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Ich konnte nur wenige Augenblicke bewußtlos gewesen sein, denn als ich die Augen aufschlug, war das erste, was ich sah, Miß Winden, die sich schluchzend über ihre Tochter beugte, während Howard behutsam ein Bettlaken über die reglose Gestalt Sallys breitete. Mein Kopf schmerzte, aber es war nicht mehr der mörderische Druck, der einen Moment lang auf meinem Bewußtsein gelastet hatte, sondern ein ganz normaler, ordinärer Schmerz, der von der mächtigen Beule herrührte, die ich mir beim Zusammenbrechen geholt hatte.

Eine gewaltige Pranke ergriff mich bei der Schulter und zog mich auf die Füße. Ich sah auf und blickte in Rowlfs Gesicht. Er grinste, aber es war ein etwas gequältes Lächeln, und aus seiner aufgeplatzten Lippe tropfte noch immer Blut.

»Alles klar?« fragte er.

Ich nickte instinktiv, streifte seine Pranke ab und preßte stöhnend die Hand in den Nacken. Jeder einzelne Muskel in meinem Körper schien weh zu tun. »Und selbst?«

Rowlfs Grinsen wurde noch ein wenig gequälter. »Schon in Ordnung«, murmelte er. »Aber die Kleine hatn hübschen Schlag am Leib. N'paar Sekunden mehr ...« Er wiegte den Schädel, sog hörbar die Luft zwischen den Zähnen ein und wandte sich an Sean. »Vielen Dank für die Hilfe.«

Sean winkte ab. »Schon in Ordnung«, sagte er. »Ich hatte selbst Mühe, sie zu halten.« Er schüttelte den Kopf, seufzte und trat einen Schritt zurück, als sich Howard vom Bett erhob und rasch und warnend die Finger auf die Lippen legte. Lautlos zogen wir uns zurück, soweit es in der Enge des Zimmers möglich war.

Howard blickte mich ernst und auf sonderbare Weise abschätzend an. »Alles in Ordnung mit dir?«

Ich nickte, obwohl ich nicht sicher war. Körperlich fühlte ich mich - beinahe - unversehrt, aber innerlich fühlte ich mich noch immer ausgelaugt und leer. »Was ... was war das?« murmelte ich.

Howard machte eine hastige Geste, leiser zu sprechen, und deutete auf Miß Winden. Aber ich wußte, daß die Geste gleichzeitig Sean galt; wahrscheinlich hatte er ohnehin mehr gesehen, als gut war.

»Ich weiß es nicht«, log er. »Aber ich glaube wenigstens, daß es vorbei ist.«

»Sie glauben?«, sagte Sean betont.

»Ich bin überzeugt«, verbesserte sich Howard. »Was jetzt noch zu tun ist, ist Sache eines Arztes.« Er lächelte ein wenig nervös und fast zuversichtlich und wandte sich rasch um, ehe Sean Gelegenheit hatte, weitere Fragen zu stellen.

»Miß Winden?« fragte er leise.

Die dunkelhaarige Frau sah auf, beugte sich noch einmal über ihre Tochter und kam dann langsam und mit deutlicherem Zögern, als ich mir eigentlich erklären konnte, zu uns herüber. Sie wirkte jetzt wieder gefaßt, nur in ihren Augen stand noch immer diese seltsame Mischung aus Verzweiflung und Furcht.

»Wie geht es Ihrer Tochter?« fragte Howard.

»Sie ... schläft«, antwortete Miß Winden. »Das Fieber ist weg. Wird sie ... wird sie wieder ganz gesund werden?« Während der ganzen Zeit wanderte ihr Blick unstet zwischen Howard und mir hin und her; ich sah, wie schwer es ihr fiel, nicht ununterbrochen mein Gesicht und die weiße Haarsträhne über meiner rechten Braue anzustarren.

»Ja«, antwortete Howard, Seans warnenden Blick mißachtend. »Aber sie braucht jetzt gute ärztliche Pflege und die beste Medizin, die sie bekommen kann.« Er lächelte, griff in seine Weste und nahm ein Bündel zusammengerollter Geldscheine hervor. Sorgfältig zählte er vier Zwanzig-Pfund-Noten ab, legte sie auf den Tisch und machte eine rasche, entschiedene Geste, als Miß Winden protestieren wollte.

»Nehmen Sie das Geld«, sagte er bestimmt, »und bezahlen Sie den Arzt damit. Und von dem Rest kaufen Sie gutes Essen und ein paar warme Kleider für Sally. Das braucht sie jetzt.«

Miß Winden starrte ihn an, mit dem ungläubigen, halb verlegenen Blick, den man in Situationen wie dieser erwartete; aber sie sah auch immer wieder zu mir herüber.

Und ich spürte ihre Furcht. Es war absurd: Howard und ich hatten ihrer Tochter wahrscheinlich das Leben gerettet, aber alles, was ich in ihrem Blick las, war Angst.

