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»Fast keiner von ihnen ist entkommen«, schloss Shoky mit bitterem Hass. »Als dann die Sonne aufging, sind die Letzten von ihnen in der Luft versteinert.«

Bestimmt gab es noch viel, was er uns erzählen konnte. Über jede Minute der Schlacht und davon, wie seine Freunde gestorben waren. Nur wollte ich das alles im Moment nicht hören. Und Len anscheinend auch nicht.

»Wir fliegen jetzt«, erklärte ich Shoky.

Shoky verstummte mitten im Wort.

»So schnell schon?«, fragte er traurig. »Müsst ihr noch irgendwas erledigen?«

»Nein«, schaltete Len sich ein. »Wir sind hundemüde. Wir fliegen nach Hause und schlafen uns aus.«

»Sicher«, meinte Shoky. »Kann ich vielleicht mit euch mitfliegen?«, fragte er so plötzlich, als sei ihm dieser Gedanke gerade gekommen. »Ich muss in der Stadt Bescheid geben, wie die Lage ist.«

Ich zuckte die Schultern. Warum nicht?

Shoky rief einen der Senioren zu sich, an den ich mich vage von meinem ersten und einzigen Besuch im Club erinnerte.

»Gnat, du und Alkk, ihr übernehmt das Kommando über die Flügelträger. Ich fliege in die Stadt. Ihr durchkämmt die Umgebung und die Ruinen des Turms. Wo ist eigentlich Alkk?«

Gnat runzelte die Stirn. »Sein Junior wurde verletzt«, erklärte er. »Sie sind da drüben, am Abhang.«

Ohne ein Wort zu sagen, ging Shoky hinüber zum Hang. Len und ich folgten ihm.

Alkk kannte ich, er hatte bei meinem Besuch im Seniorclub mit Shoky zusammengesessen. Wahrscheinlich waren die beiden Freunde.

Als wir auftauchten, hob Alkk den Kopf und lächelte hilflos und unnatürlich. Er hockte da, den Kopf seines Juniors im Schoß. Der war noch ganz jung, elf vielleicht. Der Flügeloverall des Juniors war an der Brust zerfetzt, rosafarbener Schaum blubberte an der Stelle heraus.

»Und das«, sagte Alkk zusammenhanglos, »ist passiert, da war die Sonne schon aufgegangen. Kannst du uns nicht helfen, Senior Danka?«

Ich schüttelte bloß den Kopf. Ich hatte keinen einzigen Tropfen Wahres Licht mehr, alles hatte ich an Len abgegeben, ohne das geringste bisschen zurückzubehalten.

»Und was sollen wir jetzt machen?« In Alkks Frage lag eine Hoffnung, als ob ich ein berühmter Arzt oder ein mächtiger Zauberer wäre. Letzteres dachten sie vermutlich wirklich von mir.

»An ihn glauben und ihn lieben«, wiederholte ich die Worte des Sonnenkaters. »Wir haben nichts anderes als unseren Glauben und unsere Liebe und wir hatten nie etwas anderes.«

8. Aufbruch

Bisher war ich noch nie mit einem richtigen Senior geflogen. Deshalb behielt ich Shoky neugierig im Auge, als wir jetzt zu dritt in die Stadt zurückflogen.

Okay, er flog ziemlich schnell und passte die Strömungen manchmal dermaßen gut ab, als verfüge er über den Wahren Blick. Wahrscheinlich half ihm seine jahrelange Erfahrung. Allerdings ließ sein Flug jene Leichtigkeit und Schönheit vermissen, die du bei jedem Junior beobachten kannst. Sein Gesicht war konzentriert, als müsse er eine schwere Arbeit erledigen.

Shoky eine Pause anzubieten verbot sich von selbst. Andererseits konnte ich kaum mit ansehen, wie er flog. Doch mir kam der Zufall zu Hilfe.

An einer schmutzigbraunen Hügelkette, wo Pfützen im Sonnenlicht verdampften und die seltenen Grasflecken grün leuchteten, erspähten wir plötzlich eine Karawane.

Ich wunderte mich darüber sehr, denn die Sonne stand erst seit einer guten Stunde am Himmel, da würde sich ja wohl kaum jemand in der Welt der Flügelträger schon mit der täglichen Arbeit befassen. Trotzdem setzten die Händler ihren Weg fort.

»Siehst du sie?«, rief ich Shoky zu. Der nickte und schien sich über die Möglichkeit einer Pause zu freuen.

»Landen wir!«, rief ich und ging bereits tiefer.

