»Wir sind harmlos«, sagte er lächelnd. »Eigentlich sind wir nur hier, um in Ruhe ein Bier zu trinken und eine gute Mahlzeit zu uns zu nehmen.«
»Dann tun Sie das, und hinterher verschwinden Sie am besten wieder so schnell wie möglich«, sagte Sean ernst. Howard runzelte die Stirn. »Warum?«
»Sie sind doch die drei, die in dem Boot unten im Hafen hausen, oder?« erkundigte sich Sean.
Howard nickte, diesmal ehrlich überrascht. »Das... stimmt«, sagte er. »Woher wissen Sie das?«
»Ich weiß ja nicht, woher Sie kommen«, antwortete Sean, »aber Durness ist nicht London oder Birmingham. Hier sprechen sich Neuigkeiten schnell rum. Und nach allem, was in den letzten Tagen hier so passiert, fangen die Leute an, sich Gedanken zu machen.«
»Was so passiert?« wiederholte Howard. »Was meinen Sie damit?«
Sean seufzte, leerte sein Glas und winkte dem Wirt, ein neues zu bringen, ehe er antwortete: »Jetzt hören Sie mir mal zu, Mister Phillips oder wie immer Sie heißen mögen. Ich sehe vielleicht so aus, aber ich bin nicht blöd. Ihr Minidomus ist den ganzen Tag durch die Stadt geschlichen und hat versucht, die Leute auszuhorchen, und er hat sich dabei so dämlich angestellt, daß er vermutlich schon nach zehn Minuten eins in die Fresse gekriegt hätte, wenn er nicht zufällig so groß wie ein Ochse wäre. Und jetzt tauchen Sie drei Mann noch hier auf und spielen die Harmlosen! Ihr Städter haltet uns wohl alle für bescheuert, wie?«
Es war einer der wenigen Augenblicke, in denen ich Howard wirklich verlegen erlebte. Einen Moment lang hielt er Seans Blick stand, dann sah er betreten weg und druckste einen Moment lang hilflos herum.
Sean grinste. »Schon gut«, sagte er. »Ich wollte nur für klare Verhältnisse sorgen. Und wenn wir schon dabei sind, dann gebe ich Ihnen gleich noch einen guten Rat: Verschwinden Sie aus der Stadt, so schnell es geht.«
»Und warum?« fragte ich. Meine Stimme klang schärfer, als ich es beabsichtigt hatte, aber Sean blieb weiterhin ruhig und lächelte bloß.
»Es sind eine Menge komischer Sachen passiert, seit ihr aufgetaucht seid, Jungs«, sagte er. »Und die Leute hier machen sich so ihre Gedanken.«
»Was sollen das für komische Sachen sein?« fragte ich.
Sean seufzte, schüttelte den Kopf und sah mich an, als hätte ich ihn gefragt, warum morgens die Sonne aufgeht. »Fangen wir mal bei dir an«, sagte er. Allmählich brachte mich seine Art, mit mir zu reden, in Wut. Er war, allerhöchstens so alt wie ich, aber benahm sich, als spräche er mit einem Schuljungen in kurzen Hosen. Aber wenn man doppelt so groß ist wie der Rest der Menschheit, dann darf man das vielleicht...
»Zuerst einmal dein Aussehen«, sagte er und streckte einen Finger in die Höhe. »Was ist das in deinen Haaren? Die letzte Modeverrücktheit in London oder eine Verletzung? Ein Unfall?«
Instinktiv hob ich die Hand und wollte nach der breiten Strähne schlohweißen Haares über meinem rechten Auge tasten, führte die Bewegung aber nicht zu Ende. Es gab noch immer eine Menge Gesichter, die ein wenig zu zufällig in unsere Richtung starrten. Mir wurde plötzlich unangenehm bewußt, daß es hier im Pub vermutlich niemanden gab, der nicht über uns redete oder sich zumindest seine Gedanken machte. Und wenn man Sean glauben konnte, waren es keine freundlichen Gedanken ...
»Etwas ... Ähnliches«, antwortete ich ausweichend. »Eine Verletzung, ja.«
»Dann färb dir dein Haar«, antwortete Sean grob. »Vielleicht fällst du damit in einer Großstadt nicht auf, aber hier tust du es. Und dazu der Auftritt, den du dir im Hotel geleistet hast. Glaubst du, so etwas bleibt geheim?« Er schüttelte den Kopf, streckte den zweiten Finger in die Höhe, wandte sich an Howard und hob einen dritten Finger. »Und Sie haben sich auch nicht sonderlich intelligent benommen.«
»Inwiefern?« erkundigte sich Howard steif.
»Oh, es ist nicht gerade unauffällig, aus dem Hotel auszuziehen und in diesem Boot zu hausen, wissen Sie. Nicht bei einem Wetter, bei dem selbst wir froh sind, nicht auf See zu müssen.«
»Vielleicht ist uns das Geld ausgegangen«, sagte Howard.
