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»Lauft!« keuchte Sean. »Verdammt noch mal, lauft! Ich versuche sie aufzuhalten! Wir treffen uns am Boot!«

Howard zögerte noch einen winzigen Moment, aber dann sah er ein, daß wir keine Chance hatten, den aufgebrachten Mob zu beruhigen - oder uns gar mit Erfolg gegen ihn zu wehren.

Verzweifelt rannten wir los. Zwei, drei Männer versuchten, uns den Weg zu verstellen und uns aufzuhalten, aber Rowlf schlug sie nieder oder rannte sie einfach über den Haufen. Hinter uns peitschten Schüsse, und das Grölen der Menge wurde zu einem höllischen Chor, der nach unserem Blut schrie. Für einen Moment glaubte ich, Seans Stimme unter dem Kreischen der Menschenmenge zu vernehmen, dann waren wir um die nächste Straßenbiegung und rannten weiter. Aber wir hatten kaum hundert Schritte zurückgelegt, als auch schon die ersten Verfolger hinter uns auftauchten. Und ihre Zahl wuchs.

Es war ein verzweifeltes Wettrennen. Der Weg zum Hafen hinunter kam mir zehnmal weiter vor als vorhin, und unser Vorsprung schmolz, langsam, aber stetig. Als wir den Kai erreichten, waren die ersten kaum mehr fünfzig Yards hinter uns.

Howard zerrte im Laufen seinen Revolver aus der Tasche und feuerte einen Schuß dicht über die Köpfe der Menge hinweg ab. Die Wirkung war gleich Null. Das waren keine vernünftigen Menschen mehr. Ich verstand Worte wie »Teufel« und »Hexer«, und ein neuerlicher, eisiger Schauer jagte über meinen Rücken.

»Schneller!« keuchte Howard. Wieder schoß er, und diesmal hielt er die Waffe tiefer; die Kugel hieb wenige Schritte vor den vordersten Männern gegen das Kopfsteinpflaster und schlug Funken aus dem Stein. Drei, vier Männer schrien erschrocken auf, kamen aus dem Takt und stürzten, aber hinter ihnen drängten immer weitere nach, Dutzende, wenn nicht Hunderte. Die Furcht, die seit zwei Tagen Besitz von den Bewohnern der Stadt ergriffen hatte, entlud sich in einer einzigen, gewaltigen Explosion. Die Männer hinter uns waren längst nicht mehr nur die Bewohner des brennenden Hauses oder der umliegenden Gebäude; jeder Mann, der der tobenden Menge begegnet war, mußte sich ihr angeschlossen haben.

Rowlf rannte schneller, setzte mit einem verzweifelten Sprung auf das Boot über und begann mit fliegenden Fingern die Taue zu lösen, die es mit dem Kai verbanden. Wenige Sekunden später erreichten auch Howard und ich das Schiff und halfen ihm.

Es war aussichtslos. Die Menge kam heran, als das letzte Seil fiel, aber die Brandung drückte das Boot heftig gegen den Kai, und das Boot vom Ufer wegzudrücken oder gar Segel zu setzen, blieb keine Zeit. Rowlf schlug einen Mann nieder, der zu uns auf das Deck herabsetzte und ein schartiges Küchenmesser schwang, und Howard schoß einem zweiten in den Oberschenkel.

Dann waren sie über uns. Ein heftiger Schlag prellte mir die Waffe aus der Hand, eine Faust traf mich und ließ mich zusammenbrechen, und dann spürte ich nichts mehr außer den Schlägen und Tritten, die auf mich herabprasselten. Hände griffen nach mir und zerrten an meinen Kleidern und Haaren, und wie durch einen Schleier sah ich, wie Rowlf unter einer wahren Flutwelle von Menschen zu Boden ging. Das Boot war viel zu klein, um die zahllosen Männer aufzunehmen. Mehrere von ihnen stürzten ins Wasser, und mehr als einer wurde von den Nachdrängenden vom Kai gestoßen und fiel schreiend in die Fluten. Aber das steigerte die Wut der Menge eher noch. Ich spürte die einzelnen Schläge kaum noch, krümmte mich nur noch verzweifelt und versuchte irgendwie, mein Gesicht und meinen Unterleib zu schützen. Ich war fest davon überzeugt, daß sie Howard und Rowlf und mich kurzerhand totschlagen würden.

Aber sie taten es nicht. Eine Stimme rief etwas, das ich nicht verstand, und die Schläge nahmen ab und hörten schließlich ganz auf. Harte Fäuste packten mich, zerrten mich auf die Füße und schleiften mich über das Deck auf die Kajüte zu. Auch Rowlf und Howard wurden von der Menge gepackt und auf die offenstehende Tür zugestoßen.

