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»Du mußt einfach hier raus«, sagte er, in einem letzten Versuch, Tremayn zu überzeugen. »Du machst dich kaputt. Hast du mal in den Spiegel gesehen, in den letzten zwei Tagen?«

Tremayn lächelte geringschätzig. »Es gibt Wichtigeres als körperliche Gesundheit, Gordon«, sagte er. »Aber das wirst du auch noch begreifen.« Er grinste, beugte sich wieder vor und fuhr fort, seinen Zeigefinger über die Zeilen wandern zu lassen. »Ist sonst noch was?« fragte er, als Gordon keine Anstalten machte, zu gehen.

Gordon druckste herum. »Ich ... weiß nicht«, murmelte er. »Die Sache gefällt mir nicht, Tremayn. Dieses Buch, und ...«

Tremayn sah auf. »Und?«

»Nichts«, sagte Gordon ausweichend. »In den letzten Tagen passieren eine Menge komischer Sachen in der Stadt.«

»Und du meinst, das hätte mit dem da zu tun?« Tremayn ließ die Hand auf die Seiten klatschen und lachte schrill. Als er den Mund öffnete, sah Gordon, daß seine Zähne schwarz und faulig wie die eines uralten Mannes geworden waren. »Du bist verrückt, wenn du das glaubst.«

»Das ... das tue ich ja gar nicht«, widersprach Gordon hastig. »Es ist nur ...«

»Ja?« Tremayns Stimme war lauernd.

Gordon senkte den Blick. »Nichts«, sagte er leise. »Es ist nichts. Vergiß es.«

Tremayn starrte ihn noch einen Moment lang durchdringend an, dann senkte er wieder den Blick und tat so, als konzentriere er sich auf das Buch. »Dann ist es ja gut«, sagte er. »Laß mich allein. Ich habe zu tun.«

Gordon wandte sich zögernd um und ging zur Tür, blieb aber stehen, als Tremayn ihn noch einmal zurückrief.

»Du wirst doch niemandem etwas erzählen, Gordon?« fragte er lauernd.

»Von dem Buch?« Gordon schüttelte hastig den Kopf. »Natürlich nicht. Es bleibt dabei; Du bist krank und mußt das Bett hüten. Keine Sorge, ich verrate dich nicht.«

Tremayn antwortete nicht, und Gordon beeilte sich, den Raum zu verlassen und die Tür hinter sich zuzuziehen. Erst als er wieder allein war, brach Tremayn das Schweigen.

»Das würde ich dir auch nicht raten, mein Freund«, sagte er leise.

Das Haus lag in der heruntergekommensten Gegend von Durness, einer der »Schmuddelecken«, die jede Stadt hat und die man normalerweise vor jedem Fremden zu verbergen versucht. Es gab hier keine Gaslaternen in den Straßen, und hinter den meisten Fenstern brannte bereits jetzt kein Licht mehr, obgleich die Uhr nicht einmal neun zeigte. Es waren Straßen voller heruntergekommener Mietsbaracken und kleiner, wie schutzsuchend aneinandergedrängter Häuser, deren Fenster zum Teil mit Brettern vernagelt waren. Schmutz und Unrat lagen auf den Bürgersteigen und dem schlaglochübersäten Kopfsteinpflaster der Straßen, und das einzige Leben, das uns begegnete, während wir unserem Führer folgten, waren eine Katze und ein paar Ratten, die uns aus kleinen, tückischen Augen musterten und erst das Weite suchten, als Rowlf einen Stein auflas und nach ihnen warf; natürlich, ohne zu treffen. Die Kälte schien hier intensiver und irgendwie beißender als unten am Hafen, und die Dunkelheit, die uns umgab, war von einer ganz anderen Qualität als die in der Stadt; nicht einfach nur die Abwesenheit von Licht, sondern ein schwarzer, undurchdringlicher Vorhang, hinter dem sich unsichere Bewegung und unheimliches, schattiges Leben verbargen. Ich konnte mich eines bangen Gefühles von Furcht nicht erwehren, während wir dicht hinter Sean hergingen, und ein rascher Blick in die Gesichter von Rowlf und Howard sagte mir, daß es den beiden nicht anders erging. Dabei war es fast absurd - es war genau die Art von Gegend, in der ich aufgewachsen war und den größten Teil meines Lebens verbracht hatte, bevor Roderick Andara kam und mich aus den Slums von New York holte, und ich hätte sie kennen sollen. Aber dies hier war anders. Selbst in den schlimmsten Gebieten der Bronx hatte ich die Gefahren gekannt, die mich umgaben. Hier kannte ich sie nicht. Aber ich spürte sie. Überdeutlich.

