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Len zitterte wie im Fieber. Ich stellte mich neben ihn, aber das schien er gar nicht mitzukriegen.

»Du hättest damals keine Angst haben sollen, ein Freiflieger zu werden, Junior. Es ist gar nicht so schlimm, wie du denkst. Und es tut auch nur am Anfang weh. Aber das macht nichts, Len. Du bist eben auf deinem eigenen Weg zu uns gekommen. Für uns ist das kein Problem. Bloß das Licht kennt nur einen einzigen Weg, der gerade wie ein Strahl sein muss. In der Finsternis dagegen existieren Abermillionen von Wegen. So oder so wärst du irgendwann bei uns gelandet. Jetzt sind wir wieder zusammen.«

Ich sagte kein Wort, denn ich wusste, dass ich mich da nicht einmischen durfte.

»Ich habe dir deinen Schlüssel zurückgegeben, Junior, denn du hast Angst bekommen und wolltest umkehren. Du hättest ihn nicht wieder weggeben sollen. Danka wird ihn dir nicht zurückgeben. Stimmt’s, Danka?«

Len drehte sich um und sah mich an. Mir konnte nur eine Lüge helfen, das wusste ich. Genauso, wie ich wusste, dass ich auf gar keinen Fall lügen durfte.

»Ich werde ihn nicht hergeben. Es ist ein Geschenk. Solange ich lebe und solange du lebst, werde ich ihn nicht hergeben.«

»Da siehst du’s«, sagte Kurt. »Aber keine Bange. Wir retten dich, selbst wenn die Flügel deinen Körper umbringen. Du brauchst keine Angst zu haben, ich bin jetzt wieder dein Senior.«

Er trat dicht an Len heran und legte ihm die Hand auf die Schulter. Und Len bewegte sich nicht, er rückte nicht von ihm ab!

»Das könnte dir so passen«, zischte ich.

Len drehte sich zu mir um. »Danka…«, flehte er mich an.

Dann verstummte er.

Kurt redete weiter beschwörend auf ihn ein. »Du kannst Danka nicht so sehen wie wir. Sonst hättest du ihn schon früher durchschaut. Er ist erwachsen, hinterhältig und gnadenlos. Du hättest nie eingewilligt, sein Junior zu werden, wenn du ihn je so gesehen hättest. Wenn Danka selbst ein Freiflieger werden würde, wenn wir ihn nicht umbringen müssten… Ja, das würde natürlich alles ändern. Vielleicht würden wir dann sogar Freunde werden – wie das die Menschen nennen.«

»Wir werden nicht zu Freifliegern! Und wir sterben nicht!« Ich knallte die Hand wieder auf den Griff des Wahren Schwerts.

»Wenn du kein Freiflieger wirst, stirbst du.« Iwon fuchtelte mit den Armen und kalter Wind umwehte mich.

»Wir sind zu dritt!«, drohte Kurt mir.

»… und du ganz allein«, schloss Len leise.

Sollte es das gewesen sein?

Ich wich zurück, Richtung Mauer, Richtung der Spiegel, dorthin, wo die Kälte herkam.

Nein, noch war nicht alles verloren. Auf Len bräuchte ich natürlich mit dem Wahren Schwert nicht loszugehen. Schließlich hatte ich ja seinen Schlüssel.

Damit war die Frage: Wer von den beiden? Iwon oder Kurt? Derjenige, der damals als Strafe meine Menschenaugen verlangte, oder derjenige, der es jetzt auf meinen Freund abgesehen hatte?

Oder brauchte ich hier weder den Schlüssel noch das Schwert? Irrte ich mich?

Die Häuser, die im Schwarzen Feuer loderten.

Shoky, der weinte.

Der alte Gert, der das Licht nun doch nie wieder sehen würde.

Und war dieses Licht wirklich so sehenswert?

»Danka!« In Lens Stimme lag ein bittender und flehender Ton. »Lass uns mit ihnen mitgehen! Wir brauchen keine Angst zu haben! Sogar ich fürchte mich nicht…«

»Du bist ja auch nie ein Feigling gewesen«, antwortete ich meinem Junior. »Du konntest nur deine Angst nicht so gut verstecken wie andere. Und Angst haben wir alle. Sogar Kurt und Iwon. Jeder von ihnen fürchtet sich, dass ich das Wahre Schwert gegen ihn ziehe.«

Die Klinge klirrte, als ich sie aus der ledernen Scheide zog. Es war ein ganz normales Schwert. Es leuchtete nicht mit einem Zauberfeuer und sprang mir nicht aus der Hand, um meinen Feind zu ermorden.

Es war ganz einfach ein Wahres Schwert. Die Gesichter von Kurt und Iwon wurden kreidebleich.

