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Die Frau nickte. Ihr Gesicht war noch immer ausdruckslos, aber ich sah, daß sie mit aller Macht um ihre Beherrschung kämpfte. Hinter der Maske, in die sich ihr Antlitz verwandelt hatte, brodelte es. »Seit zwei Tagen«, antwortete sie. »Es fing ganz plötzlich an. Sie bekam Fieber, aß nichts mehr und ...« Sie sprach nicht weiter. Eine einzelne, glitzernde Träne rann aus ihrem Augenwinkel und malte eine feuchte Spur auf ihre Wange. Ich spürte einen schmerzhaften Stich in der Brust. Mit einemmal haßte ich das Ding, das sich dieses unschuldigen Kindes bemächtigt hatte.

»Haben Sie einen Arzt gerufen?« fragte Howard. »Ja. Er war hier, gestern. Aber er konnte nichts tun.« Howard schwieg einen Moment. Ich ahnte, was hinter seiner Stirn vorging. Miß Winden sprach es nicht aus, aber sowohl ihm als auch mir war klar, warum der Arzt nichts für das Mädchen hatte tun können. Es lag nicht nur daran, daß ihre Mutter wahrscheinlich kein Geld für Medizin hatte.

»Können Sie ... Sally helfen?« fragte Miß Winden. Ihre Stimme bebte. Es war ein Flehen darin, das mich frösteln ließ.

Howard schwieg einen weiteren Augenblick, zuckte mit den Achseln und nickte dann, wenn auch sehr zaghaft. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie sich Sean spannte.

»Vielleicht«, antwortete Howard schließlich. »Ich kann es Ihnen nicht versprechen, Miß Winden. Ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen machen.«

»Das tun Sie nicht«, antwortete sie hastig. Ihre Selbstbeherrschung zerbröckelte, fiel wie eine Maske von ihr ab, und plötzlich war alles, was in ihrem Gesicht geschrieben stand, nur noch Verzweiflung. »Helfen Sie ihr«, sagte sie schluchzend. »Ich flehe Sie an, Doktor Phillips. Ich ... ich kann Ihnen nicht viel bezahlen, aber ich gebe Ihnen alles, was ich habe, und ...«

»Es geht nicht um Geld«, unterbrach sie Howard. »Worum dann?«

Howard atmete hörbar ein. Sein Blick flackerte. Ich sah, wie schwer es ihm fiel, zu antworten. »Ihre Tochter ist nicht krank, Miß Winden. Nicht körperlich.«

»Sie ist ...«

»Ihrem Körper fehlt nichts«, fuhr Howard fort. Sean trat mit einem raschen Schritt neben ihn und starrte ihn an, aber Howard ignorierte ihn. »Ich weiß nicht, ob wir ihr helfen können. Wir können es versuchen. Aber ich brauche Ihre Hilfe dafür.«

»Wofür, Phillips?« fragte Sean mißtrauisch. Ich sah, wie sich seine gewaltigen Schultern strafften. Howard musterte ihn eingehend, schüttelte den Kopf und deutete auf das Bett hinter sich.

»Ich kann diesem Kind helfen, Moore«, begann er, aber Sean unterbrach ihn sofort wieder und ballte drohend die Fäuste.

»Ich habe Sie gewarnt, Phillips«, sagte er aufgebracht. »Sie ...«

»Bitte, Sean!« unterbrach ihn Miß Winden. »Lassen Sie ihn. Mir ist gleich, was er tut, wenn er Sally nur hilft. Sie ... Sie werden ihr doch helfen, Doktor?«

Howard sah sie einen Augenblick lang ernst an. »Wir werden es versuchen«, sagte er. »Aber ich kann nichts versprechen.«

»Was werden Sie versuchen?« fragte Sean. »Was fehlt diesem Kind, Phillips?«

»Sie ist besessen«, antwortete Howard.

Vom Bett her erscholl ein gurgelnder Schrei. Howard, Sean, Rowlf und ich fuhren im gleichen Augenblick herum. Miß Winden stieß einen erschrockenen Laut aus, machte einen Schritt auf das Bett zu, schlug plötzlich die Hand vor den Mund und prallte zurück, als hätte sie einen Hieb bekommen.

Ihre Tochter richtete sich kerzengerade auf. Sie stand nicht auf, sie fuhr, lang ausgestreckt, wie sie gelegen hatte, hoch, als wäre ihr Körper zu einer Statue erstarrt, streckte die Arme aus und krümmte die Hände zu Krallen, alles in einer einzigen, fürchterlichen, unmöglichen Bewegung. Ein rasselnder Laut kam über ihre Lippen. Speichel lief an ihrem Kinn herab, und in ihren Augen flammte ein mörderisches Feuer.

»Rowlf!« schrie Howard.

