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Es ist ziemlich merkwürdig, wie ein Blinder durch die Finsternis zu tapsen. Du verlierst dabei jedes Gefühl für Entfernung und Zeit. Einzig und allein die Steine, auf die du hin und wieder trittst, beweisen dir, dass du dich überhaupt fortbewegst.

Die Arme hatte ich ausgestreckt, denn ich fürchtete, jeden Moment auszurutschen. Schon bald hörte ich jedoch Wasser plätschern, kurz darauf spürte ich unter meinen Füßen feuchten Sand.

Ich hockte mich hin und trank gierig das kalte, saubere Wasser. Danach trat ich ein paar Schritte zurück, nur so viel, dass ich den Bach immer noch hören konnte, und streckte mich auf dem Rücken im Gras aus, das so hoch war, dass es quasi ein Dach über mir bildete.

Es gab absolut nichts, was ich hätte tun können. Bisher war mir überhaupt nicht klar gewesen, wie sehr solches Nichtstun schlaucht. Ich lag bloß da, lauschte auf das plätschernde Wasser und den heulenden Wind irgendwo hoch über mir. Und vermutlich lag ich ziemlich lange so da. Irgendwann schlief ich wieder ein.

Bis mich Schritte weckten. Ich wollte schon etwas rufen, um den Kater auf mich aufmerksam zu machen, begriff aber im letzten Moment, dass es nicht seine Schritte waren. Dazu waren sie viel zu schwer. Das waren die Schritte eines Menschen.

Sofort bekam ich wieder Angst.

Die Schritte näherten sich von zwei Seiten. Ein paar Meter von mir entfernt trafen sie sich.

»Hier ist niemand«, nörgelte jemand.

»Hier auch nicht.«

Obwohl ich die beiden verstand, hatte ich den seltsamen Eindruck, sie unterhielten sich in einer Fremdsprache. Außerdem brachten diese brummeligen, tiefen Stimmen mich halb um den Verstand. Wie erstarrt blieb ich liegen, höllisch darauf bedacht, mich ja nicht zu rühren.

»Absolut niemand. Komisch, dabei hat die Patrouille doch ein Licht gesehen.«

»Die Patrouille hat ein Wahres Licht gesehen.«

»Das kann nicht sein.«

»Aber die Patrouille hat es doch gesehen.«

»Hier ist kein Licht. Hier ist niemand.«

»Der, von dem das Licht ausging, ist längst weggeflogen.«

»Oder in den Bergen verschwunden. So hoch sind die hier ja nicht.«

»Mit Sicherheit fangen wir uns jetzt einen Rüffel ein, weil wir nicht schnell genug waren.«

»Schöne Aussicht! Lass uns einfach behaupten, es wäre der Flügelträger gewesen, der gestern geflohen ist.«

»Dann wird man uns fragen, wo sein Herz ist.«

»Dann erklären wir eben, er habe sich gewehrt. Und deshalb seien wir gezwungen gewesen, das Tal mit Schwarzem Feuer zu versengen.«

»Wir können doch das Schwarze Feuer nicht einfach so vergeuden.«

»Das ist immer noch besser, als wenn sie uns drankriegen, weil wir zu langsam gewesen sind.«

»Stimmt. Hast du Schwarzes Feuer?«

»Ja, im Turm.«

»Ich habe keins mehr. Also gut, wir fliegen zu dir, holen das Feuer und zünden das Tal an.«

»Dann los.«

Als die Stimmen schwiegen, spürte ich wieder die Finsternis, die absolut undurchdringliche Düsternis. Zwei riesige Flügelpaare schlugen. Wind, in dem ein ätzender Menschengeruch lag, peitschte mir ins Gesicht. Die Wesen der Finsternis stiegen in den Himmel auf.

Die nächsten Minuten lag ich stocksteif da und versuchte mir einzureden, ich hätte einen Albtraum gehabt. Doch der scharfe Geruch hing noch immer in der Luft, und an der Stelle, wo die beiden gestanden hatten, ertastete ich herausgerissene Grasbüschel.

Auf keinen Fall wollte ich die Rückkehr derjenigen abwarten, die hier das Gras samt Wurzeln herausgerissen hatten. Noch weniger Wert legte ich darauf, dieses Schwarze Feuer kennenzulernen – was auch immer sich dahinter verbergen mochte.

Als ich aufstand, schien sich alles um mich herum zu einem Käfig aus Dunkelheit und Angst zusammenzuziehen. Ach, Kater, Kater! Hast du wirklich nicht gewusst, wohin uns diese Verborgene Tür führt?

»Ich habe keine Angst«, verkündete ich laut. Die Dunkelheit antwortete mir nicht. »Ich bin schon groß. Ich klettere jetzt auf die Felsen, so hoch sind die hier ja nicht.«

Die Dunkelheit schwieg.