Mit meiner freien Hand holte ich aus der Innentasche meines Flügeloveralls den Schlüssel. Als ich Lens Blick auffing, schüttelte ich den Kopf.

»Ich will ihn doch nicht zerbrechen, Len. Ich will ihn nur in der Hand halten – bis alles vorbei ist. Es ist ein Geschenk von dir – und ich habe noch nicht oft ein Geschenk von einem Freund bekommen. Denn bisher hatte ich keine Freunde.«

»Wofür brauchst du das Licht überhaupt, Danka?«, schrie Iwon. Er hatte vor Angst die Kontrolle über sich verloren.

»Ich weiß es nicht«, gab ich ehrlich zu. »Ich mag die Dunkelheit einfach nicht. Vielleicht kennt das Licht tatsächlich nur einen einzigen Weg – aber wenigstens sind alle anderen Wege in ihm sichtbar. Du brauchst keine Angst zu haben, Iwon. Und auch du, Kurt, weichst ohne Grund vor mir zurück. Das Wahre Schwert ist nicht für euch bestimmt. Ich habe meinen Wahren Feind gefunden.«

Sie blickten synchron zu Len rüber. Der starrte mich unverwandt an. Mein Junior stand ganz dicht neben mir, mit der Schwertspitze hätte ich ihn berühren können, ohne einen Schritt zu machen.

Doch ich drehte Len den Rücken zu und schaute in den Spiegel. Betrachtete mich selbst, mein erwachsenes und begriffsstutziges Ich. Das nicht verstand, warum ich den Schlüssel immer noch nicht zerbrochen und Iwon nicht mit dem Wahren Schwert umgebracht hatte.

»Also darauf würde es hinauslaufen, wenn ich mich erwachsen verhalte?«, sagte ich zu meinem Spiegelbild. »Du solltest nie etwas tun, das du für falsch hältst, und dich damit rausreden, dass Erwachsene es so machen.«

Daraufhin hämmerte ich mit dem Schwert auf den Spiegel ein, der in tausend feine Scherben zersplitterte. Jede einzelne von ihnen zeigte mein zitterndes, sterbendes Gesicht.

Es tat weh. Sehr weh.

Als ob sich Tausende von Nadeln überall in meinen Körper bohrten.

Die purpurroten Flammen der Fackeln brannten kurz matter. Ich hörte ein leises Geräusch, mit dem ein weiterer Spiegel zerbrach. Komischerweise spiegelte ich mich in dem schon gar nicht mehr. Weder so, wie ich jetzt war, noch als Erwachsener. Dann barsten nach und nach alle Spiegel, als wären sie miteinander verbunden. Silberne Funken wirbelten durch die Luft.

Scherben übersäten den Boden und im Raum war es jetzt viel dunkler. Dafür hatte sich jedoch auch die Kälte verzogen, die von den Wänden ausgegangen war.

»Wie bist du darauf gekommen?«, fragte Iwon erstaunt. »Egal! Dein Schwert ist weg. Dein Spiel ist aus.«

Stimmt, das Wahre Schwert war verschwunden. Es hatte sich so schnell und selbstverständlich dematerialisiert, dass ich gar nicht auf Anhieb begriff, dass meine Hand leer war. Den Schmerz spürte ich noch, der sickerte langsam von der Haut tief in meinen Körper ein. Unbeholfen tastete ich nach dem Gürtel und zog das zweite Schwert, die Arbeit des Gnoms Tuak.

»Das nützt dir nichts«, sagte Kurt. »Wir sind zu dritt. Wir sind stärker. Wirf das Schwert weg.«

Sie mussten jetzt nicht mehr wie Menschen reden.

Das Schwert mit beiden Händen vor mir hochhaltend, wartete ich ab. Kurt rückte von rechts an mich heran, Iwon von links. Nach einer Weile zog auch Len zögernd sein Schwert und folgte Iwon.

Ich strengte den Wahren Blick so sehr an, wie es ging, stieg aber trotzdem nicht hinter ihre Absichten. Vielleicht weil die Klingen der Freiflieger mit einem schwarzen Licht loderten, das mir in den Augen brannte.

»Wir sind in der Überzahl.« Iwon grinste, aber irgendwie krampfig, sozusagen aus alter Gewohnheit. »Du hast verloren.«

»Wir sind gleich stark – und verloren habt ihr«, meinte Len da plötzlich.

Sofort schlug er auf Iwon ein, der sich gerade zu ihm umdrehte.

Lens Schwert war eine ganz normale Klinge, und er rammte sie seinem Gegner nicht sehr tief in den Körper, höchstens zehn Zentimeter. Doch die kleine Wunde genügte völlig. Iwon schrie noch, mit einer wimmernden Stimme, als sein Körper bereits anfing, zu versteinern.