»Ich kann dir nicht geben«, sagte die gekrönte Gestalt mit tiefer Stimme, der aber jede Resonanz fehlte, »was du von mir forderst.«
»Die Weigerung wird dir nichts nützen«, sagte Ware, »denn entweder gehst du augenblicklich und vollbringst, was ich dir befahl, oder ich werde dich nicht entlassen, sondern dich bis zum Ende meines Lebens hier behalten und dich täglich quälen und foltern, wie es dein Vater erlaubt.«
»Dein ganzes Leben, und währte es auch siebenhundert Jahre, ist für mich nur wie ein Tag«, antwortete die gekrönte Gestalt. Während sie noch sprach, flogen Funken aus ihren Nüstern, »und deine Qualen erscheinen mir Kinderspiel, verglichen mit denen, die ich erduldet habe, seit das Ei des Kosmos ausgebrütet und Eva erfunden wurde.«
Zur Antwort stieß Ware einfach den Stab ins Feuer. Baines fiel benommenen Sinnes auf, daß dieses den Stab nicht einmal versengte. Der Gekrönte aber warf sein bärtiges Haupt in den Nacken und heulte verzweifelt auf. Ware zog den Stab zurück — aber nur um Handbreite.
»Ich werde tun, wie du befiehlst«, sagte die Erscheinung verstockt. Haß schien von ihr auszuströmen wie glühende Lava.
»Wird die Tat nicht genau nach meinem Geheiß ausgeführt, so rufe ich dich wieder auf«, sagte Ware. »Ist sie aber ausgeführt, so darfst du zum Lohne den unsterblichen Teil der Person mit dir forttragen, die du in Versuchung führst. Diese Seele ist noch vor den Augen des Himmels makellos und ist von unschätzbarem Wert.«
»Und doch ist sie nicht genug«, sagte der Dämon, »denn auch du mußt mir etwas von deinem Hort geben, wie es im Pakt geschrieben steht.«
»Spät nur erinnerst du dich des Paktes«, sagte Ware, »aber ich will gerecht an dir handeln, wissender Marquis. — Hier!«
Dabei griff er in seine Gewandung und zog etwas Winziges und Farbloses hervor, das im Kerzenlicht kurz aufblinkte. Erst meinte Baines, es sei ein Diamant, aber als Ware es hochhielt, erkannte Baines, daß es eine opalisierende, kristallene Tränenvase war — die winzigste, die er jemals gesehen hatte, Verschluß und Inhalt mit einbegriffen. Dieses kostbare Gefäß warf Ware nun aus dem Kreis heraus der dampfumwallten Gestalt zu. Zu Baines neuerlichem Erstaunen — denn er hatte inzwischen vergessen, daß sich dieses Wesen ja ursprünglich als Tier manifestiert hatte — fing der Gekrönte das Tränenkrüglein geschickt mit dem Munde auf und verschluckte es.
»Du gibst MARCHOSIAS nur, was seinen Durst noch größer macht«, sagte die Erscheinung. »Habe ich dich erst einmal in der Hölle, Magier, so will ich dich leertrinken, bis du ganz verdorrt und trocken bist, mögen dann deine Tränen auch noch so reichlich fließen.«
»Deine Drohungen sind leer. Ich bin dir nicht bestimmt, solltest du mich auch dereinst in der Hölle sehen«, sagte Ware. »Genug, undankbares Ungeheuer. Hör auf mit deinem unsinnigen Geschwätz und mach dich lieber an die Ausführung deines Auftrags. Ich entlasse dich hiermit!«
Der Gekrönte knurrte und verwandelte sich dann plötzlich in die Gestalt, in der er sich zuerst gezeigt hatte. Diese erbrach eine große Flammenzunge, aber die Lohe durchdrang die Wand des Dreiecks nicht. Statt dessen sammelte sie sich wie ein Kugelblitz um den Dämon selbst. Dennoch konnte Baines im Gesicht die von der Erscheinung abgestrahlte Hitze fühlen.
Ware hob seinen Stab.
Innerhalb des kleinen Kreises verschwand der Fußboden. Die Erscheinung schlug die ehernen Schwingen zusammen und stürzte in die Tiefe wie ein Stein. Mit einem furchtbaren Donnerschlag war der Boden plötzlich wieder fugenlos heil.
Dann herrschte Stille. Das Klingen in Baines Ohren klang ab, und ein fernes Geräusch wurde für ihn hörbar. Es klang, als hätte jemand draußen auf der Straße vor dem Palazzo ein Auto mit laufendem Motor abgestellt. Dann erst kam ihm zu Bewußtsein, was es war: Die riesige Katze schnurrte. Sie hatte den Vorgängen mit wenig mehr als ernstem Interesse zugesehen. Das hatte offenbar auch Hess getan. Ginsberg schien nervös und zittrig, aber er hielt sich tapfer. Obwohl er noch nie gesehen hatte, daß irgend etwas Jack aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, konnte Baines es ihm nicht verargen. Er selbst fühlte Übelkeit und Schwindel, als wäre die bloße Anstrengung, MARCHOSIAS von Angesicht zu sehen, damit zu vergleichen, als klimme man tagelang irgendeinen Gletscher des Himalaja hinan.
