So legte ich einen schwarzen Felsblock frei, von dem kaltes schwarzes Licht ausging.
»Das… das ist kein Sonnenstein«, erklärte Shoky. »Was ist das, Danka?«
Woher sollte ich das denn wissen? Ich schaute mich noch einmal um. Die Sessel standen im Kreis, der Felsblock lag in ihrer Mitte. Was hatten die Freiflieger in diesem Raum getan? Gebetet und dem schwarzen Stein einen heiligen Eid geleistet? Sich in den Eisstrahlen gewärmt? Sich von ihm »ernährt«, wie es der Sonnenkater ja auch mit Licht machte? Oder sich einfach entspannt? War das vielleicht ein Stein der Finsternis? Gab es so etwas überhaupt? Und wenn ja, was hatte es damit auf sich?
Ich versuchte, die Kälte zu ignorieren, die mir bis auf die Knochen drang, und näherte mich dem Stein wieder. Ich hockte mich neben ihn. »Kannst du vielleicht sehen und denken?«, fragte ich leise. »Denn wenn ich es hier mit Zauberei zu tun habe, ist schließlich nichts unmöglich, oder?«
Meine Hände und mein Gesicht wurden ganz taub, aber auch darum kümmerte ich mich nicht. Ich musste verstehen, was es mit dem Stein auf sich hatte, musste es einfach herauskriegen…
Den Flügelträgern jagte er eine Heidenangst ein, aber mir nicht. Ehrenwort. Ich hatte es verlernt, vor etwas Angst zu haben. »Was ist, Stein, leuchtest du vielleicht einfach andersrum? Schluckst du Licht, anstatt es auszusenden?«
Du leuchtest andersrum…
Ich streckte die Hand aus und berührte die schwarze Oberfläche. Sofort versengte ein höllischer Schmerz meine Finger, als steche jemand spitze Nadeln in meinen Körper und sauge mir alles Blut raus.
Es tat weh. Es war dunkel. Und leer.
Schlagartig begriff ich alles: Was es mit einem Sonnenstein auf sich hatte und warum Licht und Finsternis gegeneinander kämpften und wer mein Wahrer Feind war. Aber schon im nächsten Moment war mir dieses Wissen wieder entglitten. Der Stein unter meiner Hand vibrierte, als wollte er bersten.
Da fiel plötzlich Licht – warmes, gutes, fröhliches Wahres Licht – in den Keller. Ich verstand nicht auf Anhieb, dass jetzt nicht mehr Kälte meine Hand verbrannte, sondern Hitze, denn beides fühlte sich zum Verwechseln ähnlich an! Genau wie eben spürte ich spitze Nadeln, die mich jedoch diesmal mit Wärme vollpumpten.
»Licht…« Shokys Stimme zitterte. »Das war ein Fluch der Freiflieger. Hast du ihn aufgehoben, Danka?«
Shoky hielt sich immer noch die Hand vor die Augen, aber jetzt, um sich vor dem blendenden Licht zu schützen. Ob ich wollte oder nicht, ich musste lächeln.
»Ja, Shoky«, antwortete ich freundlich und ein wenig besserwisserisch, wie ich es manchmal auch tat, wenn ich mit Len sprach. Dann beugte ich mich zu dem Sonnenstein hinunter. »Dir ist es egal«, flüsterte ich, damit die Flügelträger mich nicht hörten, »welches Licht du aussendest, nicht wahr? Du hast es gut. Denn für dich ist alles einfach.«
Der Sonnenstein antwortete nicht. Möglicherweise konnte er mich ja tatsächlich hören, aber sprechen – das konnte er mit Sicherheit nicht. Ich wärmte mir die Hände über ihm, bevor ich aufstand. Shoky und sein Junior starrten wie hypnotisiert auf das Licht. Sie kriegten nicht mal mit, wie sich Risse in den Kellerwänden auftaten, wie ganze Steine knirschend zu Sand zerfielen.
»Gehen wir, Flügelträger«, forderte ich sie auf. »Der Turm der Freiflieger ist an dieses Licht nicht gewöhnt. In fünf Minuten stürzt er ein. Weg hier!«
Der Hauptturm der Freiflieger war schon aus weiter Ferne zu erkennen. Eine schwarze Nadel, die sich in den Himmel bohrte und die bald schrumpfte, bald wuchs, je nachdem ob unser Pfad uns bergauf oder bergab führte. Verzweifelt hofften wir, noch nicht entdeckt worden zu sein.
Len, der Kater und ich liefen am Ende der Kolonne. Als die kleine Armee aus Flügelträgern und Erwachsenen das nächste Mal Rast machte, aßen wir endlich etwas, bevor der an der Spitze marschierende Shoky zu uns kam.
