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Mit geschlossenen Augen klammerte ich mich an Len, wie eine hungrige Zecke an einen fetten Hund. Len schaffte es kaum, mit den Flügeln zu schlagen. Wir fielen eher, als dass wir flogen. Len strengte sich gewaltig an und irgendwann schlugen die Flügel tatsächlich etwas kräftiger. Auf diese Weise fingen wir den Fall ab, wurden aber ordentlich durchgerüttelt.

»Lass los!«, schrie Len. Ohne abzubremsen, knallte er auf einen Stein.

Wir waren am Ufer gelandet, direkt auf den feuchten Steinen. Zweihundert Meter waren wir mindestens geflogen!

»Erstklassiger Flug«, lobte ich, worauf Len strahlte. »Was ist, versuchen wir’s?«

»Ja.«

Aus der Nähe wirkte der Fluss zwar noch viel reißender, dafür aber auch tiefer und breiter, sodass wir wirklich eine Chance hatten. Wir breiteten das Zelt aus, legten es ins flache Wasser, kletterten hinein und schlossen den Eingang. Jetzt brauchten wir nur noch mit ein paar Kleinigkeiten fertig zu werden: mit dem Zeltstoff, in dem wir uns verheddert hatten, mit den Untiefen hier am Ufer und mit dem Wasser, das durch die Tür eindrang.

Als unser provisorisches Boot irgendwann mehr oder weniger gleichmäßig in der Strömung trieb, fiel mir etwas ein, das ich Len schon längst hätte fragen sollen: »Es kommt doch kein Wasserfall, oder?«

»Nein, nur ein paar Stromschnellen«, beruhigte mich Len.

Daraufhin setzten wir die Fahrt erst mal schweigend fort. Wir kullerten über den feuchten Zeltboden, knallten gegeneinander und schauten immer mal wieder zu dem kleinen Fenster hinaus, das wohl das Visier war, wenn das Zelt ein Overall war. Es mag sich komisch anhören, aber nach fünf Minuten jagte es uns keine Angst mehr ein, wenn unser Boot gegen einen Stein stieß. Wir brachen dann nur noch in schallendes Gelächter aus. Keine Ahnung, warum Len lachte, aber ich selbst konnte das, was wir erlebten, einfach nicht ernst nehmen. Es kam mir wie ein riesiger Freizeitpark vor. Schade war bloß, dass der Kater nicht schon zurück war. Denn dass er mich irgendwann finden würde, daran zweifelte ich keine Minute. Immerhin war er ein Zauberer, wenn auch noch ein kleiner.

Nachdem wir zwei Stunden gefahren waren, verkündete Len, als er durch das Fenster sah: »Da vorne! Der Stadtrand!«

3. Ein neuer Partner

Die Stadt, in der Len wohnte, überraschte mich. Aus unerfindlichen Gründen war ich mir nämlich sicher gewesen, sie würde versteckt unter der Erde liegen und aus feuchten, engen Höhlen mit getarnten Eingängen bestehen, vor denen finstere Kerle mit riesigen Schwertern in der Hand Wache schieben. Stattdessen erreichten wir nach einem Fußmarsch von knapp einer Stunde eine ganz normale Stadt, die auf einem Hügel lag und sich in keiner Weise tarnte. Okay, es war mitten in der Nacht – mitten in jener grausam langen Nacht, wie sie hier üblich war. Vielleicht besaßen ihre Feinde ja nicht diese Brillen, mit denen man in der Dunkelheit sehen konnte. Aber was war tagsüber? Oder flogen sie dann nicht? Waren sie nachtaktiv? Aber dann hätten sie uns in der Dunkelheit entdecken müssen…

All das ergab keinen Sinn. Bis zum Stadtrand trafen wir niemanden. Dann näherten sich uns jedoch zwei kräftige Jungen. Der eine trug eine Armbrust über der Schulter, der andere hatte ein langes Schwert an seinem Gürtel hängen. Gekleidet waren sie ziemlich normaclass="underline" Hosen und Jacken, nicht dieser komische Flügeloverall von Len, der sich in ein Zelt verwandeln konnte. Neugierig musterten mich die beiden, schnaubten und starrten dann Len an. Der blickte sofort weg, wurde nervös und wich mir nicht von der Seite.

»Hallo«, meinte der mit der Armbrust so nachdenklich, als überlege er noch, ob er mich überhaupt ansprechen solle.