»Wir müssen gehen«, sagte Howard plötzlich. »Nehmen Sie das Geld und bezahlen Sie den Arzt davon, Miß Winden.«

Die dunkelhaarige Frau griff zögernd nach den Banknoten, berührte sie jedoch nicht, sondern zog die Hand im letzten Augenblick mit einer fast angstvollen Bewegung wieder zurück. »Warum ... warum tun Sie das?« fragte sie.

Howard lächelte. »Weil mir Ihre Tochter leid tut, Miß Winden«, antwortete er. »Und weil ich gern helfe, wenn es mir möglich ist.« Er wurde ernst. »Noch etwas. Ich habe eine Bitte.«

»Verlangen Sie, was Sie wollen«, sagte Miß Winden, »Ich werde alles tun, was ...«

Howard unterbrach sie mit einem geduldigen Kopfschütteln. »Das ist es nicht. Ich möchte nur, daß Sie mir versprechen, keinem Menschen ein Wort über das zu erzählen, was gerade geschehen ist. Niemandem. Auch dem Arzt nicht. Versprechen Sie mir das?«

Wieder irrte ihr Blick unstet zwischen mir und Howard hin und her, ehe sie endlich, nach spürbarem Zögern und mit sichtlicher Überwindung, nickte. »Ich ... verspreche es«, sagte sie stockend. »Die Hauptsache ist, daß Sally gesund wird. Das wird sie doch, oder?«

»Sie wird es«, nickte Howard. »Aber sie braucht Ihre ganze Hilfe. Arbeiten Sie?«

Sie nickte.

»Dann nehmen Sie sich eine Woche frei«, sagte Howard bestimmt. »Ich werde mit Sean in Kontakt bleiben. Wenn Sie mehr Geld brauchen, lassen Sie es mich wissen. Sie dürfen Sally auf keinen Fall allein lassen, keinen Augenblick.«

Seine Worte verstörten Sallys Mutter vollends, aber irgendwie schien sie zu spüren, wie ernst er es meinte, und widersprach nicht.

»Gut«, sagte Howard schließlich. »Wir müssen jetzt wieder fort, aber ich sorge dafür, daß der Arzt noch heute abend zu Ihrer Tochter kommt. Wissen Sie, wo er wohnt, Sean?«

Sean nickte, und Howard deutete mit einer unbestimmten Geste zuerst auf das schlafende Mädchen, dann auf ihn. »Dann gehen Sie hin und holen Sie ihn, Sean. Rowlf, Robert und ich gehen zurück zum Boot.«

»Ich begleite Sie«, sagte Sean. Howard wollte widersprechen, aber diesmal ließ ihn Sean gar nicht zu Wort kommen. »Die Gegend hier ist nicht ungefährlich«, sagte er. »Es ist besser, wenn ich bei Ihnen bin, glauben Sie mir. Und der Arzt wohnt sowieso in der Nähe des Hafens. Es ist kein großer Umweg.«

Howard resignierte. »Meinetwegen«, sagte er. »Aber Sie versprechen uns, dafür zu sorgen, daß der Arzt noch heute hierher kommt.«

»Ich schleife ihn an den Haaren her, wenn er nicht kommen will«, versprach Sean.

»Dann lassen Sie uns gehen«, sagte Howard. »Wir haben schon zu viel Zeit verloren.«

Wir verabschiedeten uns von Miß Winden und gingen, so schnell, daß es mir beinahe wie eine Flucht vorkam.

Die Dunkelheit schien sich noch vertieft zu haben, als wir hinter Sean aus dem Haus traten. Nirgends war auch nur der geringste Lichtschein zu sehen, und selbst Mond und Sterne hatten sich hinter einer dichten, tiefhängenden Wolkendecke verborgen, aus der feiner Nieselregen auf die Erde fiel. Es war kalt, fast eisig, und der einzige Laut, der zu hören war, war das Winseln des Windes.

Howard schlug demonstrativ seinen Kragen hoch, zog den Hut tiefer in die Stirn und drehte das Gesicht aus dem Regen. Sean deutete wortlos in die Richtung, aus der wir gekommen waren, und ging los. Gebückt und gegen den Wind gebeugt, folgte ich ihm, während Rowlf den Abschluß bildete.

Obwohl Sean kaum mehr als drei Schritte vor mir ging, konnte ich ihn kaum noch erkennen. Die Dunkelheit war so total, daß selbst die Häuser beiderseits der Straße nur noch zu erahnen waren, und der Weg schien kein Ende zu nehmen. Vorhin, als Sean uns hergebracht hatte, war er mir weit vorgekommen; jetzt erschien er mir endlos. Ich hatte das Gefühl, stundenlang marschiert zu sein, ehe wir endlich wieder den Hafen erreichten und unser Boot vor uns lag.