Выбрать главу

Für einen kurzen Moment waren wir in Sicherheit. Der Decksaufbau gab uns Sichtschutz zum Hafen hin, aber es konnte nur Augenblicke dauern, bis die aufgeputschte Menge unsere Flucht bemerkte. Und fast, als wäre dieser Gedanke ein Stichwort gewesen, erschien in diesem Moment eine einzelne Gestalt auf dem Kai und deutete heftig gestikulierend zu uns hinüber. »Da sind sie!« brüllte eine Stimme. »Sie versuchen zu entkommen!«

Ein Schuß peitschte, und dicht neben uns spritzten Holzsplitter aus dem Deck. Howard wirbelte herum und sprang mit einem gewagten Hechtsprung ins Wasser, und Rowlf versetzte mir kurzerhand einen Stoß, der mich rücklings über die Bordwand und ins Wasser stürzen ließ.

Die Kälte betäubte mich fast. Vor Augenblicken noch waren wir beinahe bei lebendigem Leibe geröstet worden, jetzt hatte ich das Gefühl, in Bruchteilen von Sekunden von innen heraus zu Eis zu erstarren. Ich schluckte Wasser, kämpfte mich - mehr instinktiv als mit bewußten Bewegungen - an die Oberfläche und hustete qualvoll. Das eisige Wasser saugte das Leben aus meinen Gliedern, so schnell, daß ich spüren konnte, wie meine Muskeln hart und taub und nutzlos wurden.

Eine Welle ergriff mich, hob mich ein Stück hoch und schmetterte mich gegen die Kaimauer. Der Schlag trieb mir die Luft aus den Lungen, aber der Schmerz riß mich auch wieder in die Wirklichkeit zurück und vertrieb für einen Moment den Schleier aus Schwäche und Müdigkeit, der sich um meine Gedanken gelegt hatte.

Wir trieben dicht vor dem Kai, nur wenige Fußbreit von dem brennenden Boot entfernt. Eine dichtgedrängte Menschenmenge säumte den Kai; Steine und andere Wurfgeschosse flogen zu uns herunter, und ich sah, wie Rowlf getroffen wurde.

»Verbrennt sie!« brüllte die Menschenmenge. »Verbrennt die Hexer! Tötet sie!«

Der Hagel von Wurfgeschossen verstärkte sich.

Und dann sah ich etwas, das mir schier das Blut in den Adern gerinnen ließ.

Drei, vier Männer rollten unter dem johlenden Beifall der anderen ein Faß herbei. Eine Axt wurde geschwungen und traf krachend auf das dünne Blech - und ein breiter Strom goldgelben Petroleums ergoß sich ins Wasser des Hafenbeckens!

»Nein!« brüllte Howard. »Schwimmt! Schwimmt um euer Leben!«

Es war sinnlos. Ich stemmte mich mit aller Macht gegen die Gewalt der Dünung, aber das Petroleum breitete sich zehnmal schneller auf der Wasseroberfläche aus, als ich zu schwimmen imstande war, und die Wellen trugen mich fast ebenso schnell zurück, wie ich vorwärtskam.

»Verbrennt sie!« brüllte der Chor. »Tötet sie! Tötet sie! Tötet sie!«

Eine Fackel flog durch die Luft. Wie ein brennender Stern segelte sie, sich langsam in der Luft überschlagend, auf das Wasser herab. Ich atmete ein, so tief ich konnte, warf mich nach vorne - und tauchte, im gleichen Moment, in dem die Fackel die Wasseroberfläche und das darauf schwimmende Petroleum berührte.

Mit einem einzigen, ungeheuren Schlag fing das Petroleum über unseren Köpfen Feuer. Ein grelles, orangerot flackerndes Licht ließ das Wasser rings um uns herum aufleuchten, während die Feuerwand über uns mit wahnsinniger Geschwindigkeit zum Ufer zurückraste. Die Flammen mußten selbst die Männer und Frauen dort oben gefährden, und wahrscheinlich würde der halbe Hafen abbrennen, aber daran dachte der tobende Mob in diesem Moment bestimmt nicht.

Ich tauchte tiefer, sammelte die letzten verbliebenen Kraftreserven in meinem ausgelaugten Körper und versuchte, ein Ende des lodernden Feuerteppichs über mir zu erkennen. Der Druck auf meine Lungen wuchs. Ein unsichtbarer, stählerner Reif schien um meine Brust zu liegen und sich langsam zusammenzuziehen. Ich spürte, wie meine Kräfte schwanden, machte eine letzte verzweifelte Schwimmbewegung und kämpfte mit aller Macht gegen das Verlangen, den Mund zu öffnen und zu atmen.