Rowlf bewegte sich mit einer Schnelligkeit, die selbst mich verblüffte. Blitzschnell sprang er auf das Mädchen zu, schlug ihre Hände herab, die nach seinem Gesicht zu schlagen versuchten, und umklammerte ihren Körper mit den Armen.

Jedenfalls versuchte er es.

Sally sprengte seine Umarmung mit einer einzigen, wütenden Bewegung. Rowlf schrie auf, als ihr Handrücken mit fürchterlicher Wucht in sein Gesicht klatschte, taumelte zurück und verlor das Gleichgewicht. Er fiel, rollte sich auf den Bauch und versuchte aufzustehen, aber Sally setzte ihm nach, warf sich mit weit ausgebreiteten Armen auf ihn und begann, mit den Fäusten auf ihn einzuschlagen. Ich sah, wie Rowlfs Körper unter der fürchterlichen Wucht der Hiebe bis ins Mark erbebte.

»Sean! Halten Sie sie fest!« schrie Howard. »Schnell!«

Eine endlose, quälende Sekunde verging, ehe sich Sean, der dem Geschehen bisher mit ungläubig geweiteten Augen gefolgt war, endlich aus seiner Erstarrung löste und mit einem Satz bei Sally und Rowlf war. Er packte das Mädchen, zerrte es an den Schultern von Rowlf herab und versuchte, ihre Arme an den Körper zu drücken, aber wie den Rowlfs zuvor sprengte Sally auch seinen Griff und hackte mit den Fingernägeln nach seinen Augen.

Sean duckte sich unter ihrer zustoßenden Klaue hindurch und zog gleichzeitig an ihrem anderen Arm. Sally taumelte nach vorne, von der Wucht ihres eigenen Angriffes aus dem Gleichgewicht gebracht, und Sean drehte sich blitzschnell zur Seite, half der Bewegung mit einem weiteren Stoß nach und stellte ihr ein Bein. Sally kreischte vor Wut und Überraschung, fiel bäuchlings auf das Bett und begann mit den Beinen zu strampeln, als sich Sean auf sie warf und sie mit seinem Körpergewicht niederdrückte. Selbst seine gewaltige Kraft schien kaum auszureichen, sie zu halten.

»Rowlf, hilf ihm!« befahl Howard.

Rowlf stemmte sich mühsam hoch, tastete mit den Fingerspitzen über sein geschwollenes Gesicht und stöhnte leise. Blut lief aus seiner aufgeplatzten Lippe.

»Schnell«, sagte Howard. »Er kann sie nicht mehr lange halten.«

Rowlf stöhnte erneut, taumelte unsicher zum Bett hinüber und versuchte, nach Sallys strampelnden Beinen zu greifen. Sally kreischte, warf sich mit einer kraftvollen Bewegung herum und trat ihm in den Bauch. Rowlf sank mit einem keuchenden Laut in die Knie, verzog das Gesicht und umklammerte blitzschnell mit beiden Händen ihre Fußgelenke, während Sean gleichzeitig versuchte, Sallys Arme niederzuhalten.

Ich wollte ihnen helfen, aber Howard hielt mich zurück. »Nicht«, sagte er. »Wir müssen vorsichtig sein.«

»Was ... mein Gott, was ... was ...«, wimmerte Miß Winden.

Howard warf ihr einen fast beschwörenden Blick zu. »Bitte, Miß Winden, vertrauen Sie uns«, sagte er hastig. »Dieses Wesen ist nicht mehr Ihre Tochter. Aber wir können ihr helfen. Sean, Rowlf - haltet sie fest!«

Sean keuchte eine Antwort, preßte Sallys Handgelenke fester gegen das Bett und versuchte gleichzeitig, seinen Kopf so weit wie möglich nach hinten zu biegen, als sie nach ihm biß. Seine Stirn glänzte vor Schweiß, und ich sah, wie sich die Muskeln an seinem Hals vor Anstrengung zu knotigen Stricken spannten. Auch Rowlf keuchte vor Anstrengung. Er und Sean waren vermutlich die beiden stärksten Männer, denen ich jemals begegnet war. Und trotzdem gelang es ihnen kaum, die Besessene zu halten.

Howard ergriff mich am Arm, blickte mich ernst an und nickte stumm. Ich begriff nicht, was er meinte. Vielleicht wollte ich es auch nicht begreifen.

»Geh«, sagte er leise.

Sally begann zu toben. Ihr Körper bog sich durch wie eine Stahlfeder, die bis zum Zerreißen angespannt war. Ich spürte ihren Haß wie einen Schlag.

Langsam ging ich auf das Bett zu, und Sallys Schreie wurden gellender, je weiter ich mich näherte. Ihre Augen loderten.

Und plötzlich hörte sie auf, sich zu wehren. Ihr Widerstand erlahmte von einer Sekunde auf die andere, und ich fühlte, wie der Haß, der mir bisher wie eine unsichtbare Pranke entgegengeschlagen war, von einer Sekunde auf die andere in unbeschreibliche Furcht umschlug.