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Als ich sagte, die Stadt sei ganz normal, meinte ich natürlich nicht, sie sei mit einer Stadt auf der Erde zu vergleichen. Sie passte einfach haargenau in diese Märchenwelt. Es gab Kopf Steinpflaster, Steinhäuser mit den unterschiedlichsten Türmen, die an Minischlösser erinnerten, und sogar ein paar richtige Schlösser in der Ferne. Nur Menschen sah ich nirgends.

»Hier ist ja niemand«, sagte ich.

»Es ist schon spät. Während wir mit den beiden gesprochen haben, haben die Glocken acht Uhr geschlagen«, erklärte Len mir. »Die Leute sind jetzt entweder im Club, in Versammlungen oder zu Hause. Normalerweise gehen wir abends nicht spazieren.«

Es dauerte ein Weilchen, bis mir aufging, was Len eben gesagt hatte.

»Es ist acht? Abends?«

»Ja. Wir sind uns heute Morgen begegnet, dann hast du geschlafen, anschließend sind wir hierhergekommen… Stimmt was nicht?«

Len wurde total nervös, aber ich achtete nicht weiter auf ihn. Ich akzeptierte jetzt endlich, was ich schon lange ahnte. Hier gab es keinen Tag. Oder vielleicht doch, aber dann unterschied er sich durch nichts von der Nacht.

Und das bedeutete, dass mich der Kater nicht nach Hause zurückbringen konnte. Ob seine Kräfte überhaupt reichten, diese Welt zu durchqueren, wenn hier überall Finsternis herrschte?

»Ich brauche Wahres Licht«, murmelte ich.

»Wir sind ja fast da«, versicherte mir Len. »Zu Hause schalten wir dann das Licht an, du nimmst die Brille ab…«

Er wusste nicht, was Wahres Licht war. Das konnte man nämlich nicht anschalten.

»Len«, stammelte ich. »Len… Wenn du wüsstest, wie tief ich in der Tinte sitze.«

»Da wären wir«, erklärte Len, dessen Stimme sich plötzlich verändert hatte. Er ging auf ein einstöckiges Haus mit einem hohen, runden Turm zu und öffnete die Eingangstür aus Holz. Sie glich jener Verborgenen Tür, durch die der Sonnenkater und ich in diese Welt gelangt waren. Das machte mich nur noch trauriger.

»Gib mir deine Hand«, forderte Len mich auf. Seine Stimme zitterte leicht, das entging mir nicht. »Es ist besser, wenn die Tür sich an dich erinnert… selbst wenn du es dir noch anders überlegst.«

Ohne zu verstehen, worauf er hinauswollte, gab ich ihm meine Hand. Len drückte sie auf die Bronzeklinke und legte seine Hand darüber. »Das ist ein Freund«, flüsterte er leise. »Er darf immer hereinkommen.«

»Wow, das ist ja ein toller Mechanismus«, sagte ich begeistert, nachdem wir ins Haus gegangen waren und die Tür hinter uns geschlossen hatten.

»Solche Schlösser haben nicht alle, sondern nur wir, die Flügelträger«, meinte Len. Er klatschte in die Hände und im Zimmer leuchteten weiße Glaskugeln grell auf. Betrieben wurden sie offenbar nicht elektrisch – es führten jedenfalls keine Stromkabel zu den Dingern –, sie gaben aber trotzdem genug Licht. Ich nahm die Brille ab und Len schlüpfte aus dem Overall.

Nachdenklich sah er mich an. »Weißt du was, Danka? Ich gebe dir Kurts Sachen, du bist schließlich der Senior in unserm Team. Er braucht sie jetzt sowieso nicht mehr. Allerdings war er größer als du… Vielleicht ziehst du also doch lieber was von mir an?«

»Okay«, sagte ich, während ich mich umsah.

Das Zimmer, das direkt hinter der Eingangstür lag, war riesig, vielleicht nahm es sogar das ganze Erdgeschoss ein. Außerdem sah es reichlich merkwürdig aus. In der Mitte stand ein runder Tisch, um ihn herum ein paar gepolsterte Stühle. Das war noch völlig normal. Aber der Rest! Als hätte man die Möbel von wer weiß woher zusammengetragen und hier aufgestellt. Es gab Bücherschränke und ein weiches Sofa mit einem Couchtisch, auf dem Boden lag ein Teppich mit Unmengen von Kissen drauf. Ein roh gezimmerter Tisch war mit kleinen Glaskolben und Reagenzgläsern vollgestellt, ein Hängeschrank darüber beherbergte allerlei Chemikalien. Einen Teil der Wand nahmen verschiedene Waffen ein wie Messer, Schwerter, Armbrüste, aber auch solche, von denen ich mir nicht mal vorstellen konnte, wie sie gebraucht wurden. Selbst ein Musikinstrument fehlte nicht, eine Art kleines Klavier, nein, jetzt fiel mir die Bezeichnung wieder ein: ein Cembalo. In einem riesigen Aquarium schwammen bunte Fische. An einer Wand hingen Bilder, davor stand eine mit Stoff abgedeckte Staffelei…

Die Bilder konnte ich mir nicht mehr ansehen, denn Len brachte mir ein paar Sachen zum Anziehen, das reinste Trauerzeug allerdings: ein grauer Anzug, in dem normalerweise bloß Wunderkinder ihren Auftritt als Geiger absolvieren, ein weißes Hemd und eine hellblaue Krawatte.