Die Karawane kam langsam zum Stehen. Die Begleitsoldaten postierten sich um die Büffel herum und legten ihre Armbrüste an.

Die sollten es bloß wagen!

Ich ging zwanzig Meter vor der erstarrten Karawane runter, kurz darauf landeten Len und Shoky, die schwarzen Flügel ausgebreitet, neben mir. Zu dritt marschierten wir auf die kleine Gruppe an der Spitze der Kolonne zu. Sie bestand aus mehreren Soldaten und zwei Händlern, nein, Händlerinnen.

»Hallo, Danka«, begrüßte mich Garet mit einem Winken. Reata, die hinter ihr stand, zwinkerte mir zu.

In mir drin wurde alles leer und mein Herz hämmerte wie wild. Garet kam mir ein paar Schritt entgegen und legte mir die Hand auf die Schulter.

»Freut mich, dass du gewonnen hast«, sagte sie. »Glücklicherweise kämpft die Dämmerung nicht gegen das Licht. Denn diese neue Welt hier braucht viel… sehr viel aus anderen Welten. Und nur wir können den Samen für die Felder liefern, die Tiere für die Weiden, das Glas für die Fenster…« Garet lächelte. »Sonnenbrillen und Sonnencremes.«

»Und bezahlt wird dann mit Licht?«

»Nein, natürlich nicht. Es gibt Waren, die bringen weitaus mehr ein als Licht, Danka. Gute Krieger zum Beispiel kosten erheblich mehr.«

Ich schwieg. Ich hatte nicht die Absicht, mich mit den Händlern rumzustreiten. Das Einzige, was ich ihnen am liebsten gesagt hätte, war: Verpisst euch ein für alle Mal!

Aber ausgerechnet Garet konnte ich diese Worte nicht ins Gesicht sagen.

»Die Dämmerung kämpft nicht gegen das Licht«, wiederholte Garet. »Beide sind stark genug, um sich den Frieden leisten zu können. Darauf lief alles hinaus, seit dem Zeitpunkt, an dem du den Kater getroffen hast. Es verlief alles nach seinem Plan.«

»Nicht alles«, sagte ich leise, damit Len es nicht hörte. »Dort im Turm habe ich zum Beispiel gemacht, was ich für richtig hielt…«

»Das ist wahr«, bestätigte Garet zu meiner Überraschung bereitwillig. »Deshalb gefällst du mir ja auch, Danka.«

Trotz dieser freundlichen Worte wich ich zurück, als würden sie mir Angst einjagen. Es war in der Tat so: Die Dämmerung kämpfte nicht gegen das Licht, das Licht nicht gegen die Dämmerung. Aber Frieden gab es zwischen den beiden auch nicht. Konnte es nicht geben.

»Lebt wohl«, wünschte ich Garet oder der ganzen Karawane, das wusste ich nicht genau. Vielleicht auch meiner eigenen Kindheit.

»Leb wohl«, erwiderte Garet. »Wir werden uns unter diesem Himmel nicht Wiedersehen.«

Meine Flügel schmerzten, als ich in den Himmel hinaufstieg – den blauen Himmel mit der puscheligen orangefarbenen Sonne. Die Flügel schrien nach einer Pause, aber ich musste jetzt einfach in Bewegung bleiben.

Zum Glück stellten weder Len noch Shoky eine Frage. Wir flogen weiter, weg über die nackten Berge, über kleine Flüsse und die Türme der Freiflieger, die sich in Trümmerhaufen verwandelt hatten, über die Städte der Flügelträger, durch deren Straßen eine bunte Menschenmenge zog, weil alle Leute aus ihren Häusern strömten.

Über Lens Stadt war der Himmel allerdings leer, in den Straßen entdeckte ich nur ganz kleine Kinder. Hier waren fast alle in den Krieg gezogen.

»Ich fliege zum Platz«, informierte Shoky mich, als wir tiefer gingen. »Wir müssen allen Bescheid sagen…«

»Ich fliege da nicht hin, tut mir leid.« Ich sah Shoky herausfordernd an – er akzeptierte meine Entscheidung jedoch. Fast körperlich spürte ich den Schmerz in Shokys Flügeln, als er da so in der Luft schwebte.

»Das war mein letzter Ausflug, Danka«, sagte Shoky seltsam feierlich. »Ich bin zu schwer, ich werde nicht mehr fliegen können. Aber ich bin froh, dass wir diesen Kampf gemeinsam durchgestanden haben… Schade, dass ich es nicht war, der dich gefunden hat.«