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»Bleibt zurück«, flüsterte Howard. »Und paßt auf!« Er ging in die Hocke, legte Hut, Stock und Mantel lautlos zu Boden und näherte sich geduckt der Tür.

Sie ging auf, als er noch einen Schritt davon entfernt war.

Howard blieb verblüfft stehen. Lautlos und wie von Geisterhand bewegt schwang die Tür auf und gewährte uns einen Blick in den dahinterliegenden Raum.

Oder das Etwas, in das er sich verwandelt hatte.

Der Anblick war so bizarr wie erschreckend.

Auf dem Boden brodelte Nebel, grüner, in einem unheimlichen inneren Schein leuchtender Nebel, von dem ein stechender Geruch ausging. Die Wände waren dick mit Eis verkrustet, und unter den spitz zusammenlaufenden Dachbalken wehten graue, klebrige Schleier, die wie Spinnweben aussahen. Die Luft im Inneren des Zimmers pulsierte in dem gleichen grünlichen Schein, der auch den Nebel erfüllte, und die wenigen Möbelstücke, mit denen das Zimmer eingerichtet war, waren ausnahmslos unter einem dicken Panzer aus milchigem Eis verschwunden. Ein Hauch unglaublicher Kälte wehte zu uns heraus.

Aber ich nahm von all dem kaum etwas wahr. Mein Blick war wie hypnotisiert auf den runden Tisch unter dem Fenster gerichtet, der als einziges Möbelstück eisfrei geblieben war. Auf ihn und den Mann, der hochaufgerichtet dahinter stand ...

»Treten Sie ein Mister Lovecraft«, sagte er. Seine Stimme klang furchtbar, hell und gläsern und knarrend, als versuche ein Wesen aus Eis oder Glas zu sprechen. »Ich habe Sie erwartet.«

Howard zögerte. Die Waffe in seiner Hand zitterte, senkte sich ein wenig und kam mit einem Ruck wieder hoch.

»Stecken Sie Ihre Waffe weg, Lovecraft«, sagte der Mann. »Sie wissen, daß sie nutzlos gegen mich ist.« Er trat um den Tisch herum und machte eine abgehackte, einladende Bewegung. Ich sah, wie sich kleine Eisstückchen von seiner Haut lösten und lautlos in der brodelnden Nebelschicht auf dem Boden verschwanden. Wieso lebte er noch?

»Wer ... wer sind Sie?« fragte Howard stockend.

»Wer ich bin?« Das Gesicht des Mannes blieb ausdruckslos wie eine Maske, aber er lachte; ein Laut, der mir einen eisigen Schauer den Rücken herablaufen ließ. »Der, den Sie gesucht haben, Lovecraft. Sie und Ihr närrischer junger Freund. Ich bin Tremayn. Sie wollten doch zu mir. Oder war es das, was Sie gesucht haben?« Er trat ein weiteres Stück zur Seite und deutete mit einer dramatischen Geste auf den Tisch.

Howard fuhr wie unter einem Peitschenhieb zusammen, als er das Buch sah.

Es lag aufgeschlagen auf dem Tisch, ein mächtiger, in steinhart und schwarz gewordenes Schweinsleder gebundener Band. Der grüne Schein, der das Zimmer erfüllte, schien über den aufgeschlagenen Seiten besonders intensiv zu sein, und trotz der großen Entfernung glaubte ich zu erkennen, daß sich die verschnörkelten Schriftzeichen auf dem gelben Pergament bewegten.

Howard erwachte mit einem Keuchen aus seiner Erstarrung, trat mit drei, vier raschen Schritten in das Zimmer hinein und blieb stehen, als Tremayn ihm den Weg vertrat.

»Ich würde Ihnen nicht raten, es zu berühren«, sagte Tremayn leise. »Es wäre Ihr Tod, Lovecraft.«

Howard starrte ihn für die Dauer eines Atemzuges fast haßerfüllt an. »Was ... was haben Sie getan, Sie Narr?« keuchte er.

»Was ich tun mußte.« Tremayn lachte leise. »Sie wissen es, Lovecraft. Sie wären nicht gekommen, wenn Sie es nicht wüßten. Aber es ist zu spät.« Er wandte den Kopf und blickte zu mir und Rowlf auf den Flur hinaus. »Treten Sie näher, meine Herren«, sagte er. »Keine Sorge - keinem von Ihnen wird etwas geschehen, wenn Sie vernünftig sind.«

Alles in mir sträubte sich dagegen, und eine Stimme flüsterte mir zu, daß es kompletter Wahnsinn war und ich die Beine in die Hand nehmen und laufen sollte, so schnell und so weit ich konnte, aber statt dessen setzte ich mich - fast gegen meinen Willen - in Bewegung und trat in das Zimmer hinein. Die Kälte hüllte mich ein wie ein gläserner Mantel, und in meinen Beinen machte sich ein kribbelndes, unbeschreiblich widerwärtiges Gefühl breit, als ich in den Nebel eindrang. Es fühlte sich an, als kröchen Millionen winziger Spinnen über meine Haut.