»Ein tolles Zimmer«, sagte ich anerkennend.

Mit einem stolzen Lächeln hielt Len mir die Sachen hin.

»Hast du nichts anderes?«, fragte ich.

»Du willst doch in den Club. Da trägt man das…«

»Schon gut. Bei uns geht’s etwas lockerer zu«, sagte ich. Aber Len war mit seinen Gedanken längst woanders. Er suchte nach Worten, öffnete den Mund, sagte dann aber anscheinend doch nicht das, was ihm auf der Zunge lag. »Das Bad ist oben, im ersten Stock, genau wie die Schlafzimmer. Such dir einfach ein Zimmer aus, Kurts oder meins, das ist egal.«

»Haben denn deine Eltern nichts dagegen?«, fragte ich vorsichtshalber.

»Meine Eltern?« Len gingen fast die Augen über. »Ich bin doch ein Flügelträger und… und mein Vater ist sowieso vor langer Zeit verschwunden, aber auch meine Mutter besucht mich nur selten.«

»Dann gehe ich mal hoch.« Da ich ahnte, dass ich mich verplappert hatte, wollte ich mich lieber verdrücken. Deshalb stürzte ich zur Treppe, die nach oben führte.

»Danka!«, rief Len mir nach. Er stieß meinen Namen förmlich aus, als fürchte er, der Mut würde ihn gleich wieder verlassen.

»Was denn?«

»Ich bestehe nicht darauf, dass wir ein Team bilden, wirklich nicht. Wenn du dir einen anderen Partner suchen willst, helfe ich dir dabei. Aber Shoky hat nur Lügen über mich erzählt, das musst du mir glauben. Ich bin kein Feigling. Und ich habe Kurt nicht im Stich gelassen.«

Was sollte ich darauf antworten? Von ihrer Gesellschaft wusste ich noch weniger als von den Rangbezeichnungen in der kuwaitischen Armee. Aber Len stand da und sah mich an, als hinge sein Schicksal von meinen Worten ab. Ich konnte ihm einfach nicht sagen, dass ich kein Senior, ja, dass ich noch nicht mal ein Flügelträger war.

»He, Junior, machst du uns was zu essen?«, fragte ich. Daraufhin strahlte Len über beide Backen und nickte.

Das Bad fand ich ohne Schwierigkeiten. Ich klatschte in die Hände, das Licht ging an und ich stieß einen Pfiff aus.

Donnerwetter! Vor mir lag ein richtiges kleines Schwimmbecken. Zwei dicke Rohre sorgten für kaltes und warmes Wasser.

Ich drehte die Hähne weit auf, zog mich aus, was angesichts meiner spärlichen Kleidung nicht allzu lange dauerte, und stieg ins heiße Wasser. Klasse! Wie gut das tat! Was hatte ich mir eigentlich dabei gedacht, nur in Unterhosen durch die Berge zu kraxeln, um mich vor irgendwelchen Monstern zu verstecken? Und wie kriegte ich jetzt aus Len alles raus, was ich wissen musste, ohne dass er Verdacht schöpfte?

Am liebsten wäre ich gar nicht mehr aus der Wanne gestiegen. Erst als ich kurz davor war, einzuschlafen, schnappte ich mir das nächstbeste Handtuch, trocknete mich ab und zog mich für den Club an. Der Anzug passte ganz gut, nur das Jackett schlabberte etwas in den Schultern, und den Krawattenknoten bekam ich auch nicht hin. Ich ging nach unten, wo Len gerade einen ganzen Berg von Wurstbroten schmierte. Auf dem Tisch thronte außerdem eine riesige Flasche mit einem orangefarbenen Saft.

Das sah ja schon mal gut aus. Aber das Essen musste noch warten.

»Danka, du kommst zu spät in den Club!«, rief Len. »Es ist ja schon fünf vor neun.«

Er trug ebenfalls einen Anzug, einen weißen, aber keine Krawatte. »Ich gehe auch in den Club«, erklärte er mir, als er meinen Blick auffing. »Es gehört sich nicht, nach einem Patrouillenflug nicht in den Club zu gehen. Was ist? Hast du Probleme mit dem Knoten?«