Tremayns Körper begann von innen heraus zu glühen, erst rot, dann gelb, schließlich in einem unerträglich grellen, blauweißen Licht, alles in einer einzigen, schrecklichen Sekunde. Eine Welle glühendheißer Luft fauchte durch das Zimmer, ließ das Eis an den Wänden verdampfen und die Fensterscheibe zerspringen, und plötzlich schoß eine brüllende Feuersäule aus dem Boden, hüllte Tremayns Körper ein und verschlang ihn.
Ich spürte kaum, wie mich die Druckwelle erreichte und zu Boden schleuderte. Ich fiel, rollte haltlos über den Boden und kam mit einem schmerzhaften Schlag zur Ruhe. Meine Hand umklammerte noch immer das Buch. Howard schrie irgend etwas, das ich nicht verstand, und plötzlich waren überall Flammen und Rauch. Dort, wo die Feuersäule das Dach berührt hatte, gähnte eine gewaltige, gezackte Öffnung, aus deren Ränder Flammen schlugen. Die morschen Balken brannten wie Zunder, und das Feuer breitete sich mit unheimlicher Geschwindigkeit aus, viel schneller, als es eigentlich möglich war. Ich hustete, stemmte mich mühsam auf Hände und Knie hoch und hielt nach Howard und Rowlf Ausschau. Ihre Gestalten waren nur als flackernde dunkle Schemen hinter der Wand aus Flammen zu erkennen, die das Zimmer in zwei ungleichmäßige Hälften teilte. Die Hitze wurde unerträglich.
»Robert!« schrie Howard. »Spring! Um Gottes willen, spring! Das ganze Haus fängt Feuer!«
Ich stand auf, machte einen Schritt auf die Flammenwand zu - und prallte abermals zurück. Die Hitze war unvorstellbar. Meine Kleider begannen zu schwelen, und mein Gesicht schmerzte, als stünde es bereits in Flammen. Aber ich hatte keine Wahl. Die Feuerwand bewegte sich rasend schnell auf mich zu; in wenigen Sekunden würde das ganze Zimmer ein einziges Flammenmeer sein, und ich würde verbrennen.
Ich atmete ein, so tief ich konnte, hob das Buch schützend vor das Gesicht - und stieß mich mit aller Kraft ab.
Es dauerte weniger als eine Sekunde, aber mir kam es vor wie Jahre. Die Flammen hüllten meinen Körper ein und verwandelten meine Kleider in schwelende, schwarze Fetzen. Ein Schmerz explodierte in meinem Körper, und in meinen Lungen schien plötzlich weißglühende Lava zu sein. Ich fiel, schlug mit der Stirn gegen die steinharte Kante des Buches und kämpfte mich keuchend auf Hände und Knie hoch, ehe mich Rowlf erreichte und auf die Füße riß und auf den Ausgang zustieß. Auch in diesem Teil des Zimmers tobten bereits die Flammen, und die Luft war so heiß, daß ich gequält aufschrie, als ich zu atmen versuchte.
Als wir aus dem Zimmer taumelten, blickte ich noch einmal über die Schulter zurück. Und genau in diesem Moment schlugen die Flammen über der Stelle zusammen, an der ich gerade noch gestanden hatte. Das Brüllen der feurigen Explosion klang wie ein dämonischer Wutschrei.
Das Haus brannte wie ein gewaltiger Scheiterhaufen, als wir auf die Straße hinausliefen. Die Hitze war uns wie eine unsichtbare, glühende Pranke nachgefolgt, während wir die morschen Holztreppen hinunterrannten, und die Flammen hatten mit der gleichen, unheimlichen Geschwindigkeit in dem morschen Gebälk um sich gegriffen, in dem sie sich bereits in Tremayns Zimmer ausgebreitet hatten. Howard, Rowlf und ich hatten gegen alle Türen geschlagen und lauthals »Feuer!« geschrien, um die Bewohner zu warnen, aber auf der Straße vor dem Haus drängelten sich bereits fast ein Dutzend Menschen, zum Teil noch in Nachthemden oder nur mit hastig übergestreiften Hosen oder Mänteln bekleidet. Trotzdem hatten wir uns auf dem letzten Dutzend Schritte fast mit Gewalt weiterkämpfen müssen und es war das erste Mal, daß ich wirklich erlebte, was das Wort »Panik« bedeutete.
Die Straße war nicht mehr leer. Aus allen Richtungen kamen Menschen herbeigerannt, und das unheimliche Schweigen, das uns auf dem Weg hierher begleitet hatte, war dem Rufen und Gellen zahlloser durcheinanderschreiender Stimmen gewichen.