»Sie sind wahnsinnig, Tremayn«, murmelte Howard. »Sie wissen nicht, was Sie getan haben.«

»O doch, ich weiß es«, widersprach Tremayn. »Ich tat, was getan werden mußte.«

»Sie werden sterben!« sagte Howard.

Tremayn nickte ungerührt. »Wahrscheinlich«, sagte er. »Aber was zählt ein einzelnes Leben, noch dazu das eines Menschen?« So, wie er das Wort aussprach, hörte es sich an wie eine Beschimpfung. »Sie kommen zu spät, Lovecraft. Es ist geschehen. Die Macht der wahren Herren dieser Welt wird wieder auferstehen, größer und allumfassender als zuvor. Und es gibt nichts mehr, was Sie dagegen tun könnten.«

Ich verstand nicht, was er meinte, aber seine Worte brachten irgend etwas in mir zum Klingen, das gleiche, unsichtbare Etwas, das ich am vergangenen Abend bereits gespürt hatte, als ich den Dämon aus dem Geist des Mädchens verjagte. Und so wie gestern fühlte ich mich plötzlich wieder wie ein hilfloser Zuschauer, ein allenfalls geduldeter Gast in meinem eigenen Körper, dessen Willen in die hinterste Ecke seines Bewußtseins zurückgedrängt worden war. Ohne mein Zutun setzten sich meine Beine in Bewegung. Ich sah, wie sich meine Hände hoben und nach Tremayn griffen, sah die Wut in seinen Augen und hörte den ungläubigen Schrei, als er wie von einer unsichtbaren Gewalt gepackt und mit mörderischer Kraft zurückgeschleudert wurde.

»Robert!« keuchte Howard. »Es ist dein Tod!«

Ich hörte seine Worte, aber ich war unfähig, darauf zu reagieren oder auch nur zu antworten. Langsam trat ich auf den Tisch zu, umrundete ihn und blieb, die Hände in einer fast beschwörenden Geste ausgestreckt, vor dem Buch stehen. Mein Körper gehorchte mir nicht mehr. Ich wollte schreien, aber nicht einmal das konnte ich. Meine Hände bewegten sich wie von selbst, näherten sich den aufgeschlagenen Buchseiten, verharrten einen halben Zentimeter darüber - und senkten sich weiter ...

»Nein!« kreischte Tremayn. »Tun Sie es nicht, Sie Narr! Sie werden alles zunichte machen!«

Meine rechte Hand berührte das Buch.

Es war ein Gefühl, als hätte ich ins Herz einer glühenden Sonne gegriffen. Es war kein Schmerz. Keine Hitze oder Kälte oder sonst eine körperliche Empfindung.

Es war Haß, der alles überstieg, was ich jemals erlebt hatte, auf alles, was lebte und fühlte. Ich taumelte, schrie auf und versuchte, meine Hand vom Einband des Buches zu lösen, aber es ging nicht. Meine Finger klebten wie angewachsen an dem schwarzen Leder, und eine unendlich fremde Kraft pulsierte durch meinen Arm, fraß sich wie weißglühende Lava in mein Bewußtsein und ließ mich schreien, schreien, schreien ... Wie in einer bizarren, unwirklichen Vision sah ich, wie Howard und Tremayn gleichzeitig herumwirbelten und auf mich zustürzten.

Tremayn war um den Bruchteil einer Sekunde schneller.

Seine Faust traf Howard am Kinn und schleuderte ihn zurück, und fast gleichzeitig klatschte seine andere Hand auf die meine herab und versuchte, sie vom Einband des Buches loszureißen.

Irgend etwas geschah. Es ging zu schnell, als daß ich wirklich begriff, was es war - es war wie das blitzartige Überspringen eines Funkens, ein Gefühl, als entlüde sich die aufgestaute Energie in meinem Inneren in einem einzigen, gewaltigen Schlag, als sich unsere Hände berührten. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich, ein Licht zu sehen, ein winziges, unerträglich grelles Licht, das aus meinen Fingerspitzen brach und sich in seinen Körper fraß, dann wurde Tremayn abermals von einer unsichtbaren Faust gepackt und herumgeworfen. Aber diesmal stürzte er nicht zu Boden, sondern blieb, wie von unsichtbaren Händen gehalten, starr und in unnatürlich verkrümmter Haltung stehen.