»Vielleicht ist die Polizei da anderer Meinung?« fragte Bensen kalt.
Aber diesmal zuckte Phillips nur mit den Achseln. »Vielleicht«, sagte er. »Aber wahrscheinlich wird sie sich eher der Auffassung anschließen, daß Sie und Ihre Freunde auf eigene Faust nach einem nicht vorhandenen Schatz gesucht haben und er dabei zu Tode gekommen ist.«
»Vielleicht«, nickte Bensen ungerührt. »Aber vielleicht. Mister Phillips, schicken sie auch selbst jemanden runter, und vielleicht kommt er auch nicht wieder rauf, und vielleicht machen sie dann einen solchen Wirbel, daß Sie vielleicht nie an Ihre sogenannten Papiere kommen. Ein bißchen viele ›Vielleichts‹, um sich darauf zu verlassen, nicht?«
In Phillips Augen blitzte es beinahe haßerfüllt. Aber Bensens Rechnung ging auch diesesmal auf. Phillips starrte ihn zornig an, drehte sich mit einem Ruck um und ging zum Ausgang, verließ den Raum aber nicht, sondern schloß im Gegenteil die Tür und kam zurück zum Tisch. Bensens Grinsen wurde noch breiter.
»Also?« schnappte Phillips. »Was verlangen Sie?«
»Das hört sich schon vernünftiger an«, sagte Bensen böse. »Es wäre doch zu schade, wenn statt uns beiden in einer Stunde zwei Polizisten hier wären und eine Menge unangenehmer Fragen stellten, nicht?«
»Was wollen Sie?« fragte Phillips ungeduldig. »Wenn Sie Geld wollen, dann stellen Sie Ihre Forderungen. Aber übertreiben Sie es nicht - ich habe nichts zu verbergen, und auch nicht so viel zu verlieren, wie Sie zu glauben scheinen. Wenn ich überhaupt mit Ihnen rede, dann nur, weil ich keine Zeit habe, mich unter Umständen Tage oder Wochen mit den Behörden herumzuschlagen. Wieviel verlangen Sie?« Er legte seinen Stock auf den Tisch, griff mit der Linken unter die Jacke und förderte eine prall gefüllte Brieftasche zutage.
Aber Bensen winkte ab, als er sie aufklappte und damit beginnen wollte, Zehn-Pfund-Noten vor ihm auf den Tisch zu blättern. »Behalten Sie Ihr Geld, Mister Phillips«, sagte er. »Wenigstens vorläufig. Ich weiß noch nicht, wieviel ich verlange.«
Phillips Augen wurden schmal. Langsam klappte er die Brieftasche wieder zu, steckte sie ein und nahm sein Spazierstöckchen auf. »Wie meinen Sie das?«
»Ich weiß es nicht«, wiederholte Bensen. »Das heißt, ich weiß es schon, aber ich weiß noch nicht, wie hoch die Summe ausfällt. Wie viele sind Sie? Drei, nicht wahr?«
»Was hat das damit zu tun?« fragte Phillips.
»Sie selbst«, zählte Bensen ungerührt auf, »dieser Junge, der seit einer Woche sein Zimmer nicht mehr verlassen hat, und das Kraftpaket mit dem Schweinegesicht. Berichtigen Sie mich, wenn ich jemanden vergessen habe.«
»Sie ... sind gut informiert«, sagte Phillips steif.
»Ich habe mich erkundigt«, nickte Bensen. »Nur so, vorsichtshalber. Ich weiß auch, daß Ihr wirklicher Name nicht Phillips ist - aber das spielt gar keine Rolle. Mein Vorschlag ist ganz einfach: Wir teilen gerecht. Norris und ich bekommen jeder einen Anteil, genau wie Sie und die beiden anderen. Es geht durch fünf, statt durch drei.«
Phillips schüttelte den Kopf. Sein Mund war zu einem schmalen Strich zusammengepreßt, und Bensen konnte direkt sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. »Sie müssen völlig verrückt sein«, sagte er schließlich. »Auf dem Schiff ist weder Gold noch irgendein anderer Schatz. Nur eine Kiste mit Papieren.«
»Oh, wir leben in einer komischen Zeit«, erwiderte Bensen grinsend. »Heute ist Papier manchmal mehr wert als Gold und Edelsteine. Also, was ist?«
Phillips überlegte fast eine Minute lang. Dann nickte er. Bensen atmete innerlich auf. Für einen Moment hatte er beinahe befürchtet, seine Forderungen überzogen zu haben.
