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Draußen auf dem Meer legte sich das Wrack der LADY OF THE MIST langsam auf die Seite, berührte den nassen Sand des Strandes und zerbrach. Masten und Planken, nach zwei Monaten unter Wasser morsch und faulig geworden, zerbarsten unter ihrem eigenen Gewicht. Das Schiff brach splitternd und knirschend in sich zusammen, verformte sich wie ein Ballon, aus dem die Luft entweicht, und sank zu einem Gewirr zerborstener Planken und splitternder Balken zusammen.

Und tief unter der Wasseroberfläche schloß sich das Riesenauge wieder.

Das Wesen hatte getan, was zu tun war. Jetzt wartete es. Es wußte, daß noch Stunden vergehen würden, bis sich seine Wünsche erfüllten.

Aber was für eine Rolle spielten Stunden im Leben einer Kreatur, die zweitausend Millionen Jahre gewartet hatte?

»Roderick? Sie ... du bist... du bist wirklich ...« Howards Stimme versagte. Er hob die Hände, als wolle er auf Mahoney zugehen und ihn in die Arme schließen, blieb nach einem halben Schritt wie angewurzelt stehen und starrte den dunklen Schatten seines Gegenübers an.

»Ich bin es, Howard«, bestätigte Mahoney. »Frage Robert, wenn du mir nicht glaubst. Du weißt doch sicher, daß man ihn nicht belügen kann, oder?«

»Ich glaube dir«, antwortete Howard hastig. »Es ist nur ...«

»Schon gut«, unterbrach ihn Mahoney/Andara. »Vielleicht haben wir später Gelegenheit, über alles zu reden. Jetzt ist keine Zeit dazu, Howard. Wir müssen hier weg, wenn Robert noch eine Chance haben soll.«

»Aber wohin?«

»Dorthin, wo du sowieso hin wolltest. Deine Idee war schon richtig, Howard - wir brauchen meine Seekiste. Ich hoffe nur, es ist noch nicht zu spät.« Er drehte sich um, trat auf mich zu und half mir auf die Füße. »Alles in Ordnung, Junge?« fragte er. Ich nickte, aber ich war mir nicht sicher, ob auch wirklich alles in Ordnung war. Ich fühlte mich noch immer wie betäubt, gelähmt und unfähig, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Der Mann vor mir war mein Vater! Es war der Körper eines jungen Mannes, jünger noch als ich selbst, aber der Geist, die Seele, die ihn von einem Stück toter Materie zu einem lebenden, fühlenden Menschen machten, war die Roderick Andaras, meines Vaters. Meines Vaters, den ich selbst begraben hatte ... »Ich kann mir vorstellen, wie du dich jetzt fühlst, Robert«, sagte er leise. »Aber du mußt mir einfach vertrauen. Wenn die Sonne aufgeht und dieses Ding dann noch immer in dir ist, kann selbst ich dir nicht mehr helfen.« Er lächelte aufmunternd, ließ meine Hand los und wandte sich wieder an Howard. »Wir müssen los«, sagte er.

Trotz der Dunkelheit konnte ich erkennen, wie Howard erschrak. Hinter ihm sog Rowlf ungläubig die Luft zwischen den Zähnen ein.

»Bei diesem Sturm?« sagte Howard ungläubig. »Das Schiff würde nicht einmal...«

»Dem Schiff wird nichts geschehen«, unterbrach ihn Mahoney. »Es wird hart werden, aber ich kann euch sicher an die Küste bringen. Aber wenn wir uns nicht beeilen, dann können wir uns den Weg sparen. Bitte, Howard.«

Howard starrte ihn noch einen Sekundenbruchteil an, dann nickte er. »Okay«, sagte er. »Aber du bist mir einige Erklärungen schuldig, wenn das alles hier vorbei ist.«

»Natürlich«, sagte Mahoney. »Aber jetzt beeilt euch bitte. Macht das Schiff klar. Ich komme mit an Deck und helfe euch. Und keine Sorge wegen des Sturmes - darum kümmere ich mich. Robert bleibt hier, bis wir die Bucht erreicht haben.«

Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und lief die Treppe hinauf. Rowlf folgte ihm, während Howard noch einen Moment zögerte und sich noch einmal an mich wandte. »Du hast gehört, was er gesagt hat. Du bleibst hier, ganz egal, was geschieht. Und diesmal bitte keine Extratouren, verstanden?«

Ich wußte, daß es ein Fehler war, aber nach allem, was ich erlebt hatte, weckten seine Worte nichts anderes als Trotz in mir. »Hättest du mir von Anfang an reinen Wein eingeschenkt, wäre es gar nicht passiert«, sagte ich.

Seltsamerweise reagierte Howard weder zornig noch ungeduldig, sondern mit einer Sanftheit, die ich von ihm am allerwenigsten gewohnt war. »Vielleicht hast du sogar recht«, sagte er leise. »Ich ... habe mir den ganzen Tag über Vorwürfe gemacht, Robert. Ich hätte es dir sagen sollen. Aber ...«

»Schon gut«, unterbrach ich ihn. Meine Worte taten mir bereits wieder leid.