»Guten Tag, Shoky«, sagte Len schnell. »Wie sieht’s in der Stadt aus?«

»Ruhig. Wo ist dein Senior?«

»Die Freiflieger haben uns erwischt«, antwortete Len. »Wir haben uns tapfer geschlagen, aber sie haben uns überwältigt. Als sie uns in ihren Turm geschleppt haben, hat Kurt mich losgeschickt, um Hilfe zu holen. Er selbst wollte die Freiflieger ablenken…«

»Und warum nicht anders herum, Len? Warum hast du sie nicht abgelenkt, damit Kurt Hilfe holen konnte?«

»Er fliegt doch schon nicht mehr so gut!«, verteidigte sich Len. »Ihr wisst selbst, wie schwer er ist! Kurt wusste, dass er es nicht schaffen würde, deshalb hat er mir befohlen…«

»Ich habe Kurt gewarnt, dass er mit dieser Rotznase noch sein blaues Wunder erleben würde«, mischte sich der Junge mit dem Schwert ein. »In welchem Turm hast du ihn sitzen lassen?«

»Ich habe ihn nicht sitzen lassen!«

»Wo ist Kurt?«

»Im Runden Turm am Ostkamm. Da, wo…«

»Den kenn ich. Inzwischen dürfte es zu spät sein, um Kurt zu befreien. Er ist schon zu lange in deren Gewalt. Und wen schleppst du da an?«

Jetzt platzte mir der Kragen. Die oberen Klassen bei uns in der Schule sind voll mit Idioten wie diesen beiden. Wenn du denen nicht sofort Kontra gibst, machen sie mit dir, was sie wollen.

»Riskier nicht so eine große Lippe, du Blödmann!«, rief ich. »Und hör auf, auf Len rumzuhacken! Außerdem könnte dein Hirn absaufen, wenn du es mit zu viel Infos fütterst!«

Die beiden erstarrten. Schließlich baute sich Shoky vor mir auf. »Wer ist dein Senior, Kleiner?«, zischte er. »Und wie viel bist du ihm wert? Wie viel knöpft er mir als Strafe ab, wenn ich dich kaltmache?«

»Er kommt aus einer anderen Stadt«, erklärte Len schnell. »Seine Leute sind alle tot. Ich habe ihm versprochen, ihn zu beschützen!«

»Wenn du es versprochen hast, dann werden wir ihn natürlich nicht umbringen«, sagte Shoky grinsend. »Wozu er uns nützen soll, ist mir allerdings schleierhaft. Einer, der es fertigbringt, nicht nur seinen Senior zu verlieren, sondern auch noch seine Waffe und seine Flügel. Oder sehe ich das falsch?«

»Er war selbst der Senior in seinem Team«, informierte Len ihn leise. Das erstaunte die beiden anderen nun wirklich.

Derjenige, dessen Namen ich noch nicht kannte, wandte sich an mich: »Stimmt das, was Len sagt? Antworte!«

Anscheinend traute mir niemand eine Lüge zu. Umso besser.

»Len sagt die Wahrheit. Ich war der Senior in unserem Team und bin als Einziger übrig geblieben.« Da die beiden nichts darauf erwiderten, beschloss ich, den Erfolg auszubauen. »Was die Waffe und die Flügel angeht… Wenn ihr an meiner Stelle gewesen wäret, hättet ihr euch vor Angst in die Hose gemacht, darauf könnt ihr aber wetten.«

Sie brachten keinen Ton hervor. Und sie machten keine Anstalten, meine Lüge aufzudecken. »Aus welcher Stadt bist du denn, Senior, der hier um Schutz gebeten hat?«, fragte Shoky, und zwar ohne jedes Misstrauen, aus purer Neugier.

»Aus Moskau«, sagte ich. Das war zwar gelogen, doch es brachte mir Erfolg auf der ganzen Linie. Aber ich glaube, jede andere Stadt hätte das auch getan.

»Davon habe ich schon mal gehört«, behauptete Shoky. »Kommst du heute Abend in den Club?«

Ich nickte, denn eine andere Antwort erwartete er offenbar nicht. Dann folgte ich Len endlich, der mir schon seit geraumer Zeit mit den Augen signalisierte, wir sollten besser abziehen. Wir waren jedoch noch keine fünf Meter weg, da rief Shoky mir nach: »He, Senior aus der anderen Stadt!«

Ich drehte mich um und sah ihn an.

»Willst du etwa mit Len ein Team bilden?«

Da ich nicht verstand, wovon er eigentlich redete, wusste ich nicht, was ich antworten sollte.

»Ich persönlich würde dir nämlich davon abraten«, fuhr Shoky fort. »Er ist ein Feigling. Der lässt dich genauso im Stich, wie er Kurt im Stich gelassen hat. Also, bis nachher.«

Len und ich gingen weiter. Len schwieg, und ich wusste auch nicht, was ich sagen sollte. Außerdem gab es so viel zu sehen, dass ich das Gespräch auf der Stelle vergaß und alles um mich herum aufsaugte.