»In Ordnung«, sagte Phillips. »Wenn Sie und Ihr Freund uns helfen, die Kiste zu bergen, bezahle ich, was Sie verlangen. Kennen Sie sich an der Küste aus?«
»Ich gehe da nicht noch einmal runter«, sagte Norris, noch bevor Bensen Gelegenheit hatte, zu antworten. »Keine zehn Pferde kriegen mich auch nur noch in die Nähe dieser Stelle.«
»Es ist völlig ungefährlich, solange ich bei Ihnen bin«, erwiderte Phillips kalt. »Ihr Freund ist ertrunken, weil er die Gefahr nicht kannte. Wäre ich dabei gewesen, wäre niemandem etwas passiert. Und für so viel Geld, wie Sie verlangen, kann ich eine gewisse Gegenleistung erwarten. Also?«
Norris wollte erneut widersprechen, aber Bensen brachte ihn mit einem raschen, warnenden Blick zum Schweigen. Er war kein großer Menschenkenner, aber er spürte, daß Phillips diesmal nicht nachgeben würde. »Sie ... gehen selbst mit runter?« fragte er.
Phillips nickte. »Ich und Rowlf - das ›Schweinegesicht‹, wie Sie ihn genannt haben. Übrigens würde ich Ihnen nicht raten, so etwas in seiner Gegenwart zu sagen. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ja. Ich habe ein Boot bereitstellen lassen, schon vor meiner Ankunft. Es liegt im Hafen, und an Bord befindet sich die mordernste und beste Ausrüstung, die für Geld zu bekommen ist. Eine Taucherglocke, Helme und Luftschläuche - alles. Ich bin kein geübter Taucher, aber man hat mir gesagt, daß mit dieser Ausrüstung jeder Trottel tauchen könnte. Wenn das Schiff wirklich dort liegt, wo Sie es beschrieben haben, komme ich mit. Und Sie auch. Beide.«
Diesmal widersprach Norris nicht mehr, und nach einer Weile nickte auch Bensen. »Und wann?« fragte er.
»So schnell wie möglich«, antwortete Phillips. »Am liebsten heute noch, aber das wird wohl durch den Sturm nicht möglich sein. Also morgen früh. Was ist mit Ihrem ertrunkenen Freund? Wird man ihn suchen?«
»Nicht so rasch«, antwortete Bensen. »Er bleibt oft tagelang weg. Jedenfalls wird bis morgen nicht auffallen, daß er weg ist.« Er stand auf, wartete, bis Norris sich ebenfalls aus seinem Sessel hochgestemmt hatte, und ging an Phillips vorbei zur Tür. »Dann bis morgen früh«, sagte er. »Wann?«
»Bei Sonnenaufgang«, antwortete Phillips. »Am Hafen. Ich erwarte Sie.«
Der Anfall kam warnungslos. Ich lag auf dem Bett, in das ich zurückgekehrt war, nachdem ich eine Viertelstunde vergeblich an der verschlossenen Tür gerüttelt und gezerrt und Howard aus Leibeskräften verflucht hatte, starrte wütend gegen die Decke und ersann und verwarf alle nur denkbaren Fluchtpläne - einer so aussichtslos und undurchführbar wie der andere. Innerlich kochte ich vor Zorn. Howard meinte es sicher nur gut mit mir, und wahrscheinlich hatte er sogar recht, und ich hatte mich von der Verletzung noch nicht halb so gut erholt, wie ich behauptete, aber verdammt noch mal, das gab ihm nicht das Recht, mich wie ein Kind zu behandeln. Ich war alt genug, um zu erfahren, was mit mir los war.
Verärgert setzte ich mich auf, schlug die Decke zurück und öffnete die obersten Knöpfe meines Nachthemdes. Das Kaminfeuer hatte die Kälte vertrieben, und die Flammen verbreiteten wieder angenehme Wärme. Plötzlich spürte ich, wie heiß es doch im Zimmer war; unerträglich heiß. Und die Hitze stieg noch weiter, schnell, unglaublich schnell. Die Luft, die ich atmete, brannte wie geschmolzenes Blei in meiner Kehle, und meine Haut schien in Flammen zu stehen. Mit einem verzweifelten, qualvollen Stöhnen stemmte ich mich hoch, taumelte zum Fenster und fiel gegen die geschlossene Scheibe. Meine Knie gaben unter dem Gewicht meines Körpers nach. Meine Finger glitten am Glas ab, tasteten kraftlos über den Rahmen und verloren den Halt. Ich fiel, prallte schmerzhaft auf dem Boden auf und blieb keuchend liegen. Meine Fingernägel fuhren scharrend über den Fußboden, aber meine Arme hatten nicht mehr die Kraft, das Gewicht meines Körpers zu tragen, als ich mich hochstemmen wollte.
Der Schmerz explodierte zwischen meinen Schläfen, heiß und grell wie eine Sonne, schickte dünne Linien aus geschmolzenem Feuer bis in den entferntesten Winkel meines Nervensystems und lähmte gleichzeitig meinen Körper. Ich wollte schreien, aber es ging nicht. Meine Stimmbänder gehorchten mir nicht mehr, und mein Hals fühlte sich an, als wäre er aus Holz. Trotz der grausamen Schmerzen breitete sich eine Woge von Taubheit und Lähmung in meinem Körper aus. Ich fühlte, wie meine Glieder eines nach dem anderen abstarben, hart und gefühllos und taub wurden, als ein furchtbarer, nicht enden wollender Krampf meinen Körper bis in die letzte Faser hinab peinigte.