Ich sah mich um, während wir, angeführt von Rowlf, der seine gewaltigen Körperkräfte einsetzte, um uns einen Weg durch die immer dichter werdende Menge zu bahnen, über die Straße liefen. Das Haus war nicht mehr zu retten. Aus dem geborstenen Dachstuhl schlugen zehn Meter hohe Stichflammen. Schwarzer, fettiger Rauch quoll aus den geschwärzten Fenstern des Dachgeschosses, und Millionen winziger, rotglühender Funken regneten wie feurige Käfer auf die Straße und die benachbarten Häuser herab. Wenn nicht im letzten Moment ein Wunder geschah, würde das Feuer auf die angrenzenden Gebäude übergreifen und vielleicht den ganzen Straßenzug in Schutt und Asche legen.
Sean erwartete uns auf dem gegenüberliegenden Gehsteig. Seine Augen waren vor Schrecken geweitet. »Was ist geschehen?« fragte er. »Ich ... ich sah eine Explosion, und -«
»Jetzt nicht!« unterbrach ihn Howard hastig. »Wir müssen weg. Schnell!«
Er kam nicht dazu, seinen Vorsatz in die Tat umzusetzen. Ein grauhaariger Mann vertrat ihm den Weg, hob in einer herrischen Geste die Hand und ballte sie gleichzeitig zur Faust. »Nicht ganz so schnell, Mister!« sagte er. »Sie gehen nirgendwo hin.«
Ich erkannte ihn. Es war der Mann, der uns im Treppenhaus angesprochen hatte. Ein eisiger Schrecken durchfuhr mich, als ich sah, wie sich eine Anzahl Gesichter beim Klang seiner Stimme in unsere Richtung wandten. Aus dem Haus hinter uns drangen noch immer Schreie und polternde, berstende Geräusche, und mir wurde schmerzhaft bewußt, wie viele Menschen manchmal in diesen ärmlichen Unterkünften hausten. Und wie schnell sich das Feuer ausbreitete.
»Wat willste?« fragte Rowlf wütend. »Geh aussem Weg, Männeken! Wir müssen'e Feuerwehr rufn!«
Aber diesmal ließ sich der Mann nicht von Rowlfs beeindruckender Erscheinung einschüchtern. Er baute sich im Gegenteil noch herausfordernder vor uns auf und streckte kampflustig das Kinn vor. Seine Stimme war laut genug, um trotz des Lärmes auch auf der anderen Straßenseite noch verstanden zu werden. »Was ist da oben passiert?« fragte er mit einer wütenden Geste auf das brennende Haus. »Was haben Sie getan? Sie haben das Feuer gelegt!«
Howard drückte seinen Arm herunter und versuchte, sich an ihm vorbeizuschieben, aber der Mann setzte ihm mit einem zornigen Knurren nach und packte ihn mit beiden Händen an den Rockaufschlägen. »Sie haben das Haus angezündet!« brüllte er. »Das ist alles Ihre Schuld!«
Rowlf schlug ihn nieder. Wahrscheinlich war es das Falscheste, was er in diesem Moment hätte tun können, aber als er seinen Fehler bemerkte, war es zu spät. Der Mann sank mit einem lautlosen Seufzer in die Knie, aber aus der Menge, die sich auf der Straße versammelt hatte, erscholl im gleichen Augenblick ein vielstimmiger, zorniger Schrei.
»Verdammter Idiot!« brüllte Sean. Mit einem Satz war er bei Rowlf, versetzte ihm und Howard gleichzeitig einen Stoß, der beide gegen die Hauswand taumeln ließ, und baute sich breitbeinig zwischen uns und der näherrückenden Menge auf. »Robert, zu mir!« schrie er.
Plötzlich lag der Revolver in seiner Hand. Noch während ich mich beeilte, mit einem verzweifelten Satz zu Rowlf und Howard zu gelangen, hob er die Waffe, schlug einem der näherkommenden Männer mit der flachen Hand ins Gesicht und zog gleichzeitig den Abzug zweimal hintereinander durch.
Die Schüsse hallten wie Kanonenschläge durch die enge Straße. Die Menge, die vor einer halben Sekunde noch in einer schwerfälligen Bewegung herangeflutet war, prallte entsetzt zurück, und für den Bruchteil eines Atemzuges war es so still, daß man die berühmte Stecknadel hätte fallen hören können. Selbst das Prasseln und Krachen des Feuers schien für einen Augenblick innezuhalten.
Dann brach der Tumult doppelt heftig los. »Bringt sie um!« schrie eine Stimme, und andere nahmen den Ruf auf und wiederholten ihn im Chor. »Sie haben das Haus angezündet!« schrien sie, und: »Sie sind schuld daran.«
Sean feuerte ein weiteres Mal in die Luft, aber diesmal blieb die erhoffte Wirkung aus. Die zuvorderst Stehenden versuchten, vor ihm zurückzuweichen, wohl weniger aus Angst vor dem Revolver, als vielmehr vor seiner beeindruckenden Gestalt und seinen mächtigen, kampfbereit erhobenen Fäusten, aber die Männer und Frauen hinter ihnen schoben und drängten unbarmherzig weiter. Die Front drohend verzerrter Gesichter und geschüttelter Fäuste kam näher.