Sean lachte leise. »Bestimmt. Deshalb bezahlt Ihr Diener auch Ihre Lebensmittel mit Hundert-Pfund-Noten, nicht wahr?« Er lehnte sich zurück, sah Howard, Rowlf und mich der Reihe nach abschätzend an und schüttelte noch einmal den Kopf. »Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte er. »Mir persönlich ist egal, wer Sie sind und was Sie hier wollen. Aber es sind ein paar mysteriöse Dinge passiert, seit Sie drei aufgetaucht sind.«
Howard nickte, setzte zu einer Antwort an, schwieg aber, als der Wirt kam und vier frische - und diesmal randvolle - Gläser mit Ale brachte. Erst als er außer Hörweite war, wandte er sich wieder an Sean.
»Was sind das für mysteriöse Dinge, Sean?« fragte er. »Nehmen Sie einfach an, wir wüßten es wirklich nicht.«
Sean schwieg einen Moment. Dann zuckte er mit den Achseln. »Meinetwegen«, sagte er. »Es ist Ihre Zeit, die Sie vertun, nicht meine. Außerdem nehme ich das ganze sowieso nicht ernst.«
»Erzählen Sie es trotzdem«, sagte Howard. »Bitte.« Sean nippte an seinem Bier, legte die Hände flach rechts und links neben sein Glas und ballte sie zu Fäusten. »Nichts Bestimmtes«, begann er. »Man hört halt dies und jenes, wissen Sie?« Er lächelte, und plötzlich schien er mir nervös. Ich spürte, daß er schon bedauerte, sich überhaupt mit uns eingelassen zu haben. Es war ihm sichtlich unangenehm, über dieses Thema zu reden. »Es geschehen komische Sachen.« Er lachte nervös. »Gestern hat einer der Fischer allen Ernstes behauptet, seine Frau gesehen zu haben.«
»Und was ist daran komisch?« fragte ich.
Sean grinste mich an. »Nichts«, sagte er. »Außer, daß sie vor drei Jahren gestorben ist.«
Es gelang Howard nicht ganz, sein Erschrecken zu verbergen, und auch ich spürte einen raschen, eisigen Schauer. Aber ich gab mir Mühe, mir nichts anmerken zu lassen, und brachte sogar so etwas wie ein ungläubiges Lächeln zustande. »Und das ist alles?«
Sean verneinte. »Manche behaupten, nachts irgendwelche Gestalten durch die Straßen schleichen zu sehen«, sagte er. Diesmal erschrak ich wirklich. Ich dachte an Nebel und wogende Schatten, die sich dahinter verbargen und mit ihm verschwanden.
»Manchmal«, fuhr Sean fort, »hört man Geräusche vom Meer her, und ein paar von den Jungs, die weiter draußen waren, behaupten, einen riesigen Fisch gesehen zu haben. Gestern morgen haben die Kirchenglocken geläutet.«
»Und?« fragte Rowlf.
»Nichts und«, erwiderte Sean trocken. »Wir haben keine Glocken in der Kirche, das ist alles. Und ein paar Leute sind krank geworden.«
»Krank?« Howard setzte sich kerzengerade auf und warf dabei fast ein Bier um.
Sean nickte. Wenn ihm Howards Erschrecken auffiel, dann überspielte er es meisterhaft. »Ganz plötzlich«, sagte er. »Nicht viele - drei oder vier, soweit ich weiß. Aber der Arzt ist ziemlich hilflos. Und noch ein paar komische Sachen.« Plötzlich lächelte er wieder. »Aber wahrscheinlich ist die Hälfte davon nicht wahr und die andere maßlos übertrieben.«
»Das reicht ja auch schon«, murmelte Howard. Seine Worte galten nicht Sean, aber sie waren laut genug gesprochen, daß er sie verstand und ihn mit neu erwachtem Mißtrauen ansah.
»Wie meinen Sie das?« fragte er.
Howard winkte rasch ab. »Oh, nichts«, sagte er. »Ich habe nur ... laut gedacht, das war alles. Jedenfalls haben Sie uns sehr geholfen mit Ihren Informationen.«
»Es sind auch noch ein paar Leute verschwunden«, fügte Sean hinzu. Irgend etwas an der Art, in der er die Worte aussprach, störte mich. Aber ich wußte nicht, was.
»So?« fragte Howard. »Und wer?«
»Oh, niemand Besonderes. Ein paar Rumtreiber aus der Stadt, die öfter mal für ein paar Tage weg sind, auf Sauftour oder sonstwas. Aber die Leute reden eben, und sie erzählen sich, daß Sie einer der letzten waren, mit denen Bensen gesehen worden ist.«