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Was sollte ich ihm darauf antworten?

Shoky streckte mir die Hand hin, was sehr schwer ist, wenn du auf der Stelle flatterst, und berührte meine Schulter.

»Die Frau des Händlers hat gesagt, ihr würdet euch unter diesem Himmel nicht Wiedersehen. Auch wir werden uns nie Wiedersehen. Das fühle ich. Vielen Dank, dass wir den Himmel sehen können. Leb wohl.«

Er legte die Flügel an und schoss im Sturzflug nach unten. Erst knapp über den Boden bremste er ab.

»Was ist mit ihm?«, krächzte Len.

»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Fliegen wir nach Hause, Len.«

Wir landeten auf unserem Turm und gingen über die Wendeltreppe runter ins Haus. Als Erstes zog ich den Flügeloverall aus, warf ihn aufs Bett, ließ mir Badewasser ein, blieb zwanzig Minuten in der Wanne und wusch mir den süßen Brandgeruch und den staubfeinen Sand ab. Danach duschte ich mich eine gute Minute mit eisigem Wasser und schrubbte mich mit dem Handtuch trocken, bis es schmerzte.

Jetzt war mein Kopf wieder klar, sogar meine Laune hatte sich gebessert. Die Müdigkeit war jedoch nicht verflogen, sie hatte sich bloß tief in mein Inneres verkrochen. Ich zog mir Shorts an und ging rüber in mein Zimmer.

In meinem Bett schlief Len. Den Flügeloverall hatte er noch immer an, und die schwarze Membran der Flügel zitterte leicht, als reagiere sie auf seine Träume. Vermutlich hatte Len auf mich gewartet, um mit mir zu reden, doch dann hatte ihn die Müdigkeit überwältigt.

Ich legte mich neben ihn, verschränkte die Arme unterm Kopf und starrte stumpf an die Decke. Ich glaubte, nicht einschlafen zu können, denn der Turm des Herrn der Finsternis, der Wahre Feind, der tote Len und der Sonnenkater beschäftigten mich noch viel zu sehr. Aber Len atmete im Schlaf absolut gleichmäßig, außerdem fiel ein schmaler Lichtstrahl durch die nur halb vorgezogene Gardine herein und streichelte mit seiner Wärme meine Hand.

Da schlief ich dann doch ein.

Ich wachte so ruckartig auf, als hätte mich jemand angestoßen. Mein ganzer Körper tat weh, wahrscheinlich hatte ich dermaßen tief geschlafen, dass ich mich nicht ein einziges Mal gerührt hatte. Len hatte sich auf die Seite gedreht, sein Gesicht bohrte sich in meine Schulter.

Vorsichtig, um meinen Junior nicht zu wecken, stand ich auf, ging rüber zum Fenster und zog die Gardinen ganz zurück. Wie schön, dass Lens Haus fast am Stadtrand lag. Die Sonne ging gerade am Horizont unter, nur der obere Rand lugte noch funkelnd über den Bergen hervor. Kein einziges Haus nahm mir die Sicht auf die Sonne, und weiches Abendlicht strömte ins Zimmer.

»Gibt es nachts Sterne?«, fragte Len verschlafen, während er sich im Bett aufsetzte.

Ich hatte nicht bedacht, dass man die Flügelträger wohl leichter mit Licht weckt als mit einem Knuff in die Seite oder einem Eimer kaltem Wasser.

»Mit absoluter Sicherheit«, verkündete ich.

Len kam zu mir ans Fenster, eine Weile standen wir Hand in Hand nebeneinander und beobachteten den Kater, der hinter den Horizont kroch.

»Wie fängt man einen Sonnenfleck, Danka?«, fragte Len halblaut.

»In der Regel mit einem Spiegel.«

»Bin gleich wieder da…« Len flitzte aus dem Zimmer, kam aber wirklich sofort zurück. In seinen Händen hielt er ein kleines Kästchen.

»Hier drin hat Gert den Sonnenstein aufbewahrt«, erklärte Len verlegen. »Ich habe es aufgehoben… zur Erinnerung.«

Er öffnete das Kästchen, und ich sah, dass es mit Spiegeln ausgekleidet war.

»Stell es ins Sonnenlicht, solange die Sonne noch nicht untergegangen ist.« Plötzlich war mein Mund ganz trocken. Len zuckte mit den Schultern und hielt das offene Kästchen in Richtung Fenster.

Über den dunklen Stoff der zurückgezogenen Gardinen schwebte ein kleiner Sonnenfleck. Len und ich sahen uns an, schließlich nickte ich vorsichtig.

