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»Was machst du da?«, wollte der Kater wissen.

»Ich verabschiede mich von ihm«, antwortete ich und schloss die Augen. Hätte noch gefehlt, dass ich jetzt anfange zu heulen.

»Danka, wir haben gesiegt! Nimm dir das nicht so zu Herzen. Sicher, Len kommt nicht zurück, aber…«

»Gesiegt, ja? Und wo bitte schön ist die Sonne?«

»Die Sonne bin ich.«

»Was?« Ich kriegte einen Lachkrampf, machte die Augen aber immer noch nicht auf. »Du? Wohl als Sonne im Westentaschenformat!«

»Nein, ich werde recht groß sein«, erklärte der Kater ohne einen Hauch von Ironie. »Hier im Keller lagern hundert Tonnen Sonnensteine, Danka. Ich werde ihr Licht trinken, groß wie dieser Turm werden, und ich werde sehr hell leuchten.«

»Aha«, sagte ich spöttisch. »Und wie lange wird dir dieses Licht reichen?«

»Nicht sehr lange. Ein paar Tage nur. Aber du erinnerst dich vielleicht noch, dass die Liebe ebenfalls Wahres Licht ist, oder? In dieser Welt leben Millionen von Flügelträgern, denen nichts geblieben ist außer ihrem Glauben, eines Tages kehre die Sonne in ihre Welt zurück. Sie werden mich lieben, und diese Liebe… dieses Licht wird mir reichen, um für sie zu scheinen.«

»Und wenn sie dich irgendwann nicht mehr lieben? Wenn sie vergessen, was die Finsternis ist… und was das Licht.«

»Dann werde ich sterben«, antwortete der Kater bloß. »Aber ganz ehrlich, das habe ich nicht vor.«

»Das hatte Len auch nicht.«

Darauf wusste er nichts zu sagen.

»Und jetzt? Hängst du dich jetzt am Himmel an den Platz ihrer alten Sonne?«, fragte ich.

»Nein, Danka, wo denkst du hin? Dafür bin ich zu klein. Aber ich werde um ihre Welt herumfliegen. Das entspricht nicht ganz ihrer Sonne… ist aber immerhin etwas.«

»Du bist schon großartig«, meinte ich. »Das hast du gut geplant. Geh jetzt und iss dich satt.«

Über uns schlugen leise Flügel. Ich hob nicht mal den Kopf, um mich zu vergewissern, ob es ein Flügelträger war – oder nicht doch ein Freiflieger.

»Was ist dein größter Wunsch, Danka?«, wollte der Kater plötzlich wissen.

»Ich will nach Hause.«

»Ich werde dir dabei helfen.«

»Wirklich?« Ich sah den Kater an. »Und wie?«

»Wenn ich erst mal die Sonne bin, Danka, wird mir nicht mehr daran gelegen sein, dir zu helfen. Das wird mir zu klein, zu belanglos erscheinen. Verzeih mir.«

»Ist schon okay.« Ob ich wollte oder nicht, ich musste grinsen. Mir fiel wieder ein, wie ich den Kater in den Armen gehalten hatte und er vor Hunger beinahe gestorben wäre. Wie klein er damals gewesen war und wie unglücklich. Und wie ich geweint hatte, weil ich nicht wusste, wie ich ihn retten konnte.

»Mir wird nur ein winziger Augenblick zur Verfügung stehen«, fuhr der Kater mit ernster Miene fort. Wenn er meine Gedanken gelesen hatte, verriet er das durch nichts. »Ein Moment, in dem ich bereits ein Wahrer Zauberer bin, mich aber auch noch an unsere Freundschaft erinnere. In diesem Moment kann ich dir jeden Wunsch erfüllen.«

»Soll ich ihn dir verraten?«, fragte ich ganz leise.

»Das brauchst du nicht, Danka. Denn ich erfülle deinen Wahren Wunsch. Nicht das, worum du bittest, sondern das, was du wirklich willst.«

Ich schaute zu Len hinüber. Die Finsternis war ganz aus seinem Gesicht verschwunden. Er sah wieder genauso aus wie früher, ein ganz normaler Junge mit blasser Haut. Len hätte mir meinen Wunsch verziehen. Und ich? Würde ich mir auch verzeihen?

»Und was will ich, Kater?«

»Viel«, sagte der Kater nach kurzem Zögern. »Dass Len nicht tot ist, dass du das Wahre Schwert wieder in Händen hältst, dass ich nicht fortgehe, dass die Sonne scheint. Aber mehr als alles andere willst du offenbar zurück nach Hause.«

»Dann geh«, forderte ich ihn auf.

Als hätte der Kater nur auf diese Worte gewartet, rannte er die Wendeltreppe hinunter. Einen Moment lang hörte ich noch das Trappeln seiner Pfoten, dann war alles still.

