»Bist du es, Robert?«
Ich nickte, trat auf ihn zu und blieb instinktiv stehen, als ich das metallische Glitzern in seiner Hand bemerkte. Howard registrierte meinen Bück, lächelte verlegen und steckte den Trommelrevolver mit einer beinahe schuldbewußten Bewegung unter den Mantel.
»Wo warst du so lange?« fragte er. »Wir dachten schon, sie hätten dich erwischt.«
»Ich habe einen Wagen besorgt«, antwortete ich mit einer Geste zur Straße. »Wie geht es Rowlf?«
»Er hat immer noch hohes Fieber«, sagte Howard besorgt. »Aber es geht. Hilf mir.«
Ich folgte ihm um die Reihe aus Abfalltonnen herum. Rowlf lag, halbwegs auf die Ellbogen erhoben und wie Howard einen Revolver in der Rechten, auf einem provisorischen Lager aus Pappkartons und Lumpen und blickte mir aus fiebrigen Augen entgegen. Sein Gesicht schien zu glühen. Der Anblick versetzte mir einen schmerzhaften Stich. Wahrscheinlich sah es schlimmer aus, als es war - Brandwunden sehen immer schrecklich aus, selbst wenn sie nur oberflächlicher Natur sind -, aber sie mußten höllisch schmerzen, und wenn Rowlf nicht sehr viel Glück hatte, würde er ein Narbengesicht zurückbehalten.
»Kannst du gehen?« fragte ich. »Nur bis zur Straße. Ich habe einen Wagen.«
Rowlf nickte und versuchte sich auf die Füße zu stemmen, schaffte es aber nicht aus eigener Kraft, so daß ich ihm helfen mußte. Howard hob sein Buch, das er unter einer zerrissenen Decke verborgen hatte, vom Boden auf und griff mit der freien Hand unter Rowlfs rechten Arm.
Die Pferde begannen unruhig zu schnauben, als wir aus der Toreinfahrt humpelten. Ihre Hufe erzeugten helle, klappernde Echos auf dem Straßenpflaster. Die Tiere waren nervös und aus irgendeinem Grunde ängstlich. Vielleicht spürten sie das Feuer, das noch immer im Hafen tobte.
Howard erstarrte, als er die geduckte Gestalt auf dem Kutschbock sah. »Wer ist das?« fragte er erschrocken. »Du hast -«
»Jemanden gefunden, der uns hilft«, unterbrach ich ihn. »Wir schaffen es nicht aus eigener Kraft, Howard ...«
Howard ließ behutsam Rowlfs Arm los, ging ein paar Schritte auf den Wagen zu und blinzelte überrascht, als er das Gesicht unter dem dunklen Kopftuch erkannte. »Sie?«
»Sie wird uns helfen«, sagte ich hastig. »Keine Sorge, Howard. Und jetzt komm - wir haben schon viel zu viel Zeit verloren.«
Howard wandte sich widerstrebend um. In seinem Gesicht arbeitete es, aber er sagte nichts mehr, sondern half mir, Rowlf zum Wagen zu führen und rücklings auf eine der beiden ungepolsterten, hölzernen Bänke zu legen. Rowlf stöhnte ganz leise. Vorhin, als ich in den Hof gekommen war, war er halbwegs bei klarem Verstand gewesen, jetzt fieberte er wieder; seine Haut glühte, und er hatte Schüttelfrost. Howard zog seinen Umhang von den Schultern, knüllte ihn zu einem Kissen zusammen und schob ihn unter Rowlfs Kopf, und auch ich streifte meinen Mantel ab und breitete ihn als Decke über ihn. Der Stoff war eisig und schwer vor Nässe, aber immer noch besser als gar nichts.
»Du bleibst bei ihm«, befahl Howard. Er wandte sich um, zögerte einen Moment und legte das Buch zwischen die Sitze auf den Wagenboden. »Rühr es nicht an«, sagte er. »Ganz egal, was passiert. Hast du das verstanden?«
Seine Worte ärgerten mich, aber ich schluckte die wütende Entgegnung, die mir auf der Zunge lag, herunter, nickte nur wortlos und ließ mich auf der zweiten Bank nieder. Das Holz war naß, und plötzlich merkte ich wieder, wie kalt es geworden war. Meine Hände waren so steif, daß es schmerzte, wenn ich versuchte, die Finger zu bewegen.
Howard sprang aus dem Wagen, ging umständlich um das Fuhrwerk herum und setzte sich neben Miß Winden auf den Bock. Eine Peitsche knallte. Rüttelnd setzte sich das Fahrzeug in Bewegung.
Die Häuser glitten quälend langsam an uns vorüber. Es waren nur wenige Augenblicke, aber ich hatte das Gefühl, als vergingen Stunden, bis der letzte Block hinter uns zurückblieb und das freie, flache Land vor uns lag. Rowlf stöhnte leise im Schlaf, und ich beugte mich von Zeit zu Zeit vor, konnte aber nichts weiter für ihn tun, als ihn besorgt anzusehen. Ich wußte, wie stark Rowlf war. Aber gerade starke Menschen neigen dazu, vollends zusammenzubrechen, wenn ihre Kraftreserven einmal aufgebraucht waren.
