»So ist das also«, murmelte Howard. Es dauerte lange, bis er das Schweigen brach. Er hatte den Schatten so deutlich gesehen wie Rowlf oder Mahoney oder ich, aber er hatte minutenlang geschwiegen, während Rowlf - pragmatisch, wie er nun einmal war - gemeinsam mit Mahoney kurzerhand den Tisch auseinandergebaut und mit den Brettern die Fenster vernagelt hatte. Draußen fuhr noch immer Blitz auf Blitz nieder, aber es war jetzt so dunkel in der Kabine, daß ich Howard und die Gestalten der beiden anderen nur noch erahnen und nicht mehr wirklich sehen konnte. Trotzdem blieb ich reglos dort liegen, wo ich war. »So also«, murmelte er noch einmal.
»Ja«, sagte Mahoney leise. »Ich glaube, Sie begreifen so am schnellsten, wie ernst die Lage ist.«
Ich sah nicht, was Howard tat, aber eine Weile hörte ich ihn noch im Dunkeln hantieren, dann scharrte ein Stuhl. »Ich glaube, ich muß mich bei Ihnen entschuldigen«, sagte Howard leise. »Auch im Namen von Rowlf. Es tut mir leid, Mister ...«
»Mahoney«, antwortete Mahoney. »Floyd Mahoney. Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich bin froh, daß Robert so treue Freunde hat.«
»Mahoney?« In Howards Stimme trat ein neuer, fast lauernder Unterton. »Ihr Name kommt mir bekannt vor«, murmelte er. »Ich...« Er schwieg einen Moment, dann richtete er sich kerzengerade auf und blickte Mahoney, der noch immer neben der Tür stand, einen Moment schweigend an. »Ich habe Ihren Namen schon einmal gehört«, sagte er.
Mahoney lachte leise. »Das ist gut möglich. Ich lebe in Durness, wissen Sie? Und Sie haben so ziemlich mit jedem gesprochen, der die Küste hier kennt.«
Howard schüttelte den Kopf. »Nicht so«, sagte er. »Ich habe ihn heute gehört - von einem gewissen Bensen.«
»Ein Freund von mir«, bestätigte Mahoney. »Er behauptete, Sie wären tot«, fuhr Howard fort. »Er sagte, er hätte gesehen, wie Sie ertrunken sind, Mister Mahoney. Er hat versucht, mich damit zu erpressen.«
Mahoney gab ein abfälliges Geräusch von sich. »Bensen hat nicht das Format, jemanden zu erpressen«, sagte er. »Er ist nichts als eine geldgierige kleine Ratte.«
»Sie sprechen aber komisch über Ihre Freunde«, sagte Rowlf ruhig.
»Das beantwortet meine Frage nicht«, fuhr Howard fort. Mahoney schüttelte den Kopf, seufzte hörbar und schwieg einen endlosen Moment. »Na gut«, sagte er, »Vielleicht sollte ich Ihnen die Wahrheit sagen. Obwohl wir eigentlich keine Zeit haben, um uns mit langen Erklärungen aufzuhalten. Robert ist in Gefahr. Und nicht nur er. Aber bitte.« Er bewegte sich im Dunkeln, ging einen Moment nervös auf und ab und blieb wieder stehen.
»Der Mann, den Bensen als Floyd Mahoney kennt, ist wirklich vor seinen Augen ertrunken«, begann er schließlich. »Er hat Sie nicht belogen, Mister Lovecraft.«
»Tot«, sagte Howard, »sehen Sie nicht gerade aus.«
Mahoney lachte. »Ich bin es auch nicht, mein Wort darauf«, sagte er. »Aber ich bin auch nicht Mahoney. Ich bediene mich seiner, weil er gerade greifbar war und ich dringend einen Körper brauchte.«
»Und wer sind Sie?« fragte ich. Ich spürte, wie fremd meine eigene Stimme klang. Sie zitterte. Plötzlich wurde ich mir der Tatsache bewußt, daß ich die Antwort kannte.
Und daß ich panische Angst vor ihr hatte.
Mahoney wandte langsam den Kopf und sah mich an. Trotz der absoluten Dunkelheit fühlte ich seinen Blick und das spöttische Funkeln, das darin lag.
»Weißt du das wirklich nicht, Robert?« fragte er.
Ich wollte antworten, aber ich konnte es nicht. Meine Kehle war wie zugeschnürt.
»Du weißt es, nicht wahr?« fragte er.
»Verdammt, was soll das Theater?« fragte Howard gereizt. »Wer sind Sie?«
»Er ist ein Freund von dir, Howard«, sagte ich leise. »Dieser Mann ist Roderick Andara. Mein Vater.«
Der Sturm war während der letzten Stunden immer schlimmer geworden, viel schlimmer, als es Bensen überhaupt für möglich gehalten hätte. Er hatte als normales, nicht einmal sonderlich heftiges Gewitter begonnen und sich dann zu einem brüllenden Orkan gesteigert, der mit Urgewalt auf die Küste einschlug und das Meer zu drei Metern hohen, schaumigen Wogen aufpeitschte, die brüllend gegen das Ufer anrannten.
