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Jetzt stand uns nur noch Kurt gegenüber. Er sprang auf Len zu und seine Klinge aus blendender Finsternis bohrte sich in die Brust meines Juniors.

»Du warst schon immer viel zu romantisch!«, rief er, während er zustieß.

Ich stand nur da wie erstarrt und beobachtete, wie Len auf den scherbenbedeckten Boden sackte und aus seiner Brust ein Rauchfaden aufstieg, der sich nur mit dem Wahren Blick erkennen ließ. Die Schwerter der Freiflieger nehmen ihren Opfern immer etwas. Aber anscheinend hatte Kurt diesmal nur Finsternis erhalten.

Ihn anzugreifen war dumm, aber ich konnte nicht einfach dastehen und tatenlos zuschauen, wie Len starb. Deshalb stürzte ich mich auf Kurt und schlug zu.

Er riss sein Schwert hoch und kappte die Klinge des Tuak direkt am Griff. Der Waffenhändler hatte das schlechte Metall nicht grundlos bemängelt. Schon im nächsten Moment ging Kurt wieder auf mich los, allerdings nicht mit dem Schwert, sondern mit dem Fuß, und trat mich so, dass ich im hohen Bogen bis an die Wand geschleudert wurde und dort hinknallte.

Komisch, aber ich hatte überhaupt keine Angst. Kurt stapfte auf mich zu, und seine Krallen kratzten über den Fußboden. Eine Spiegelscherbe, auf die ich gefallen war, steckte schmerzhaft in meiner Hand. Mein Rücken tat vom Aufprall weh. Mein zweites Wesen, der Erwachsene in mir, existierte nicht mehr. Trotzdem hatte ich keine Angst.

Kurts Hand packte mich beim Ausschnitt meines Flügeloveralls und riss mich hoch. »Das war’s dann wohl, Danka.«

»Du hast einmal gut gezeichnet, Kurt!«, brachte ich heraus, während ich gierig nach Luft rang.

»Ich zeichne immer noch gut. Sehr gut.«

»Schade, dass ich keine Bilder mehr von dir zu sehen kriege.«

Die Scherbe steckte nach wie vor in meiner Hand, diese spitze Glasnadel. Die ich jetzt Kurt mit aller Kraft in den Bauch jagte.

Kurts Hand löste sich von meinem Ausschnitt. Er ließ mich fallen, aber auch das Schwert. Wie in Zeitlupe und mit klappernden Zähnen zog er die Scherbe aus seinem Körper.

Mir blieben nur wenige Sekunden. Ich bückte mich und griff nach Kurts Schwert. Prompt ließ Schmerz mich aufschreien. Die Waffe hatte mir die Hand verbrannt.

Die Schwerter der Freiflieger waren nichts für mich. Vermutlich weil in mir zu viel Licht wohnte…

Mit der Schuhspitze kickte ich die Klinge weg. Sie schlitterte über den Boden, um dann scheppernd die ausgetretenen Stufen der Wendeltreppe hinunterzufallen. Irgendwann verstummte das Geschepper, und zwar ganz abrupt. Wahrscheinlich war das Schwert in den Schacht gefallen…

»Du zögerst es nur hinaus«, sagte Kurt, während er sich nach Lens Schwert bückte. Doch er zuckte zurück. Anscheinend konnte er die Waffen der Gegenseite ebenfalls nicht benutzen. »Aber ich bin stärker.«

Klar war er stärker. Schließlich war ich erst vierzehn! Und er schon zwanzig. Außerdem brannte in ihm die Finsternis und er befand sich auf ureigenem Terrain.

»Ohne Len…« Kurt schielte zu seinem ehemaligen Junior. »…wärst du schon in den Bergen gestorben. Mein Fehler. Ich hätte ihn nicht gehen lassen sollen. Den Mistkerl!«

Absolut gelassen und gleichgültig trat er Len in die Seite.

Len war tot, ihm konnte das egal sein…

Mir aber nicht.

In meinen Stoß legte ich die ganze Kraft, über die meine Flügel noch verfügten. Und alle Genauigkeit, die mir der Wahre Blick erlaubte. Ich schleuderte Kurt in Richtung der Verborgenen Tür.

Keine Ahnung, was ich mir davon versprach. Dass Kurt am Stein zerschellte oder dass…

Kurt flog drei Meter, bevor er mit dem Rücken gegen die Tür knallte. Sie schwang auf, so leicht, als ob sie hundertmal pro Tag aufginge, öffnete sich sperrangelweit, direkt ins grelle Sonnenlicht hinein, in die Menge, die durch eine belebte Straße in einer unbekannten Stadt eilte.