Ich wandte mich nach vorne an Miß Winden. »Wie lange werden wir brauchen?« fragte ich.
»Nach Bettyhill?« Sie überlegte einen Moment, »Drei Stunden. Vielleicht vier. Die Straße macht einen großen Bogen nach Süden, Mister Craven. Es gibt eine Abkürzung direkt durch die Wälder, aber ich fürchte, der tagelange Regen hat den Boden aufgeweicht. Wir könnten steckenbleiben.«
Eine Abkürzung direkt durch die Wälder ... Ich wußte nicht, warum, aber ich hatte bei diesen Worten das Gefühl, irgend etwas furchtbar Wichtiges vergessen zu haben. Ich vertrieb den Gedanken, Im Augenblick zählte nur, daß wir unbehelligt aus Durness heraus waren und daß Rowlf möglichst schnell zu einem Arzt kam.
»Dann nehmen wir die Straße«, sagte Howard. »Wir können uns kein Risiko mehr leisten.« Er sah die kleinwüchsige Frau auf dem Kutschbock neben sich mit einem sonderbaren Blick an. »Es ist sehr freundlich von Ihnen, uns zu helfen, Miß Winden«, sagte er.
»Das war ich Ihnen schuldig«, antwortete sie knapp. Die Art, in der sie sprach, brachte Howard zu einem verwirrten Stirnrunzeln. Er drehte sich halb um, sah mich einen Augenblick prüfend an und blickte dann wieder nach vorne.
»Es tut mir leid, daß wir Sie in diese Situation gebracht haben«, murmelte er. »Ich werde versuchen, es wiedergutzumachen, wenn das alles hier ... vorbei ist.«
Miß Winden antwortete nicht, und wieder hatte ich das Gefühl, etwas furchtbar Verwerfliches getan zu haben. Der Blick, mit dem mich Howard maß, tat beinahe weh.
Die Zeit verging träge. Der Wagen holperte die ausgefahrene Straße entlang, und der Regen strömte weiter mit monotoner Gleichmäßigkeit. Ich fror erbärmlich, und jetzt, als meine überreizten Nerven allmählich zur Ruhe kamen, spürte ich wieder, wie müde ich war. Wäre es nicht so ekelhaft kalt gewesen, wäre ich wahrscheinlich im Sitzen eingeschlafen.
Das Fuhrwerk kämpfte sich einen Hügel hinauf, bog um einen einzeln stehenden, geschwärzten Baum, der irgendwann einmal vom Blitz getroffen worden sein mußte, und kam schaukelnd zum Stehen, als Miß Winden an den Zügeln zog. Ich schrak aus dem Dämmerzustand, in den ich versunken war, hoch und blickte verwirrt zum Kutschbock. Miß Winden hatte angehalten und blickte zurück, den Hügel hinab in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Selbst für die große Entfernung war das Feuer im Hafen von Durness noch zu sehen; wie ein flackernder, gelbroter Funken.
»Das ist ... unmöglich«, murmelte Miß Winden. »Wieso brennt es noch immer?« Sie sah erst mich, dann Howard an und preßte die Lippen zu einem schmalen, blutleeren Strich zusammen. »Mein ... mein Bruder war am Hafen«, sagte sie leise und fast widerwillig. »Er hat mitgeholfen, zu löschen. Er ... er sagt, daß alle Boote längst verbrannt sind und auch von den Schuppen nur noch Ruinen stehen. Aber das ... das Wasser brennt weiter. Dabei muß das Petroleum doch längst weggebrannt sein.«
Howard beherrschte sich nicht ganz so gut, wie ich es von ihm gewohnt war; sein Blick suchte für einen ganz kurzen Moment das Buch auf dem Wagenboden. »Es ist... kein normales Feuer«, sagte er widerwillig. »Ich weiß selbst nicht, was ... genau passiert ist, aber ich hoffe, es wird aufhören, sobald wir aus der Umgebung von Durness verschwunden sind.«
»Und wenn nicht?« fragte Miß Winden leise.
Diesmal antwortete Howard nicht. Mit einem Ruck wandte er den Kopf, nahm ihr die Zügel aus der Hand und ließ die Pferde antraben. Der Wagen schaukelte über den Hügel und begann sich auf der anderen Seite den Weg hinabzuquälen. Der Weg wurde schlechter. Was auf der Karte als gut ausgebaute Straße eingezeichnet war, war in Wirklichkeit eine mit Schlaglöchern und Rissen durchsetzte Marterstrecke, die schon bei gutem Wetter und Tageslicht nicht leicht zu befahren gewesen wäre. Jetzt, bei Nacht und nach dem tagelangen Regen, der die zahllosen Schlaglöcher mit Wasser gefüllt hatte und praktisch unsichtbar werden ließ, war es eine reine Tortur. Der Wagen holperte immer wieder in Schlaglöcher oder über Hindernisse, die in der Dunkelheit nicht oder erst zu spät sichtbar waren. Es hätte mich nicht gewundert, wenn eines der Räder oder die Achse gebrochen wäre. Zudem stolperten die Pferde immer wieder, und die Geschwindigkeit unseres Vorwärtskommens sank immer weiter.