
Die beiden stellten sich wieder neben den Mast und sahen sich in die Augen.
»Wenn ihr zurückwollt, dann fliegt gefälligst«, sagte Reata frech, wobei sie sich eher an Len als an mich wandte. »Wir öffnen einen Korridor über der Jacht.«
Len griff nach seinem Overall. Mir fiel auf, wie er beim Anziehen schmerzhaft das Gesicht verzog. Also hatte er sich doch einen Sonnenbrand eingefangen!
»Ich muss euch noch euren Lohn zahlen«, meinte Garet plötzlich. »Schließlich haben wir vereinbart, dass die Arbeit bezahlt wird.«
»Die Arbeit war ja nicht gerade schwer«, knurrte ich. »Gehen wir mal davon aus, dass wir quitt sind. Öffnet jetzt den Durchgang.«
»Sei mir nicht böse, Danka«, bat Garet mit einer Stimme, die mit einem Mal ganz schuldbewusst klang. »Guten Flug!«
Ich spreizte die Flügel und schoss hinauf in den Himmel. In Richtung des regenbogenfarbigen Films, hinter dem die Finsternis lauerte. Die fast schon vertraute Finsternis. Len und der Kater folgten mir.
»Auf Wiedersehen!«, schrie Garet uns nach.
So flogen wir hinein in die Finsternis.
Dritter Teil
Die Freiflieger
1. Der Schlüssel
»In die Stadt der Händler brauchen wir nicht zurückzufliegen«, rief mir der Kater zu. Ich nickte. Wenn ich was nicht wollte, dann war es, die Händler zu sehen. Oder ihre Stadt.
Wir flogen dicht nebeneinander. An meiner Flügelspitze nahm ich den Flügelschlag Lens wahr. Der Kater schwirrte etwas voraus, ein orangefarbener Fellball, der in einem warmen Licht leuchtete. Irgendwie hatte es sich so ergeben, dass er die Führung übernommen hatte und die Richtung vorgab. Mir sollte es recht sein. Schließlich wusste ich sowieso nicht, wohin wir jetzt fliegen und was wir tun sollten.
Die Händlerstadt erstreckte sich unter uns, ein dämmriger Flecken, der jedoch vor dem Hintergrund der Finsternis förmlich zu strahlen schien. Dann folgten die Berge, wir erspähten sogar eine Karawane, die über den Pfad dahinzog.