Es ging nicht mehr. Meine Arme erlahmten. Der Schmerz in meinen Lungen wurde unerträglich, und vor meinen Augen begannen buntschillernde Hecke und schwarze Nebel zu wogen. Ich wußte, daß ich sterben würde, wenn ich inmitten des brennenden Petroleumteppichs auftauchen würde. Aber das Ende des Flammenmeeres war noch dreißig Yards entfernt. Vielleicht waren es auch nur zwanzig, aber das spielte keine Rolle mehr. Genausogut konnte es auf der anderen Seite der Erde sein.

Mit dem bißchen Kraft, das mir noch geblieben war, drehte ich mich auf den Rücken und stieß mich zur Oberfläche empor.

Die Flammen empfingen mich mit einem brüllenden Willkommen. Hitze, die die Grenzen des Vorstellbaren überstieg, schlug über mir zusammen, und die Luft, die ich atmen wollte, schien sich in geschmolzenen Stahl verwandelt zu haben.

Und dann, plötzlich, war es vorbei.

Die Flammen erstarrten. Die Hitze verschwand von einer Sekunde auf die andere, und das Brüllen der aufgeputschten Menschenmenge brach so abrupt ab, als wäre eine unsichtbare Tür zwischen ihnen und mir zugeschlagen worden.

Es dauerte einen Moment, bis ich aufhörte zu schreien, und es dauerte noch länger, bis ich begriff, was geschehen war. Das heißt - begreifen tat ich es nicht. Alles, was ich konnte, war, ungläubig auf die zur Reglosigkeit erstarrte Menschenmenge am Ufer zu blicken und die meterhohen, gelbroten Flammen anzustarren, die das Hafenbecken in einen lodernden Vulkankrater zu verwandeln schienen.

Sie bewegten sich nicht mehr. So wie die Menschen am Ufer, wie das Wasser, in dem ich vor Sekunden noch mit aller Macht gegen den Sog der Brandung gekämpft hatte, wie die tiefhängenden grauen Wolken am Himmel, die wie auf einer photographischen Aufnahme zu reglosen Schattengebilden geworden waren, waren auch sie erstarrt, wie von einem bizarren Zauber mitten in der Bewegung eingefroren. Es war, als wäre die Zeit stehengeblieben.

Eine Hand berührte mich an der Schulter, und als ich erschrocken den Kopf wandte, blickte ich in Rowlfs rußgeschwärztes Gesicht. Er wollte etwas sagen, war aber offensichtlich zu erschöpft dazu, sondern deutete nur mit einer matten Geste nach Norden, auf das offene Meer hinaus. Mühsam trat ich Wasser, drehte mich auf der Stelle und blickte in die Richtung, in die seine Hand wies.

Die Welt war stehengeblieben, aber weit draußen, Meilen vom Ufer entfernt, gab es einen kleinen Teil der Welt, in dem noch Bewegung und Leben war.

Leben von unheimlicher, düsterer Art, das mir das Blut in den Adern gerinnen ließ.

Ich erkannte nur Schatten. Schatten und die Andeutung von Formen: gewaltige, peitschende Tentakel, unförmig aufgedunsene Leiber, verzerrte Dämonenfratzen, die aus bodenlosen schwarzen Augen auf die Welt niederblickten. Es war wie ein lautloser Orkan, ein trichterförmiges, schwarzes Gebilde, das sich schneller und schneller im Kreis drehte und mit unheimlicher Geschwindigkeit wuchs. Und ich spürte, wie irgend etwas aus diesem Höllenwirbel hinübergriff über Zeit und Raum und die erstarrte Menge am Ufer berührte.

Es war nichts Körperliches. Nichts Faßbares. Es war wie die Vereinigung zweier Kräfte, der dunklen, finster pulsierenden Energie des rasenden Höllenwirbels dort draußen und des tobenden Hasses der aufgeputschten Menge. Alle negativen Energien, die sich in den letzten Tagen in der Stadt aufgebaut hatten, flossen mit einem einzigen gewaltigen Schlag hinüber zu diesem fürchterlichen Etwas, vereinigten und verbanden sich mit ihm und schufen etwas Neues, Fürchterliches. Für einen Moment wurden die Körper der Männer und Frauen am Ufer durchsichtig, transparent, als leuchte hinter ihnen ein unglaublich intensives Licht. Gleichzeitig begann der schwarze Tornado über dem Meer schneller zu kreisen, schneller und immer schneller und schneller, bis er das Meer wie eine titanische Riesenfaust spaltete. Eine dünne, gezackte Linie erschien vor dem Bleigrau des Himmels, wuchs wie ein finsterer Blitz heran und weitete sich in Sekundenschnelle zu einem gigantischen Riß, einem Riß in der Wirklichkeit, der Zeit und dem Raum, einer Verbindung zwischen der Realität und den Dimensionen des Wahnsinns.