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Schließlich, nach einer Ewigkeit, näherten wir uns wieder der Küste. Ich hörte das dumpfe Krachen, mit dem die Wogen gegen den Fuß der gewaltigen Steilküste schlugen, und das Geräusch weckte Erinnerungen in mir, Bilder, die mein Bewußtsein überfluteten, ohne daß ich mich dagegen wehren konnte: Ich sah ein Schiff, einen stolzen alten Viermaster, die Segel in Fetzen von den Rahen hängend, schon halb zerbrochen unter den Hieben des Windes, der schnell wie ein Pfeil durch die aufgepeitschte See auf die Küste und die vorgelagerte Barriere aus Riffen zuschoß, und wie damals glaubte ich noch einmal, die entsetzten Schreie der Mannschaft zu hören, als sie begriffen, daß ihre Fahrt zu schnell war und sie entweder an den Riffen oder der Felswand dahinter zerbersten würden. Ich versuchte, die Bilder abzuschütteln, aber es ging nicht, im Gegenteil. Die Vision wurde immer bedrückender und realer, und ...

Eine Hand berührte mich an der Schulter, und als ich aufsah, blickte ich in Howards Gesicht. »Alles in Ordnung?« fragte er leise.

Ich nickte. »Es ... geht wieder.«

Einen Moment lang überlegte ich, ob ich ihm die Wahrheit sagen sollte, aber dann nickte ich nur. Es spielte keine Rolle, welcher Art die Bilder waren, die mich quälten, und wir hatten keine Zeit für lange Gespräche.

»Wir sind fast da«, sagte er. »Maho ... dein Vater möchte, daß du an Deck kommst.«

Irgend etwas am Klang seiner Stimme ließ mich aufhorchen. »Du traust ihm nicht«, behauptete ich.

Howard seufzte. »Doch«, antwortete er. »Ich weiß, daß er es ist, Robert. Ich weiß es so sicher, wie du es weißt. Aber ...«

Er sprach nicht weiter, aber das war auch nicht nötig. Er spürte das gleiche wie ich. Dieser Mann war mein Vater, und doch war er anders, als wir beide ihn gekannt hatten. Vielleicht war es die Welt, in der er jetzt existierte, die ihn verändert hatte.

Ich verscheuchte den Gedanken, stand auf und wollte zur Treppe gehen, aber Howard hielt mich noch einmal zurück. »Warte«, sagte er. Ich blieb stehen, und Howard ging an mir vorbei in den hinteren Teil der Kajüte und kam nach wenigen Augenblicken mit einer zusammengefalteten Decke zurück.

»Was soll ich damit?« fragte ich.

»Sie dir überwerfen«, antwortete Howard ungeduldig. »Ich weiß, daß es albern klingt, aber es könnte wirklich gehen. Draußen tobt noch immer das Gewitter, und es sieht nicht so aus, als würde es in den nächsten Stunden nachlassen. Nun mach schon.«

Ich starrte ihn einen Moment zweifelnd an, griff dann zögernd nach der Decke und warf sie mir über den Kopf. Howard ging einmal um mich herum zog hier und zupfte da ein wenig und arrangierte die Decke so lange neu, bis ich vermummt war, als wolle ich zu einem Maskenball gehen und dort als Nachtgespenst spielen. Nur direkt über meinen Augen war ein fingerbreiter Streifen frei, so daß ich wenigstens sehen konnte, wenn auch nicht sehr gut. Trotz des Ernstes der Situation kam ich mir reichlich albern vor.

»Gut«, sagte er schließlich. »Komm jetzt.«

Nebeneinander gingen wir die Treppe hinauf. Mir fiel erst jetzt auf, daß das Schiff längst nicht mehr so sehr unter unseren Füßen bockte und sprang wie bisher. Eigentlich war kaum mehr als der normale Seegang zu spüren. Howard öffnete die Tür, trat ins Freie und bedeutete mir mit hektischen Zeichen, ihm zu folgen.

Der Anblick, der sich uns bot, war bizarr. Über dem Meer hinter und neben uns tobte der Orkan mit ungebrochener Wut, aber rings um das Schiff, in einem Bereich von sieben-, achthundert Yards, war das Meer glatt wie ein Spiegel. Selbst der Wind war zum Erliegen gekommen. Die Steilküste lag vor uns, kaum noch einen Steinwurf entfernt, und der Sturm, der das Land überall meterhoch unter Wasser gesetzt hatte, hatte hier ein vielleicht hundertfünfzig Yard langes, sichelförmig gebogenes Stück des Strandes freigegeben.

Und auf dem Strand lag ein Schiff.