Der Freiflieger gab keinen Ton von sich. Er führte seinen Kampf wortlos, streckte die Arme aus, und aus seinen Fingern fuhren spitze, lange Krallen heraus, mit denen er sich am Türrahmen festhakte. Kurt starrte mich an, als er auf der Grenze zwischen den Welten balancierte. Hinter ihm gingen Menschen vorbei, völlig unbeirrt. Sie blickten nicht mal zu ihm hin.

Es war dann das Sonnenlicht, das Kurt fertigmachte. Er versuchte immer noch, durch die Tür zurück in seine Welt zu gelangen, doch seine Arme versteinerten bereits, und die schwarze Membran der Flügel segelte wie federleichte Ascheflocken durch die Luft, auf die Menschen, auf die beleuchtete Schwelle, auf die Verborgene Tür.

Mit einem leichten Klatschen stürzte Kurts Körper in sich zusammen, zerfiel zu Staub. Erst jetzt reagierten die Menschen auf ihn und wichen ihm aus. Genau in dem Moment hielt auch die Mauer um die Verborgene Tür herum nicht mehr stand. Das Sonnenlicht hatte sie geschmolzen wie ein Dampfstrahl ein Stück Eis. Die Steinmauer krachte nach außen weg und Finsternis trat an ihre Stelle.

Die Verborgene Tür war verschwunden.

Ich rannte zu dem Loch, durch das kalter Wind hereinwehte. Die Steine fielen immer noch nach unten, denn bis zum Fuß des Turms waren es mindestens zweihundert Meter. Das, was noch von Kurt übrig war, landete in meiner Welt.

Tief in meinem Herzen wusste ich, dass ich ihn auch selbst hätte umbringen können. Dass ich Lens Schwert hätte nehmen und in dem Moment zuschlagen können, als Kurt versucht hatte, sich in den Turm zu retten. Aber ich war froh, dass mir das erspart geblieben war, denn ich wollte nicht töten.

Und gemalt hatte er ja wirklich gut.

Ich ging von der Mauer weg, zurück zu Len, hockte mich neben ihn und machte mich ungeschickt daran, seinen Puls zu ertasten. Dabei genügte ein Blick auf seine Wunde, um zu wissen: Das hatte absolut keinen Sinn.

Hartnäckig hoffte ich trotzdem auf ein Lebenszeichen – auch wenn sein Herz längst nicht mehr schlug.

7. Der Verlust eines Freundes

Ich saß immer noch neben der eingekrachten Mauer, die leere Scheide des Wahren Schwerts im Schoß, und betrachtete den reglosen Len, als der Sonnenkater auf mich zugerannt kam.

»Ich habe gewusst, dass du deinen Wahren Feind erkennen würdest«, sagte er bloß.

»Du weißt immer alles im Voraus«, antwortete ich.

»Nein, Danka! Ich habe nicht damit gerechnet, dass… dass Len…«

Er hockte sich vor Len hin und berührte sein Gesicht mit der Pfote. Anschließend rieb er seinen Kopf an Lens Wange. Irgendwo in der Leere, die sich in mir breitgemacht hatte, flammte ein kleiner, warmer Stern auf.

»Du bist ja gewachsen, Kater! Du bist jetzt fast ein richtiger Zauberer! Also mach ihn wieder lebendig!«

»Was mich daran hindert, ist dieses #›fast#‹«, brummte der Kater und kam zu mir.

Eine ganze Weile sahen wir uns an, bevor ich schließlich sagte: »Du willst mir also weismachen, dass wieder alles okay ist? Die letzte Verborgene Tür zur Erde ist zerstört, die Sonne scheint hier immer noch nicht, mein Freund ist tot – aber du findest, dass alles in Butter ist!«

Von den Bergen wehte kalter Wind herüber, der sich über die günstige Gelegenheit zu freuen schien, mal durch einen Turm zu fegen, der ihm vorher verschlossen war. Der Wind brachte Brandgeruch mit – den Geruch verbrannter Menschen.

Shokys Worte fielen mir wieder ein. Das ist unser Leben. Wir haben uns an dieses Gleichgewicht gewöhnt, das du zerstören willst.

»Zwischen Licht und Finsternis darf es kein Gleichgewicht geben«, sagte der Kater heiser.

Aha! War der Kater jetzt also imstande, meine Gedanken zu lesen!

»Ja, und was heißt das? Wie geht es jetzt weiter?«, fragte ich und legte die Scheide des Wahren Schwerts auf den Boden. Ich würde sie nicht mehr brauchen. Nie wieder. Dann stand ich auf, ging rüber zu Len, setzte mich neben ihn und bog ihm die starren, kalten Finger der Faust langsam auf. Damit er nicht auch noch im Tod weiterkämpfen musste.