Bensen klammerte sich verzweifelt an den Felsen. Seine Finger waren taub vor Kälte und Schmerzen, und er fühlte, wie seine Kraft von Augenblick zu Augenblick mehr nachließ. Der Sturm preßte ihn wie eine unsichtbare Riesenfaust gegen die Wand, aber die Wogen, die in regelmäßigem Takt gegen die Steilküste anrannten und die gewaltige Felsmasse wie unter einem Hagel titanischer Hammerschläge erbeben ließen, versuchten ihn mit der gleichen Kraft von seinem Halt herab und ins Meer zu zerren. Er spürte, daß er nicht mehr lange durchhalten würde. Diesmal hatte er zu hoch gespielt.
Der Gedanke weckte einen fast kindischen Trotz in Bensen.
Er war so dicht davor gewesen! Seine große Chance, der einzige, große Schlag, mit dem er sein ganzes Leben hätte ändern können, heraus aus diesem Dreckskaff und wie ein normaler Mensch in einer der großen Städte im Süden leben ... Verdammt, dachte er, sollte wirklich alles umsonst gewesen sein? Er hatte zugesehen, wie einer seiner Freunde ertrunken war, er hatte einen Mann erpreßt und einen Mord begangen - und jetzt hockte er zitternd und bis zum Zusammenbruch erschöpft auf einem schmalen Felsvorsprung, hilflos dem Toben der Elemente ausgeliefert, und wartete auf den Tod. Er war zurück zum Hotel gegangen, um noch einmal mit Phillips zu sprechen, aber Phillips war nicht mehr dagewesen, und der Portier hatte ihm verraten, daß er bereits ausgezogen war und seine Rechnung bezahlt hatte.
Bensen hatte getobt vor Wut. Es war klar, was Phillips vorhatte: Er hatte erkannt, daß Bensen ihn nach Belieben erpressen konnte, und er hatte das einzige getan, was er konnte - nämlich sofort gehandelt. Irgendwie hatte er herausbekommen, wo das Wrack lag, und wahrscheinlich versuchte er jetzt, seinen Schatz zu bergen, ehe Bensen erneut auftauchen und seine Forderungen stellen konnte.
Wenigstens war es das gewesen, was Bensen geglaubt hatte. Er war wie der Teufel hierhergeritten und wieder zum Strand hinabgestiegen, um auf Phillips und seine beiden Begleiter zu warten.
Aber Phillips war nicht gekommen.
Statt dessen war der Sturm losgebrochen, so schnell, daß er keine Zeit mehr gefunden hatte, wieder zur Küste hinaufzusteigen und sich in Sicherheit zu bringen.
Eine neue Welle rollte heran, brach sich brüllend an der Steilküste und ließ Bensens Halt wie unter einem Hammerschlag erzittern. Eisiges Wasser überschüttete ihn und zerrte an seinen Händen. Er fühlte, wie die Spannung in seinen Muskeln unerträglich wurde, wie sich die Woge brach und mit einem Sog, der ihrem Anprall kaum nachstand, ins Meer zurückstürzte. Seine rechte Hand löste sich mit einem Ruck von der Felszacke, an der er sich festgeklammert hatte. Er kippte nach hinten, hing einen kurzen, schrecklichen Moment in einer unmöglichen Haltung über den Rand des steinernen Simes hinaus und schrie, aber der Sturm verschluckte sein Brüllen und antwortete nur mit höhnischem Gelächter.
Bensen fiel. Der weiße Sand des Strandes sprang mit einem gewaltigen Satz auf ihn zu, dann, noch bevor er aufschlug, raste eine neue Welle heran, fing seinen Sturz auf und schmetterte ihn gleich darauf gegen den Fels.
Bensens Mund öffnete sich zu einem Schrei, aber er war unter Wasser; die kostbare Luft entwich seinen Lungen, sein Kopf prallte gegen den Fels, und für einen Moment schwanden ihm die Sinne. Die Welle schleuderte ihn herum, hob ihn mit einer spielerisch anmutenden Bewegung hoch und riß ihn mit sich ins Meer hinaus. Bensens Lungen schienen zu platzen. Ein unerträglicher Druck lastete plötzlich auf seiner Brust, und der Drang, den Mund aufzureißen und tief und gierig einzuatmen, wurde fast unerträglich. Er wußte, daß er sterben würde, wenn er ihm nachgab.
Mit einer Kraft, von der er selbst nicht mehr wußte, wo er sie hernahm, warf er sich herum, stemmte sich mit aller Macht gegen die Gewalt der Woge und entkam ihrem Sog. Sein Kopf brach durch die Wasseroberfläche. Bensen atmete verzweifelt ein, warf sich herum und auf die Seite und breitete die Arme aus, als die nächste Welle heranrollte.