Es war zerstört, so gründlich, wie ich jemals ein zerstörtes Schiffswrack gesehen hatte, nicht mehr als ein zerborstener Haufen aus Holzsplittern und Tauwerk und Fetzen, aber ich erkannte es trotzdem wieder.

»Die ... LADY!« keuchte ich. »Howard, das ... das ist die LADY OF THE MIST.«

Howard nickte, als hätte er nichts anderes erwartet. Trotzdem fragte er: »Bist du sicher?«

»Ja. Das hier ist... die Bucht, in der das Schiff gesunken ist.« Mein Blick wanderte am Fuße der Steilküste entlang, suchte in den Schatten und Rissen nach einer bestimmten Form und blieb an einem dreieckigen, schwarzen Schatten hängen. »Das dort drüben ist die Höhle, in der mein Va ...« Ich stockte, schluckte ein paarmal krampfhaft und sah zu Mahoney hinüber, der mit unbewegtem Gesicht an der Reling stand und Howard und mich beobachtete.

»In der er gestorben ist«, sagte er. »Sprich es ruhig aus, Robert. Das hier ist die Stelle.«

»Und das Schiff? Wie hast du es geschafft, es ...?« Mahoney hob die Hand, und ich verstummte, »Nicht jetzt, Robert. Ich erkläre euch alles später. Ich habe eine Menge gelernt, dort, wo ich ... war. Aber ich mußte auch einen hohen Preis dafür zahlen. Ein Teil dieses Preises ist, daß ich gewisse Dinge für mich behalten muß. Bist du soweit?«

Ich sah instinktiv zu Boden. Der Himmel hatte ein wenig aufgeklart, und die Blitze zuckten noch immer ununterbrochen, aber der Schatten auf den feuchten Planken des Schiffes war nicht der Schatten der Bestie, den ich halbwegs zu sehen erwartet hatte, sondern nur ein klobiges, kegelförmiges Ding. Howards Plan schien zu funktionieren. Solange es nicht mein eigener Schatten war, war ich nicht in Gefahr. »Ja«, sagte ich.

Mahoney nickte. »Dann kommt. Rowlf bleibt hier, um das Schiff zu bewachen. Ich weiß nicht, wie lange ich den Sturm noch zurückhalten kann.« Er nickte aufmunternd, schwang sich über die Reling und sprang ins Wasser herab. Ich sah, daß er nur bis zu den Knien einsank; das Boot lag beinahe auf dem Strand, und das Wasser war hier sehr seicht. Er ging ein paar Schritte, wandte sich um und winkte ungeduldig. »Kommt!«

Mit klopfendem Herzen stieg ich hinter ihm vom Boot, dicht gefolgt von Howard. Das Wasser war eisig, und ich raffte instinktiv die Decke enger um meine Schultern, aus Angst, sie könne mir von der Strömung weggerissen werden. Ich wartete, bis Howard mir gefolgt war, dann ging ich mit weit ausgreifenden Schritten hinter Mahoney her. Die Kälte kroch in meinen Beinen empor und ließ mich am ganzen Leib zittern. Mahoney erwartete uns auf dem Strand. »Beeilt euch«, sagte er und wedelte mit den Armen. Vor dem zerborstenen Wrack der LADY war seine Gestalt nur ein gedrungener schwarzer Schatten. Es war absurd - aber mehr als alles andere kam er mir in diesem Moment bedrohlich vor.

Wir rannten los. Der Sand war mit Trümmern und zerborstenem Holz übersät, und hinter uns heulte der Sturm mit immer größerer Wut gegen die unsichtbare Barriere, die die kleine Bucht schützte. Die Blitze fuhren jetzt so dicht hintereinander herab, daß der Strand fast taghell erleuchtet war, in einem flackernden, blauweißen Licht, wie der Schein eines Stroboskopes. Das Heulen des Sturmes wurde lauter, und dann spürte ich, wie die erste Windbö an meinen Decken zerrte. Für einen Moment bauschte sich mein improvisierter Umhang; ich griff hastig mit der Hand nach dem Zipfel, der davonzuwehen drohte, aber der Schatten auf dem Sand, der die Bewegung nachvollzog, war ein tentakelbewehrtes, widerliches Ding. Howard sprang neben mich und zerrte die Decke herunter. Der Killerschatten verschwand.

»Dort vorne!« brüllte Mahoney über das Toben des Sturmes hinweg. Seine Hand wies auf einen rechteckigen Umriß, der ein Stück neben dem eigentlichen Schiffswrack im Sand lag. Im ersten Moment sah er aus wie ein x-beliebiges Trümmerstück, aber dann erkannte ich ihn.