»Ich glaube, die haben uns gesichtet«, teilte er umstandslos mit.
Der Kater sah Shoky mit einem ironischen Blick an. »Wie kommst du denn darauf?«, höhnte er.
»Das spüre ich.« Shoky nahm dem Kater seinen Ton nicht übel.
»Die haben uns schon seit Langem entdeckt«, erklärte der Kater. »Glaubst du etwa, es war ein Zufall, dass in dem Turm, wo Danka den Sonnenstein gefunden hat, so viele Freiflieger waren? Das war ihre letzte Warnung.«
»Ach ja?« Shokys Miene verfinsterte sich.
»Wir müssen uns jetzt teilen«, fuhr der Kater fort. »Wir haben unser Ziel, ihr eures.«
Ich entfernte mich ein Stück von ihnen und hockte mich auf den Boden. Der Kater erklärte Shoky immer wieder Punkte, über die wir uns längst geeinigt hatten. Len blieb noch eine Weile bei ihnen stehen, kam dann aber zu mir und setzte sich neben mich.
»Habt ihr hier Regen?«, fragte ich, während ich zu der dichten, grauen Wolkendecke hinaufschaute.
»Nur sehr selten«, antwortete Len.
»Wenn wir gewinnen, wird es auch wieder öfter Regen geben.« Plötzlich wollte ich ihm unbedingt etwas anderes versprechen als den unvermeidlichen Kampf im Turm.
»Schön«, meinte Len. Nachdenklich fügte er hinzu: »Es ist wahrscheinlich ziemlich dämlich, die ganze Zeit wie wild zu kämpfen und kurz vor Schluss zu sterben.«
»Wovon redest du denn da?« Meine Alarmglocken schrillten.
»Ich werde das Ende nicht miterleben, Danka«, sagte Len. »Das weiß ich.«
»Hör auf damit…«
»In mir drin wird es immer kälter«, sprach Len weiter, als hätte er mich nicht gehört. »Inzwischen jagt mir das nicht mal mehr Angst ein. Du weißt, was das heißt?«
Ich nickte. Warum sollte ich mich dumm stellen?
»Denk an den Schlüssel.« Als Len mir unvermittelt auf die Schulter klopfte, zuckte ich zusammen. Dabei war das eine völlig übliche Geste – nur eben nicht für Len. »Wenn die Flügel sterben, stirbt auch der, der sie trägt.«
Ich wollte ihm sagen, dass ich den Schlüssel nicht zerbrechen würde, niemals, unter gar keinen Umständen. Aber ich fürchtete, Len könnte die Lüge spüren. Deshalb schwieg ich.
»Denk an den Schlüssel«, wiederholte Len.
Schließlich kam der Kater zu uns, wir saßen beieinander und beobachteten, wie die Flügelträger und die Erwachsenen über den Pfad zogen.
Wir mussten über Berge kraxeln, über die kein Pfad mehr führte. Obwohl wir nur langsam vorwärtskamen, hetzte der Kater uns nicht. Wenn er nicht in Lens Armbeuge saß, krabbelte er ihm in den Ausschnitt und schlief dort, wobei er nur hin und wieder mal auftauchte, um uns den Weg zu weisen. Selbst als wir unser Nachtlager aufschlugen, wich der Kater meinem Junior nicht von der Seite. Schließlich wurde es mir zu bunt, und ich fragte ihn, was das sollte.
»Das ist meine Tarnung«, erklärte der Kater bereitwillig. »Mein Licht können die Freiflieger ohne Weiteres spüren, aber wenn ich in Lens Nähe bin, löscht er es.«
»Und ich tu das nicht?«
»Mit dir ist doch alles in Ordnung«, mischte sich Len plötzlich ein. Er streckte sich auf dem nackten Fels aus und wollte schlafen. »Um zu sehen, dass in deinen Augen ein Licht schimmert, muss man dir direkt gegenüberstehen… Aber dein Kater leuchtet meilenweit, wenn ich sein Licht nicht neutralisiere…«
»Alles machst du dir zunutze, Kater«, sagte ich leise. »Selbst ein Unglück. Selbst den Kummer.«
Der Kater ging scheinbar gar nicht auf meine Worte ein. »Viele Jahre haben wir ehrlich und anständig gegen die Kräfte der Finsternis gekämpft. Haben niemanden getötet oder in den Tod geschickt und sind kein unnötiges Risiko eingegangen… Währenddessen ist die Finsternis bloß erstarkt. Jetzt reicht es. Wir kämpfen ehrlich, doch wenn wir von einer Situation profitieren können, warum nicht?«
»Vor allem, wenn man die entsprechende Situation so leicht herbeiführen kann. Willst du nicht lieber im Unterstand schlafen, Len?«