Mit vorgestreckten Armen stapfte ich am Bach entlang. Die Finsternis folgte mir. Es ging recht steil aufwärts. Aber weil das Wasser kein Geräusch machte wie bei einem Wasserfall, konnte die Felswand wohl kaum senkrecht sein. Mein sechster Sinn sagte mir, ich solle neben dem Wasser hochkraxeln, damit sein leises Rauschen meine Bewegungen übertönte.

Als ich über den Stein tastete, fand ich einen lächerlich schmalen Vorsprung, auf den ich trotzdem raufkletterte. Dann kam der zweite. Ich hielt mich an einem Strauch fest, der zum Glück nicht pikte, und bewältigte den nächsten Meter. Alles in allem ließ sich die Sache ganz gut an, vor allem weil ich gar keine Vorstellung hatte, wie hoch ich eigentlich war.

»Ich falle nicht«, flüsterte ich wem auch immer zu. »Hört ihr mich? Ich falle nicht. Wo hätte es denn so was schon gegeben – dass man in eine Zauberwelt gerät und dort dann gleich von einem Berg abstürzt!«

Unter meinem Fuß gab ein Stein nach. Mir stockte der Atem. Von da an bewegte ich mich lieber schweigend weiter. Als ich mir nach zehn Minuten mit der Hand über den Mund fuhr, schmeckte ich Blut. Ich hatte mir die Finger am Fels aufgeschürft. Meine nackten Füße vermutlich auch, aber ich spürte keinen Schmerz. Und da ich nicht wie eine Kakerlake an einer Mauer hängen konnte, musste ich die Felswand ja sowieso weiter erklimmen.

Nach fünf Minuten war ich am Ende meiner Kräfte und wusste, dass ich früher oder später abstürzen würde. Genau in dem Moment gelangte ich zu einem kleinen Vorsprung. Ich presste mich fest gegen den Stein, setzte mich hin und ließ die Beine in der Finsternis baumeln. Wie hoch ich wohl geklettert war? Fünf Meter? Oder zehn? Na ja, garantiert nicht weit genug, um mich vor dem mysteriösen Feuer dieser fliegenden Kreaturen in Sicherheit zu bringen.

Ich zog mein Unterhemd aus und presste es mir nacheinander auf Hände und Füße und wartete jeweils ein paar Minuten, bis kein Blut mehr floss. Durch den Anstieg war ich ins Schwitzen geraten, die Kälte spürte ich jetzt nicht mehr. Ich ließ das zerrissene und feuchte Unterhemd auf dem Felsabsatz liegen und setzte den ersten Gipfelsturm meines Lebens fort. An dem rauschenden Wasser links von mir orientierte ich mich. Einmal verirrte ich mich an eine Stelle, wo mir bereits Spritzer auf den Kopf prasselten. Als ich spürte, wie glitschig die Felsen hier waren, versuchte ich vorsichtig, wieder nach rechts zu kommen. Sobald ich einen sicheren Vorsprung fand, machte ich jedes Mal eine kurze Pause, danach kletterte ich weiter. Die Finsternis kroch mir nach, verbarg die Höhe vor mir und verschlang die Zeit. Vielleicht dauerte der Anstieg eine halbe Stunde, vielleicht zog er sich auch ein paar Stunden hin, keine Ahnung. Das Einzige, was ich mit Sicherheit wusste, war, dass ich noch nie so müde gewesen war.

Plötzlich hörte ich Flügelschläge. Die beiden Wesen der Finsternis schwebten fast auf meiner Höhe. An die Felswand gepresst, vernahm ich ein pfeifendes Flüstern: »Gieß es aus!«

Sehen konnte ich nichts, nur ein Knistern hörte ich, das klang, als würden im ganzen Tal trockene Äste knacken. Irgendwann zischte das Wasser im Bach. Heiße, glühende Luft schlug in die Höhe.

Die Felsen unter mir fingen in null Komma nichts an zu glühen. In der sengenden Hitze bekam ich kaum noch Luft. Aus dem Tal zog Wind herauf und zerzauste meine Haare. Irgendwann merkte ich sogar, wie der Schorf an meinen Füßen abbröckelte.

Alles hörte genauso abrupt auf, wie es angefangen hatte. Die Flügelgeräusche verschwanden, die Temperatur fiel wieder. Ich klebte an der Felswand und brach quasi nachträglich in Schweiß aus.

Das Schwarze Feuer erlosch. Als unter mir das Tal in purpurroten, fast schwarzen Flammen gestanden hatte, hatte ich immerhin gesehen, wie hoch ich inzwischen geklettert war. Mindestens fünfzig Meter! Zurück konnte ich jetzt nicht mehr. Also dann: Weiter nach oben!