»Nein, du hast recht«, beharrte Howard. »Ich hätte es dir sagen müssen. Es war bei deinem Vater damals das gleiche. Er wußte es.«

»Und warum hast du es nicht getan?« Howard lächelte traurig. »Warum?« wiederholte er. »Ich weiß es nicht. Vielleicht... vielleicht hatte ich einfach Angst.«

»Aber wir können es besiegen?« fragte ich. Plötzlich bebte meine Stimme. Ich hatte mir bis jetzt mit verzweifelter Kraft einzureden versucht, daß ich keine Angst hatte, aber das stimmte nicht. Innerlich zitterte ich vor Furcht, mehr denn je. »Dein Vater hat es geschafft«, antwortete Howard. »Und vor ihm andere, wenn auch nicht viele.«

»Und wenn ... nicht?«

»Wenn nicht?« wiederholte Howard. »Ich weiß es nicht, Robert. Wenn nicht, dann ...«

»Dann wird dieses Ding Gewalt über mich erlangen, und ich werde selbst zu einem GROSSEN ALTEN werden«, sagte ich, als er nicht weitersprach.

Howard sah mich einen Moment ernst an, senkte den Blick und nickte. »Ich muß nach oben«, sagte er plötzlich. »Rowlf bekommt die Taue nicht allein los, bei dem Sturm.« Er wollte an mir vorüber und zur Treppe gehen, aber ich hielt ihn zurück. »Ich möchte, daß du mir etwas versprichst«, sagte ich. »Was?«

»Wenn es ... euch nicht gelingt«, sagte ich stockend. »Wenn du merkst, daß ich den Kampf verliere und ... und nicht mehr ich bin, dann töte mich. Ich will lieber sterben als zu einem solchen Monster zu werden.«

»Red keinen Unsinn. Du -«

»Es ist kein Unsinn, Howard. Ich meine es ernst.«

»Wir werden es schaffen«, beharrte Howard. »Jetzt, wo Roderick bei uns ist, werden wir es schaffen. Und jetzt setz dich irgendwo hin und warte einfach ab. Und bleib von den Fenstern weg.« Behutsam löste er meine Hand von seinem Arm, schob mich aus dem Weg und eilte die Treppe hinauf.

Ich blieb allein in der Kabine zurück. Über mir erfüllten die Schritte Howards, Rowlfs und Mahoneys das Deck, ab und zu unterbrochen von einem dumpfen Poltern und Krachen oder einem gerufenen Wort. Ich spürte, wie das Boot stärker zu zittern begann, als sich die Haltetaue eines nach dem anderen lösten und die Wellen das Schiff stärker anheben und gegen den Kai drücken konnten, und trotzdem nahm ich von alledem kaum etwas wahr. Wie betäubt hockte ich da, starrte in die Dunkelheit und versuchte Ordnung in das Chaos zu bringen, das hinter meiner Stirn herrschte.

Mein Vater war zurückgekehrt! Es war nicht das erste Mal seit seinem Tode, daß ich ihn sah - er war mehrmals erschienen, mal nur als Stimme, mal als Bild in einem Spiegel oder als Schemen, der verschwand, ehe man ihn richtig sehen konnte - aber jetzt war er wirklich zurückgekehrt...

Ich hätte mich freuen sollen. Ich hätte vor Erleichterung jubeln und an Deck laufen und ihm um den Hals fallen sollen, aber ich konnte es nicht. Vielleicht, weil ich trotz allem das Gefühl gehabt hatte, einem Toten gegenüberzustehen, als ich ihn erkannte.

Die Planken unter meinen Füßen begannen stärker zu zittern, und plötzlich legte sich das Boot so heftig auf die Seite, daß ich hastig nach Halt greifen und mich festklammern mußte, um nicht schon wieder zu Boden zu stürzen. Der Klang der Wellen, die gegen die Bordwand stießen, änderte sich, als die Wogen es nicht mehr seitlich, sondern frontal trafen.

Dann fuhren wir los.

Ich weiß nicht, wie lange wir unterwegs waren - eine Stunde, vielleicht auch zwei oder drei; es war unmöglich, die Zeit zu schätzen, in dem tobenden Chaos, das das Schiff einhüllte. Das Boot hüpfte wild durch Wellentäler und über die Kämme der schaumgekrönten Wogen, und das Heulen des Sturmes war noch wütender und lauter geworden. Der schmale Rumpf erbebte ununterbrochen unter den Schlägen der Wogen und rings um das Schiff fuhr Blitz auf Blitz auf die aufgewühlte Wasseroberfläche herab, so dicht, daß ich das helle elektrische Zischen hören konnte, mit dem sie sich entluden. Ein paarmal nahm das Toben der Elemente ab, aber nur, um gleich darauf neu und mit doppelter Wucht wieder loszubrechen.