»Es ist vorbei«, flüsterte Ware. Seine Worte waren wie Asche. Er sah plötzlich sehr alt aus. — Dann nahm er sein Schwert auf und durchschnitt damit das Diagramm. »Nun müssen wir warten. Ich werde zwei Wochen lang in Abgeschiedenheit verharren. Dann treffen wir einander wieder. Der Kreis ist offen. Ihr könnt gehen.«
Pater Domenico hatte den Donnerschlag vernommen, fern und gedämpft allerdings, und doch wußte er, daß die ›Aussendung‹ vollzogen war. Und er wußte auch, daß es ihm, wie schon vordem, verboten war, auch nur für die Seele des Opfers zu beten (oder des ›Patienten‹, um bei Wares aseptischer aristotelischer Terminologie zu bleiben). Er setzte sich auf und schwang die Beine über die Bettkante. In der schwülen, unheilträchtigen Luft fiel ihm das Atmen schwer. Unsicheren Schritts ging er zu seiner Reisetasche und öffnete sie.
Warum — das war die Frage — hatte Gott seine Hände gebunden, warum ließ Er einen Kompromiß wie den ›Pakt‹ überhaupt zu? Dieser ließ zumindest etwas wie eine Einschränkung Seiner Macht ahnen, etwas nach dem strengen Dogma der Allmacht Gottes völlig Undenkbares. Dabei war es ja schon Sünde, dieses Dogma auch nur anzuzweifeln. Im schlimmsten Falle aber wies der ›Pakt‹ auf irgendeine Zweideutigkeit Seines Verhältnisses zur Hölle hin — etwas also, das völlig außerhalb der offenbarten Antworten auf die Frage des Bösen in der Welt stand.
Die letztere Annahme war zu fürchterlich, als daß man darüber auch nur nachdenken konnte. Vielleicht war dieser Einfall überhaupt nur durch die fürchterliche Atmosphäre in diesem Palazzo zustande gekommen. Jedenfalls wußte Pater Domenico sehr gut, daß er derzeit weder in der geistigen noch in der gefühlsmäßigen Verfassung war, sich damit auseinanderzusetzen.
Was er aber möglicherweise mit Nutzen untersuchen konnte, war eine relativ untergeordnete, aber doch mit dem Komplex verbundene Frage: War das Böse, das eben vollbracht worden war, jenes Böse, zu dessen Beobachtung Pater Domenico entsandt worden war? Unmittelbar besehen, sprachen alle Gründe dafür. — War dies aber der Fall, dann konnte, sich Pater Domenico morgen heim auf den Weißen Berg begeben — mitgenommen zwar, aber doch immerhin rekonvaleszent.
Andererseits aber war es möglich — schrecklich zwar, aber in einer gewissen Hinsicht auch hoffnungspendend —, daß man Pater Domenico an den Schlund der Hölle beordert hatte, um auf das Erscheinen etwas noch weit Schlimmeren zu warten. Darin läge nämlich dann auch die Erklärung dafür, daß Wares letzte Unternehmung, so schrecklich sie auch alle waren, für Ware eigentlich nichts Ungewöhnliches darstellte. Und wichtiger noch: Das würde erklären — wenigstens teilweise erklären —, warum der ›Pakt‹ überhaupt bestand. Um mit Tolstoi zu sprechen: »Gott sieht die Wahrheit, aber Er wartet.«
Und das war wenigstens eine Frage, über die Pater Domenico nicht bloß nachzudenken brauchte, sondern die er dem Rat Gottes vorlegen konnte — aktiv, hier und.jetzt, solange er nur keine ›Mächte‹ aufrief. Diese Beschränkung aber konnte ihn nicht hindern. Wozu war er denn ein Magier, wenn er nicht in seinen Taten so geschickt und vorsichtig sein konnte wie mit Worten?
Das Tintenfaß, die Gänsekielfeder, das Lineal, drei verschiedene Scheiben aus jungfräulichem Karton (etwas, das gar nicht so leicht zu bekommen ist) und der eingewickelte Grabstichel — all das entnahm Pater Domenico seiner Reisetasche und legte es fein säuberlich auf die Platte seines Ankleidetisches, die ihm auch als Schreibtisch gute Dienste leisten würde. Die Kartonscheiben beschriftete er sorgfältig mit drei verschiedenen Skalen: die A Camerae (oder Kammern) der sechzehn göttlichen Eigenschaften von bonitas bis patientia; die T Camerae der dreißig gegenständlichen Eigenschaften von temporis bis negatio; und schließlich die E Camerae der neun Fragen von Ob bis Wie groß. Er stieß mit dem Grabstichel durch die Mitte aller drei Scheiben ein Loch, heftete sie mit einem Manschettenknopf zusammen und besprengte die so verfertigte Lull’sche Maschine mit Weihwasser aus seiner Reisetasche. Über sie sprach er dann die Worte: