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Schweigend und ziellos flogen wir immer weiter, die Flügel saugten alle Kraft aus uns heraus und verwandelten die Verletzung und die Scham in eine milde Traurigkeit.

Es war alles in Ordnung. Garet konnte mir gestohlen bleiben! Die anderen Händler auch. Wenn wir erst mal gewonnen hätten, würde ich ihnen allen befehlen abzuziehen. Kein Einziger von ihnen sollte in der Welt der Flügelträger zurückbleiben.

Irgendwann drosselte der Kater das Tempo und wartete, bis wir zu ihm aufgeschlossen hatten. »Fühlst du dich jetzt besser, Danka?«, fragte er.

Ich antwortete mit keinem Wort.

»Dann wollen wir landen, ihr müsst euch ausruhen«, befahl der Kater und stürzte wie ein Stein nach unten. Len legte bereitwillig die Flügel an, um seinem Beispiel zu folgen. Ich wollte den Flug jedoch noch nicht aufgeben und mich einfach fallen lassen und folgte deshalb in Spiralen dem orangefarbenen Fleck.

Der Sonnenkater und Len warteten auf dem kleinen Vorsprung einer senkrechten Felswand auf mich. Ohne Flügel wäre es unmöglich gewesen, jemals zu dieser Stelle zu gelangen. Vielleicht hatte hier sogar vor uns noch nie ein Mensch gestanden…

»Sollen wir etwa hier eine Pause einlegen?«, fragte ich. Wenn man fliegt, hat man komischerweise nie Angst vor der Höhe. Aber sobald man an einem senkrechten Abgrund landet und im scharfen Wind steht, wird einem schwindlig.

»Ja.« Der Kater schlug mit einem Mal einen überraschend feierlichen Ton an. »Allerdings geht es nicht darum, dass ihr euch ausruht. Wir wollen feiern.«

Ich starrte Len an. Anscheinend wusste er, worauf der Kater abzielte. Im Gegensatz zu mir. »Und aus welchem Anlass?«, fragte ich.

Der Kater sprang auf meinen Arm. Plötzlich rieb er sein Gesicht an meinem Kinn. »Alles Gute, Danka. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!«

Len streckte die Hand aus und klopfte mir unbeholfen auf die Schulter. »Herzlichen Glückwunsch, Danka!«

»Na, ihr seid mir ja welche«, stammelte ich. »Was heißt hier Geburtstag? Bis dahin sind es doch noch…«

Ich verstummte. Wie viel Zeit war inzwischen eigentlich schon vergangen?

»Sonnenkater haben ein famoses Zeitgefühl«, erinnerte mich der Kater leise. »Du hast heute Geburtstag, Danka. Heute wirst du vierzehn Jahre alt. Aber bei allem, was wir erlebt haben, hast du das natürlich vergessen…«

Ich setzte mich auf den Stein und ließ die Beine baumeln. Mit einem Mal war mir die Höhe total egal. Die Höhe, pah! Was mich fertigmachte, war, dass ich nicht mal ansatzweise bemerkt hatte, wie ein ganzer Monat vergangen war!

Andererseits: Wann hatte ich schon mal so ein Abenteuer erlebt – dass ich meinen Geburtstag an einem Ort wie diesem hier feierte? So weit das Auge reichte, erstreckten sich Berge. Auf ihren Gipfeln saßen Schneemützen. Durch die Schluchten sprudelten Flüsse. Die Hänge entlang waberten Nebelbänder. Und Wind wehte, ein kalter und reiner Wind. All das betrachtete ich durch das Visier, das die ewige Nacht in dichte Dämmerung verwandelte, in einen sehr trüben Tag.

In der Stadt der Händler oder in Lens Stadt hätte ich meinen Geburtstag nicht feiern wollen. Auf der Jacht, unter einer fremden Sonne, erst recht nicht.

Hier zu sitzen fühlte sich gut an. Jetzt war ich also tatsächlich vierzehn. Fast erwachsen. Und ich saß mit meinen Freunden zusammen auf einem winzigen Felsvorsprung, mit einem Wahren Schwert am Gürtel.

»Vielen Dank, Freunde«, sagte ich bloß.

Len kramte gerade in seiner Tasche und zog ein paar Beutel mit Essen heraus. Anschließend beförderte er etwas verlegen eine Flasche zutage. »Wir trinken jetzt Sekt«, erklärte er. »Der Kater sagt, das macht ihr so.«

Ich schielte zum Kater hinüber. Dieses wandelnde Lexikon…

»Außerdem habe ich noch ein Geschenk für dich.« Lens Stimme klang leicht verändert. »Es ist… etwas seltsam. Aber du wirst es schon begreifen.«

Len stellte sich gerade hin und knöpfte den Flügeloverall auf. Genau an der Stelle über dem Herz war eine kleine, weiße Scheibe an den Stoff genäht. Ganz vorsichtig, nur mit der Spitze seines Dolchs, machte Len sich daran, sie herauszutrennen.