»Verbrennt sie!« brüllte die Stimme, die ich schon vorher gehört hatte. »Sie haben Feuer gelegt, und jetzt sollen sie spüren, wie heiß es brennt. Verbrennt sie, wie man es mit Hexen tut!«

Die Menge fing den Ruf johlend auf und wiederholte ihn. Plötzlich war irgendwo eine Fackel, dann eine zweite, dritte, und der Gestank brennenden Holzes erfüllte die Luft. Ich bäumte mich auf und begann, mich verzweifelt zu wehren, aber gegen die dutzendfache Übermacht hatte ich keine Chance. Ein Stoß traf mich in den Rücken und trieb mich auf die Tür zu, dann trat mir jemand in die Kniekehlen, und ich stürzte die Treppe in die Kajüte hinab.

Der Aufprall war fürchterlich. Wie durch einen Vorhang hindurch sah ich, wie Howard und Rowlf hinter mir die Treppe hinabgeworfen wurden, dann segelte eine Fackel durch die Tür und schlug wenige Zentimeter neben mir auf. Verzweifelt schlug ich die Funken aus, preßte die Hände gegen das Gesicht und rollte zur Seite, als eine zweite und dritte Fackel zu uns herabfiel. Rowlf schrie auf, warf sich nach vorne und versuchte, das Feuer auszutreten, aber für jede Fackel, die er löschte, kamen fünf neue durch die Tür geflogen. Ein Teil der Treppe und des Fußbodens hatte bereits Feuer gefangen.

Die Tür fiel mit einem dumpfen Krachen ins Schloß, und auf dem Deck polterten zahllose harte Schritte. Das Schreien der Menge steigerte sich zu einem infernalischen Gebrüll, und das Boot erbebte wie unter einem gewaltigen Hammerschlag. Selbst hier drinnen war das Schreien der Menge fast unerträglich.

Hustend stemmte ich mich auf die Füße, schlug mit den Händen nach den Funken, die sich in meinen Kleidern festgesetzt hatten, und wich vor der prasselnden Feuerwand zurück. Die Hitze war unerträglich, und die Luft war schon jetzt, nach wenigen Augenblicken, so sehr von Rauch und beißendem Gestank erfüllt, daß das Atmen fast unmöglich wurde. Rowlf fuhr mit einem Schrei herum, riß einen Stuhl vom Boden hoch und schlug eines der Bullaugen ein, aber die Wirkung war gleich Null.

»Rowlf!« schrie Howard. »Nach vorne! Der Laderaum!« Er deutete heftig gestikulierend auf die Vorderwand der Kajüte. Ich wußte, daß sich dahinter der kleine Heckladeraum des Schiffchens befand, ein knapp fünf Schritte messender Verschlag, von dem aus der Weg durch eine Klappe nach oben führte - aber zwischen uns und ihm befand sich eine massive Wand aus zollstarkem Holz.

Rowlf knurrte, wich ein paar Schritte zurück und senkte die Schultern. Ich erkannte ihn kaum hinter den schwarzgrauen, brodelnden Rauchwolken, die die Kabine erfüllten. Meine Lungen brannten unerträglich. Wir würden ersticken, lange ehe uns die Flammen erreichten.

Rowlf rannte los. Sein Körper schien sich in eine lebende Kanonenkugel zu verwandeln. Im letzten Moment drehte er sich halb herum, prallte mit unglaublicher Wucht gegen die Wand und torkelte mit einem Schmerzensschrei zurück.

Aber in der Wand war ein fingerbreiter, gezackter Riß erschienen!

Howard, Rowlf und ich warfen uns beinahe gleichzeitig gegen die Wand. Das Holz stöhnte wie ein lebendes Wesen unter unserem Anprall, und ein zweiter, längerer Riß erschien. Rowlf riß Howard und mich mit einer ungeduldigen Bewegung zurück, hob die Fäuste und schlug mit aller Kraft gegen das Holz. Die Wand erbebte, und der Riß verbreiterte sich weiter. Ich sah, wie Rowlfs Fingerknöchel aufplatzten und Blut über seine Hände lief, aber er schlug weiter mit aller Kraft auf die Bretterwand ein. Der Riß wuchs zu einem Spalt heran. Rowlf brüllte auf, griff mit beiden Händen nach seinen Rändern und zerrte mit aller Gewalt. Mit einem berstenden Laut löste sich ein Brett und gab den Weg in den darunterliegenden Raum frei.

Die Kajüte verwandelte sich in ein Flammenmeer, als wir in den Laderaum taumelten. Der frische Sauerstoff, der durch den Riß in die Kajüte strömte, fachte die Flammen zu neuer Wut an, und selbst hier war die Hitze kaum mehr auszuhalten. Rowlf ballte noch einmal die Fäuste, sprengte die Luke mit einem einzigen gewaltigen Hieb auf und sprang ansatzlos nach oben. Mit einer kraftvollen Bewegung zog er sich aufs Deck hinaus, wirbelte herum und streckte mir die Hände entgegen. Howard entriß mir das Buch, das ich noch fest umklammert hielt, ohne daß ich es bisher überhaupt bemerkt hätte, und Rowlf zog mich ohne viel Federlesens zu sich herauf und lud mich wie einen Sack auf dem Deck ab. Sekunden später reichte Howard ihm das Necronomicon und sprang kurz darauf selbst an Deck.