»Was sagst du zu dem Plan, Danka?«, fragte der Kater.
Ich zuckte bloß die Achseln. Was hätte ich mich streiten sollen? Es waren ja eh alle dafür. Sogar Gert.
»Vielleicht werde ich auf meine alten Tage noch einmal die Sonne sehen…« Gert deutete ein Lächeln an und streichelte den Kater. »Was meinst du?«, fragte er ihn.
»Ich glaube schon.«
Darum ging es ihm also, um die Sonne, an die niemand mehr glaubte. Gert wollte allen beweisen, dass er keinen Unsinn dahergeschwafelt hatte. Dafür würde er sogar seine Stadt anzünden…
Ich schielte zu Len rüber. Würde er noch einmal versuchen, mich davon abzubringen, das Schwarze Feuer abzuwerfen? Nein, er schwieg. Auch gut.
Dann würden am Ende alle die Schuld auf mich schieben.
Was ja auch stimmte, schließlich hatte ich den Kater mitgebracht.
Wir beschlossen, die Sache in einer Stunde in Angriff zu nehmen, da würde es schon spät und die Straßen leer sein. Klar, dabei beobachten konnte man mich auch dann noch, aber dieses Risiko mussten wir eingehen.
Die Zeit zog sich in die Länge wie am Silvesterabend. Wir tranken Tee und Gert fragte mich noch einmal über den Turm der Freiflieger aus und über das Wahre Schwert. Ich zeigte ihm die leere und leichte Scheide. Irgendwann brummte Len, er würde mal kurz nachsehen, ob noch viele Leute unterwegs waren. Er ging hinaus, wir unterhielten uns weiter. Wir Idioten!
Mir fiel als Erstem auf, dass mein Junior verdammt lange wegblieb. Ich schaute in die Ecke hinüber. Lens Tasche lag noch dort, wirkte allerdings ziemlich schlaff. Ich ging hinüber und öffnete sie.
In der Tasche lag ein eingerollter alter Flügeloverall.
Mehr nicht.
4. Das Duell
Finsternis hing über der Stadt. Von den Bergen wehte ein kalter, böiger Wind herüber, selbst durch den Flügeloverall drang die eisige Kälte in meinen Körper. Der Himmel war leer, weder mit der Brille noch mit dem Wahren Blick konnte ich Len entdecken.
Wir standen auf der Abflugplattform des Turms und spähten in alle Richtungen, als erwarteten wir, Len würde gleich zurückkehren und uns das Schwarze Feuer wieder aushändigen.
»Er darf die Stadt unter keinen Umständen anzünden«, meinte Gert traurig. »Nicht er…«
»Richtig«, pflichtete der Kater ihm bei.
»Warum hast du Len dann überhaupt gehen lassen?«, fragte ich. Nicht aus Bosheit, sondern weil ich mir wirklich sicher war, dass der Sonnenkater gesehen hatte, wie Len das Schwarze Feuer aus der Tasche holte.
»Spar dir deine Anklagen, Danka!«, erwiderte der Kater. »Ich hatte keine Ahnung, was er im Schilde führte! Nicht mal im Traum habe ich daran gedacht, Len in diesen Einsatz zu schicken! Wo waren denn deine Augen, Senior?«
»Meine Augen! Die liegen auf dem Platz im Dreck! Und für die neuen bin ich nicht verantwortlich, die sind schließlich aus Licht!«
»Pst!«, ermahnte Gert uns. »Da kommt Len!«
Len sank im Sturzflug tiefer und tiefer, ein winziger Fleck nur, der sich kaum vom Himmel abhob. Hundert Meter über dem Boden breitete er die Flügel aus, erst nur ein wenig, dann voll. So bremste er ab, als hinge er an zwei kleinen Fallschirmen. Als ich mir vorstellte, wie der Wind auf Lens Arme einpeitschte, taten mir selbst die Schultern weh.
Erst unmittelbar über unseren Köpfen schlug Len mit den Flügeln und landete so sanft auf dem Turm wie sonst auch.
Unser Anblick erstaunte ihn in keiner Weise. Er legte die Flügel an und kam zu mir.
»Weshalb hast du das gemacht?«, fragte ich leise.
Len zuckte nur die Schultern. »Wolltest du das denn nicht?«
Wie kam er denn darauf? Ich hatte die Stadt nicht selbst anzünden wollen – das war ja wohl was anderes. Aber einer musste es tun. Da hatte Len eben für mich entschieden.
Und er konnte für mich entscheiden, weil ich mich in der Tat nicht um diese Aufgabe gerissen hatte.
»Wo sind die Flaschen?«, fragte der Kater in scharfem Ton.