»Bleib doch! Geh nicht weg«, bat Len im Flüsterton.

Eine Sekunde lang glaubte ich, es würde nichts passieren. Doch dann vibrierte der Lichtfleck, pumpte sich zu einem Ball auf und leuchtete viel heller.

»Ihr dummen Jungen!«, rief der Kater, als er zu Boden glitt.

»Weshalb das denn?«, fragte Len empört.

»Auf die Idee hättet ihr schon längst kommen können!«, belehrte ihn der Kater im Ton eines Oberlehrers, während er in seine Armbeuge sprang. »Meint ihr vielleicht, es ist ein Vergnügen, am Himmel entlangzukriechen und für allerlei Schwachköpfe zu leuchten?!«

Ich setzte mich aufs Fensterbrett und versuchte, mir ein Grinsen zu verkneifen. Len kam mit dem Kater auf dem Arm zu mir.

»Was ist, willst du mich nicht begrüßen?«, schnauzte der Kater mich an.

»Wir haben uns doch heute schon gesehen«, erwiderte ich.

Der Kater fabrizierte einen theatralischen Augenaufschlag, hob die Pfote und leckte sie wütend ab.

»Okay, okay. Also hallo und guten Abend!«, sagte ich und nahm den Kater vorsichtig auf den Arm. Schon im nächsten Moment begann er, mir die Hand zu lecken.

»Möchtest du Sahne?«, erkundigte sich Len, der mir heimlich zuzwinkerte.

»Die ist doch sicherlich sauer geworden, während wir in der Schlacht waren.« Der Kater schüttelte sich.

»Ich habe Kondensmilch.«

»Ach ja?«

Len stürzte ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer. Nun waren der Kater und ich allein.

»Danka«, flüsterte er, ohne mich anzusehen, »dort, im Turm, da musste ich dich allein lassen… Ich bin unendlich froh, dass du ihn wiederbeleben konntest…«

»Darüber sprechen wir nicht mehr. Nie wieder. Abgemacht?«, bat ich sehr ernst.

Der Kater nickte.

»Und wer ist jetzt da oben?« Mein Blick wanderte zum Himmel, der langsam dunkel wurde.

»Ich.«

»Wie geht das?«

»Ein Teil von mir, mein großes und neues Ich, ist da oben bei der Sonne geblieben. Aber mein kleines und altes Ich habe ich zu euch geschickt, als ihr dann endlich auf den schlauen Gedanken mit dem Wahren Spiegel gekommen seid.« Der Kater grinste. »Ach, dieses neue Ich tut meinem alten Ich so unendlich leid. Dieses arme, große Ich. Das kriegt ja nicht mal Sahne…«

»Einmal Sahne, bitte schön«, erklärte Len, der gerade wieder reinkam.

Der Kater sprang von meinem Arm und umrundete misstrauisch die Schüssel mit der dickflüssigen Kondensmilch.

»Was soll das sein?«, fragte er. »Wie soll ich das lecken können?«

»Wenn du willst, verdünne ich es mit Wasser…«

»Untersteh dich!«, rief der Kater entrüstet und nahm einen ordentlichen Schluck von der Kondensmilch.

Während Len und der Kater sich noch zankten, ging ich leise nach unten. Ich nahm ein paar neue Flügeloveralls aus dem Schrank, einen für mich und einen für Len, und packte Proviant in eine Tasche. Einen Moment lang blieb ich vor einem von Kurts Bildern stehen, vor dem, wo die Flügelträger und die Freiflieger aufeinander zusteuern. Schon toll, wenn du so zeichnen kannst! Schade ist dann nur, wenn dein Leben und deine Bilder so weit auseinanderklaffen.

Ich ging wieder rauf in mein Zimmer, warf Len schweigend den neuen Overall zu und zog meinen an. Der Kater, der seine Schüssel ausschleckte, schielte zu mir hoch. »Wollt ihr einen Spazierflug machen?«

»Tu nicht so scheinheilig«, blaffte ich ihn an.

»Sonnenkater scheinen immer – aber du musst sie deswegen nicht gleich für heilig halten«, meinte der Kater süffisant. »Wohin wollt ihr denn?«

»Die Frage ist doch wohl, wohin du willst!« Jetzt riss mir der Geduldsfaden. »Oder willst du mir etwa weismachen, das Licht hätte dich einfach so zu uns geschickt? Das würde ich dir nie im Leben glauben! Wir müssen doch wieder irgendwo gegen die Finsternis kämpfen!«

Der Kater stieß ein Schnauben aus, plumpste auf den Boden und wälzte sich auf dem Rücken, wobei er die ganze Zeit kicherte.