»Was ist das? Ich habe so was nicht.« Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich ziemlich mulmig.

»Das ist der Schlüssel für die Flügel.« Len hielt mir die Scheibe hin.

Das Ding war leicht und fühlte sich kühl an, die herunterhängenden Enden der Fäden schienen direkt aus ihm herauszuwachsen.

»Wozu ist der gut?«, fragte ich, denn ich begriff immer noch nicht, worum es ging.

»Wenn du den Schlüssel zerbrichst, sterben meine Flügel«, erklärte mir Len ganz ruhig. »Der Schlüssel überwacht meine Flügel.«

»Wozu?«, wiederholte ich. Len zuckte mit den Schultern.

»Das ist in ihrer Welt üblich, Danka«, klärte mich der Kater auf. »Und lass es dir nicht einfallen, das Geschenk abzulehnen. Das ist ein Vertrauensbeweis.«

»Möchtest du, dass ich den Schlüssel an mich nehme?«, fragte ich Len ganz direkt.

Len nickte und goss Sekt in die Gläser. So geschickt, wie er die Flasche entkorkt hatte, fielen mir zwangsläufig seine Worte über die Junioren ein, die in ihrem Club angeblich keinen Wein tranken!

»Ich würde dir auch gern meinen Schlüssel geben, Len…«, setzte ich an.

»Du hast doch gar keinen«, unterbrach mich Len energisch. »Du bist doch der Senior. Außerdem würde ich den sowieso nicht nehmen.«

Ah ja! Ich schielte zum Kater hinüber, der völlig unzivilisiert die Essenspakete beschnüffelte, streckte die Hand mit dem Schlüssel aus und tippte Len auf die Schulter. »Eine Frage noch…«

Mein Junior verteilte gerade die Reste des Sekts auf die drei Gläser. Hieß das etwa, er schenkte dem Kater auch was ein?

»Hättest du mir den Schlüssel nicht schon längst geben müssen? Schon in dem Moment, als du mein Junior geworden bist?«

Ohne mich anzusehen, nickte Len.

»Warum schenkst du ihn mir dann jetzt? Ist irgendwas passiert?«

»Das ist aber schon die zweite Frage…«

»Len!«

»Mit mir stimmt was nicht, Danka!« Endlich sah er mir in die Augen. »Seitdem ich im Turm war. Ich… also… ich träume komische Sachen. Dass ich mit dir kämpfe oder…« Len stockte kurz. »… dass ich ein Freiflieger bin. Deshalb ist es bestimmt besser, wenn du den Schlüssel hast.«

»Quatsch!«, rief ich und versuchte, möglichst überzeugend zu wirken. »Ich träume auch ständig irgendwelchen Unsinn. Dass ich in den Kosmos fliege und dort gegen sonst wen kämpfe… Oder… aber das erzähle ich dir lieber nicht in Anwesenheit des Katers, er ist ja schließlich noch klein.«

»Ich weiß schon, woran du denkst, Danka«, sagte Len mit einem Lächeln. »Aber du behältst den Schlüssel trotzdem, ja? Es ist mein Geschenk.«

Es wäre dumm gewesen, noch länger darüber zu streiten. Ich drehte die Scheibe in meinen Fingern und steckte sie vorsichtig in die Innentasche des Flügeloveralls. Es gab da eine Tasche, die von feinen Metallplättchen geschützt wurde, sodass der Schlüssel nicht zerbrechen konnte. Außerdem passte er gut dahinein – zu gut, als dass es ein Zufall sein konnte.

»Ich habe ebenfalls ein Geschenk für dich«, erklärte der Kater plötzlich. »Das ist allerdings noch seltsamer. Deshalb trinkt zunächst einmal eure Limonade.«

Gehorsam griffen Len und ich nach unseren Gläsern. Erstaunlicherweise setzte sich auch der Kater vor sein Glas und schnupperte misstrauisch am Sekt. Unwillkürlich musste ich lächeln. Wenn meine Mutter mich jetzt sehen könnte! Wie ich Alkohol trank, mich am Abhang einer Schlucht lümmelte, zusammen mit einem sprechenden Kater…

Der Sekt schmeckte überhaupt nicht süß wie der, den ich von zu Hause kannte. Trotzdem schmeckte er. Der Kater leckte mit angewidertem Gesicht ein viertel Glas aus, bevor er sich schließlich über die Wurst hermachte. Len und ich stürzten uns ebenfalls auf die Fressalien. In meinem Kopf rauschte es.