Außerdem: Auf eine andere Stadt, das ginge sowieso nicht. Das wäre hundsgemein.
»Wer soll denn das Feuer ausgießen?«, fragte ich den Kater mit einer Selbstverständlichkeit, als ob die Flaschen mit dem Zeug schon einsatzbereit im Schrank standen.
»Du«, antwortete der Kater wie aus Pistole geschossen. Als er mein Gesicht sah, fügte er rasch hinzu: »Ich kann es nicht, rein körperlich. Meine Pfoten würden mir den Dienst verweigern – schließlich ist es ja etwas Böses. Und das ist gegen meine Natur. Und Len sollte es nicht machen, denn darauf wartet die Finsternis doch nur. Da bleibst nur du, Danka, versteh das doch.«
Ach ja, ich musste ja immer alles verstehen…
»Bist du wütend auf mich, Danka?« Der Kater verlangte, dass ich ihn ansah.
»Das habe ich mir inzwischen abgewöhnt.«
Wir besprachen noch verschiedene Punkte, doch im Grunde kam es auf die nicht mehr an, das war bloß Kleinkram. Die Entscheidung stand ja schon fest. Wenn mir doch bloß noch eine andere Lösung einfiele…
Ich ging in mein Zimmer und schaute mit dem Wahren Blick in den Spiegel. Ich sah, dass mein erwachsenes Ich lächelte. Nur ganz leicht und ein bisschen traurig. Aber es lächelte.
Der Kater hatte schon gewusst, wen er unter seine Fittiche nehmen musste.
Ich knüpfte das Schwert des Tuak vom Gürtel und auch die leere Scheide des Wahren Schwerts und hängte beides an die Wand. Das Wahre Schwert hatte sich noch nicht wieder materialisiert, sondern wartete weiterhin auf seine große Stunde. Wenn es endlich auftaucht, dachte ich, werde ich der Versuchung, es sofort zu ziehen, bestimmt kaum widerstehen können.
Aber gut, darüber konnte ich mir den Kopf zerbrechen, wenn es so weit war.
Ich setzte mich aufs Bett und schaute mit einem Blick voller Hass auf das Fenster mit der Gardine davor. Am liebsten hätte ich die Vorhänge zurückgezogen und… nein, nicht die Sonne, es war ja sowieso Nacht… aber die Sterne, die wenigstens hätte ich gern gesehen. Viele und hell leuchtende Sterne, so wie in den Bergen. Und den Mond. Ob es hier nur einen Mond gab oder mehrere? Irgendwann hatte ich mal geträumt, ich würde nachts in einem See baden. Als ich da nach oben schaute, sah ich über mir einen ganzen Haufen Monde, jeder in einer anderen Farbe. Eigentlich schade, dass es so was nur im Traum gab.
Aber hier… Selbst wenn es hier eine ganze Handvoll Monde gäbe, würde doch eine Kleinigkeit fehlen: die Sonne.
Ich hörte, wie die Tür quietschte, und wandte mich vom Fenster ab. Len steckte seinen Kopf ins Zimmer.
»Schläfst du schon?«, fragte er, warum auch immer. Ach ja, ich hatte das Licht nicht angemacht, und Len trug keine Brille.
»Komm rein.« Ich klatschte in die Hände, doch aus irgendeinem Grund gingen die Lampen nicht an.
»Meine funktioniert auch nicht.« Trotzdem durchquerte Len mit sicheren Schritten das Zimmer und setzte sich auf den Bettrand. »Ich hätte sie längst austauschen sollen, noch bevor wir losgezogen sind. Morgen werde ich im Lager vorbeischauen und…«
»Hmm«, brummte ich nur.
Len wusste nicht, was er sagen sollte, und ich war mit einem Mal auch verlegen. Es war irgendwie, als säße er mit verbundenen Augen da und spräche mit mir.