Ich ging neben Len in die Hocke und streichelte über seine kalte Hand. Vor Freunden hatte ich jetzt keine Angst mehr, selbst vor toten nicht. Ein Freund verrät dich oder stirbt – so oder so verlierst du ihn. Len zum Beispiel war gestorben. Der Kater lebte noch, aber…

Ich trat an die aufgerissene Mauer und blickte in die Tiefe. Ich könnte Len in meine Arme nehmen, im Gleitflug mit ihm nach unten segeln und dort warten, bis der Turm einstürzt und aus seinen Ruinen der ehemalige Kater hinauf in den Himmel fliegt. Noch im selben Moment würde ich mich zu Hause wiederfinden… während die Flügelträger hier die Sonne genießen, Len mit allen Ehren beerdigen und über mich eine schöne Legende spinnen würden. Dass ich im Kampf gestorben war. Oder das genaue Gegenteiclass="underline" dass ich das Licht verraten hätte, zum Freiflieger geworden wäre, von Len umgebracht worden wäre, ihn aber auch noch hätte töten können.

Nein, ich würde nicht aus dem Turm fliehen. Und Len sollte auch hierbleiben. Wenn der Turm einkrachen würde, würde er sich in ein Denkmal für Len verwandeln.

Ich stand lange an dem Loch, schaute hinunter und über die Berge, in denen immer wieder das Schwarze Feuer aufzüngelte. Die Flügelträger und die Erwachsenen waren immer noch im Kampf mit den Freifliegern, aber sie würden es schon schaffen. Gleich würde an ihrem Himmel die Sonne scheinen und die Freiflieger würden panisch in alle Richtungen fliehen. Oder sie würden in der Luft versteinern und als schwarzer Staub auf die Berge niederrieseln.

Als der Turm erzitterte und schwankte, wusste ich, dass die Verwandlung des Sonnenkaters in die Sonne begonnen hatte. Außerdem wurde mir schlagartig klar, dass ich nicht mir nichts, dir nichts in meinem Zimmer landen würde. Zunächst mal würde eine neue Verborgene Tür entstehen.

Das beruhigte mich total. Mit einem Wahren Zauberer, der deine geheimsten Wünsche kennt, legst du dich besser nicht an. Austricksen kannst du ihn natürlich auch nicht. Aber du kannst sein Geschenk ablehnen. Falls du den Mut dazu findest.

Und zumindest davor fürchtete ich mich nicht.

Die Steine bröckelten aus den Mauern heraus. Die Fackeln, die mit schwarzen Flammen gebrannt hatten, verloschen eine nach der anderen, als tobe irgendwo ein Hurrikan, den ich weder sehen noch spüren konnte. Der Turm bebte, auf dem Marmorboden entstanden Zickzackrisse. Mit einem langen Heulen krachte die Wendeltreppe ein. Ich hörte, wie unten die ersten Teile aufschlugen, während die oberen Stufen immer noch durch den Turm in die Tiefe sausten.

Ich hockte mich neben den toten Len und legte meine Hand auf seine Schulter.

»Keine Angst, ich lasse dich nicht im Stich«, flüsterte ich. »Du hast mich ja auch nicht verraten.«

In der Tiefe des Turms donnerte es grollend. Die Finsternis um uns herum erzitterte: Um den Turm herum brach sich das Licht seine Bahn. Die Wolkendecke am Himmel ging in Flammen auf und die Welt verwandelte sich von einer Sekunde auf die nächste aus einer tiefschwarzen in eine feuerrote. Der Turm neigte sich langsam und unaufhaltsam zur Seite.

»Du hast mich doch nicht vergessen, Kater?«, schrie ich in die sich auflösende Finsternis. »Und selbst wenn! Deine blöde Verborgene Tür werde ich trotzdem nicht aufmachen!«

In diesem Moment riss ein weißer Strahl den Fußboden auf. Über den Steinen bildete sich Schaum und sie zerfielen. Als der Strahl mich traf, tat das jedoch überhaupt nicht weh. Ich spürte bloß die Wärme, die in meinen Körper strömte. Das war es also, das Wahre Licht…

Als ob sich hundert Sonnenkater an mich schmiegten, um mich mit ihren Körpern zu wärmen.

Ich dachte gar nicht darüber nach, was ich tat. Ich wusste einfach, was nötig war. Ganz langsam, um ja keinen Tropfen des Lichts zu verschütten, streckte ich mich neben Len aus. Eine Hand legte ich ihm aufs Gesicht, die andere auf die Brust, genau auf die Stelle, an der das Schwert der Finsternis in ihn eingedrungen war. Ich spürte, wie das Licht durch mich hindurchrauschte und in Len floss. Der Turm neigte sich immer tiefer und tiefer. Doch die Wunde unter meinen Fingern brauchte ewig, um sich zu schließen.