Nach einer Ewigkeit, wie es mir vorkam, blieb Sean endlich vor einem schmalen, zweigeschossigen Haus stehen und bedeutete uns mit Gesten, ein Stück zurückzutreten. »Warten Sie hier«, sagte er im Flüsterton. »Es ist besser, wenn ich allein hineingehe. Ich will zuerst mit Miß Winden reden.«

Howard sah sich demonstrativ nach beiden Seiten um, ehe er nickte. »Gut«, sagte er. »Aber beeilen Sie sich bitte.«

Sean grinste, öffnete ohne ein weiteres Wort die Tür und verschwand im Haus. Seine Schritte polterten auf dem hölzernen Fußboden im Inneren und verklangen dann. Ich schauderte. Plötzlich fühlte ich mich alleingelassen, obwohl Rowlf und Howard noch immer bei mir waren. Der Biß der Kälte wurde schmerzhafter, und die Dunkelheit schien sich wie ein lautloser Belagerungsring um uns zusammenzuziehen.

»Hoffentlich macht er voran«, murrte Rowlf und zog fröstelnd die Jacke enger um die Schultern. »Is kalt hier. Und nich grad ne hübsche Gegend.«

Howard nickte, zog eine Zigarre aus der Brusttasche und steckte sie nach kurzem Zögern wieder zurück. »Was hältst du von ihm?« fragte er.

Es dauerte einen Moment, bis ich registrierte, daß die Frage mir galt. Ich war voll und ganz damit beschäftigt gewesen, in die wattige Schwärze ringsum zu starren und mir alle möglichen (und ein paar unmögliche) Monster auszudenken, die hinter der Wand aus Dunkelheit auf mich und die anderen lauerten. Mit einem fast verlegenen Lächeln drehte ich mich zu ihm herum und zuckte mit den Achseln. »Von Sean? Ich weiß nicht. Er ist...«

»Jedenfalls kein normaler Fischer oder Landarbeiter, nicht wahr?« Howard lächelte. »Aber schließlich hat er auch nicht behauptet, eines von beiden zu sein.«

Ich sah ihn verwirrt an, nickte dann aber, Howard hatte vollkommen recht. Irgendwie hatten wir alle aus der Umgebung und den Umständen, unter denen wir Sean kennengelernt hatten, geschlossen, daß er irgendein Seemann oder Arbeiter aus Durness war. Aber er hatte niemals behauptet, es zu sein. Eigentlich wußten wir sehr wenig über ihn, dachte ich. Entschieden zu wenig im Grunde, um uns seiner Führung in einer Gegend wie dieser anzuvertrauen.

»Er spricht nicht wie jemand von hier«, sagte ich zögernd. »Aber das besagt nichts. Schließlich ist er uns keine Rechenschaft schuldig.«

»Das nicht.« Howard drehte sich herum und musterte das Haus, in dem Sean verschwunden war, mit einem langen, nachdenklichen Blick. »Ich frage mich nur, warum er uns hilft. Wenn die Stimmung hier in Durness wirklich so gespannt ist, wie er behauptet, dann wird er sich eine Menge Ärger einhandeln.«

»Wenn man so aussieht wie er, kann man sich den vermutlich leisten«, sagte ich.

»Blödsinn«, knurrte Rowlf. »H.P. hat vollkommn recht. Mitem Kerl stimmt was nich. Un ich krieg raus, was.«

»Mach keinen Unsinn, Rowlf«, sagte Howard warnend. »Sean ist nicht unser Feind.«

Rowlf grunzte und wies mit einer zur Faust geballten Pranke auf das Haus. »Un wennsne Falle is?« fragte er.

»Davor hätte uns Robert gewarnt«, behauptete Howard. »Oder?«

Ich beeilte mich, zu nicken, obwohl ich mir meiner Sache plötzlich gar nicht mehr so sicher war. Natürlich hätte ich gemerkt, wenn Sean uns belogen hätte - aber daß er nicht unser Feind war, bewies noch lange nicht, daß er damit automatisch zu unserem Freund wurde.

Seans Rückkehr beendete die Diskussion. Hinter dem schmalen, gesprungenen Fensterchen in der Tür erschien ein flackerndes Licht, dann wurde die Tür geöffnet, und Seans breitschultrige Gestalt trat zu uns auf den Gehsteig heraus. In der Hand hielt er jetzt eine Kerze, deren Flamme er mit der Hand gegen den Wind abschirmte. Das rotgelbe Licht beleuchtete sein Gesicht von unten und gab ihm ein fast unheimliches Aussehen.

»Alles in Ordnung?« fragte Howard.