»Die Dinger müssen wirklich ersetzt werden«, sagte ich und verzichtete auf meinen Wahren Blick. »Sonst sitzen wir ja in der Dunkelheit… Hast du vielleicht Kerzen?«
»Unten. Soll ich sie holen?«
»Ach, egal, wir müssen eh bald schlafen. Len?«
»Was?«
»Das vorhin tut mir leid…«
»Schon gut, ich verstehe es ja… Ich möchte dir gern was sagen, Danka, aber nimm’s mir bitte nicht übel.«
Mir schwante nichts Gutes. »Ja?«
»Ich werde das Schwarze Feuer ausgießen.«
»Warum denn das?«
»Es ist meine Stadt. Wenn du sie anzündest, wirst du unser Feind. Dann bist du nur noch ein Fremder, der mit seiner eigenen Wahrheit hierhergekommen ist. Versteh das bitte nicht falsch!«
»Und wenn du die Stadt anzündest?«
»Dann werde ich zum Verräter. Aber in meinen Augen verrate ich nicht die Stadt und nicht die Menschen, denn ich liebe sie ja. Ich verrate unser bisheriges Leben. Wenn wir scheitern, bleibe ich ein Verräter. Aber wenn unser Vorhaben glückt und unser Leben sich ändert, dann gelte ich nur als Rebell.«
»Als Freiheitskämpfer«, bestätigte ich. »Aber wie willst du dich gegen die Finsternis wehren, Len?«
»Das schaffe ich schon«, knurrte Len. »Bist du einverstanden, Danka?«
»Lass uns erst mal das Schwarze Feuer holen. Danach sehen wir weiter.«
»In Ordnung«, sagte Len ohne Widerrede.
»Hast du Angst?«, fragte ich.
Er zappelte etwas herum und sagte dann: »Es ist so dunkel… Früher hatte ich nie Angst vor der Dunkelheit, Ehrenwort. Aber jetzt ist es so… als würde sie nur darauf warten, mich anzuspringen.«
»Weißt du was«, schlug ich vor, »schlaf doch einfach hier.«
»Darf ich wirklich?«
»Klar.«
Nur zu gern streckte sich Len im Bett aus. »Mit dir zusammen habe ich keine Angst mehr«, meinte er und klang schon viel fröhlicher. »Ich wollte schon den Kater zu mir rufen, aber der sitzt unten und liest.«
»Der Herr Professor«, spottete ich. »Len, wir müssen morgen Patrouille fliegen, da dürfen wir nicht verschlafen.«
»Ich wache immer früh auf«, versicherte Len schläfrig. »Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Ich schloss ebenfalls die Augen und legte mich hin. Mein Junior atmete gleichmäßig neben mir, ansonsten herrschte Totenstille. Gute Nacht… Was für ein alter Wunsch! Vielleicht haben sich sogar schon die Urmenschen eine gute Nacht gewünscht, bevor sie sich hingelegt haben. Und bestimmt haben sie genau wie wir daran geglaubt, dass dieser Wunsch sie vor jedem Unglück bewahrt.
Ob der Gutenachtwunsch wohl irgendjemandem hilft, wenn ich die Flasche mit dem Schwarzen Feuer über der Stadt ausgieße?
Denn egal, was Len gesagt hatte: Er durfte die Stadt auf keinen Fall anzünden.
3. Das Schwarze Feuer
Der Kater steckte den Kopf aus dem Ausschnitt des Flügeloveralls. »Wie lange wollen wir das Ganze denn noch hinauszögern?«, fragte er mürrisch.
Ich antwortete nicht. Schon seit einer halben Stunde schwebten wir über dem Turm der Freiflieger, ohne einen von ihnen zu entdecken. Ein paar Mal war Len im Sturzflug nach unten gegangen, hatte eine Runde um den Turm gedreht und war danach wieder zu uns hochgestiegen. Hätte es im Turm viele Freiflieger gegeben, wären sie ihm mit Sicherheit hinterhergejagt.
»Danka! Wie lange noch?«, wiederholte der Kater.
Ich sah Len an, legte die Flügel kurz an und ging tiefer. Langsam wuchs der Turm uns entgegen – als ob nicht wir sanken, sondern die Felsen sich aufblähten.
Normalerweise errichteten die Freiflieger ihre Türme in der Nähe von Seen, Flüssen oder Sümpfen. Dabei waren sie auf das Wasser überhaupt nicht angewiesen. Vielleicht verlangte es ihre Tradition oder es entsprach ihren Vorstellungen von Schönheit.
Dieser Turm dagegen stand mitten im Gebirge, Wasser gab es ringsum keines. Er hieß der Runde Turm, obwohl niemand sagen konnte, was an ihm runder war als an den anderen Türmen. Hierher war Kurt, der Ex-Senior von Len, geflogen, als er beschlossen hatte, ein Freiflieger zu werden. Vermutlich hatte Len deshalb vorgeschlagen, ihn anzugreifen.
Wir landeten auf der Plattform oben an der Spitze des Turms. Drei schmale Steinsäulen trugen ein Holzdach, eine Konstruktion, die an einen Schellenbaum erinnerte. Die Bretter waren bereits durchgefault, die Plattform zugemüllt und in Vertiefungen im Boden stand Wasser. Die Luke, durch die man nach unten gelangte, war halb offen.