Len wies mit einer unbestimmten Geste zum Himmel. »Da oben. Sie fallen noch. Der Wind ist stark. Keine Ahnung, wo sie runterkommen.«
Unwillkürlich trat ich einen Schritt von Len weg. Denn ich hatte mich erinnert, wer in so kurzen, abgehackten Sätzen sprach.
Lächelnd ließ Len den Blick zwischen dem Kater und mir hin- und hergleiten.
»Runter vom Turm«, sagte er. »Die Flaschen schlagen gleich auf. Nicht, dass wir sie abkriegen!«
Ich schüttelte nur den Kopf. Lens Gesicht sah ganz normal aus und bis auf seine Art zu sprechen schien er auch sonst der Alte zu sein. Trotzdem sah ich ihn mir lieber nicht mit dem Wahren Blick an.
»Wir müssen ins Haus«, wiederholte Len.
»Nein.« Ich brachte das Wort mit einer Erleichterung heraus, die mich überraschte, denn ich wusste nur zu gut, dass diese Entscheidung nicht klug war. Genauso gut wusste ich aber auch: Ich würde es mir nicht anders überlegen. »Ich bleibe hier.«
»Ich bleibe auch hier, Danka.« Gert legte mir die Hand auf die Schulter und warf mir dabei einen ernsten Blick zu.
Der Kater fing an, herumzuzappeln, sagte jedoch kein Wort, sondern lief bloß zwischen uns herum und schmiegte sich an unsere Beine.
»Gut«, meinte Len schließlich, »bleiben wir hier.«
Rund eine halbe Minute warteten wir und sahen einander an, trauten uns aber nicht, nach oben zu schauen. Der Wind zerzauste Lens Haare, sodass sie ihm in die Augen fielen, aber er schien das gar nicht zu merken. Jedes Detail dieses Moments prägte sich mir ein…
Als Erstes fing ein Gebäude Feuer, das ich kannte: der Seniorclub. Dunkle Flammen ergossen sich in null Komma nichts über das ganze Dach, das Knistern brennenden Holzes wirkte in der Stille so laut wie das Rattern eines Maschinengewehrs.
Aber vielleicht wird es ja gar nicht so schlimm, beruhigte ich mich selbst. Schließlich ist es keine Atombombe. Noch nicht mal Napalm.
Die Flammen schienen auf diesen Gedanken bloß gewartet zu haben. Das Schwarze Feuer schlingerte entlang der Mauern abwärts und strömte über das Kopfsteinpflaster, um sich über das Nachbarhaus herzumachen. Hier loderte es zum zweiten Mal auf, jetzt schon viel näher, nämlich nur noch hundert Meter von uns entfernt. Eine Hitzewelle schlug mir ins Gesicht und das flache, quadratische Gebäude am Ende der Straße krachte in sich zusammen. Auf einen Schlag, als wäre drinnen eine gigantische Bombe explodiert.
»Das ist das Waffenlager!« Gerts Stimme klang verzweifelt. »Wie hast du es nur geschafft, so genau zu zielen, Len?«
Ich drehte mich um, obwohl ich den Blick kaum vom Feuer reißen konnte, und bemerkte das verlegene Lächeln im Gesicht meines Juniors. So lächelte nur jemand, der ein unverdientes, aber dickes Lob eingeheimst hatte.
»Ich hab nicht gezielt… Der Wind und das Schicksal… so funktioniert es doch, oder, Gert?«
Gert schwieg. Das hat er nun davon, dachte ich.
»Der Wind und das Schicksal«, flüsterte der Kater. »Bewusst hast du natürlich nicht gezielt…«
Da krachte es zum dritten Mal, auch diesmal ziemlich nah, ebenfalls irgendwo am Stadtrand. Gerts Gesicht erbleichte, alle Entschlossenheit und Kraft wich daraus. Mit einem Mal sah er wie derjenige aus, der er absolut nicht sein wollte: ein tatteriger alter Mann.
»Die Wohnviertel…« Das Lächeln verschwand von Lens Gesicht.
Gert flüsterte etwas und stürzte die Treppe hinunter. Ich wollte ihm schon nachrennen, aber im letzten Moment fiel mir ein, dass wir ja schneller zum Ziel gelangen konnten. Ich spreizte die Flügel und sprang vom Turm.
»Tu das nicht!«, schrie der Kater. Ich hörte nicht auf ihn. Mit den Flügeln schlagend, stieg ich höher und höher, bis mich ein Strom heißer Luft erfasste, der von dem brennenden Waffenlager herüberwehte und weitereilte, um das nächste Feuer zu entfachen. Erst jetzt, eine Minute nachdem die erste Flasche aufgeschlagen war, durchriss ein Schrei die Stille.