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»Guten Abend, die Herren«, sagte Howard, ehe einer von ihnen das Wort ergreifen konnte. Ich bewunderte ihn im stillen für die Selbstbeherrschung, die er an den Tag legte. Die Reiter kamen aus Durness. Ich selbst war im Moment heilfroh, im Schatten des Wagens zu stehen. Meine Nerven waren nicht halb so gut wie die Howards.

»Sie schickt der Himmel«, fuhr er fort. »Ich fürchte, uns ist ein kleines Mißgeschick passiert.«

Einer der beiden Reiter musterte ihn mit einer Mischung aus Mißtrauen und schlecht verhohlener Herablassung. »Mißgeschick, so«, wiederholte er. »Sieht eher so aus, als säße Ihr Karren fest.« Er lachte leise, schwang sich aus dem Sattel und gab seinem Begleiter ein Zeichen, es ihm gleich zu tun. »Was ist passiert?« fragte er, nachdem sie beide von den Rücken ihrer Tiere gestiegen waren. »Ist die Achse gebrochen?«

Howard schüttelte den Kopf. »Nein. Wir sitzen in irgendeinem Wurzelzeug fest. Ich fürchte, aus eigener Kraft kommen wir nicht weiter.«

Der Reiter maß ihn mit einem Grinsen, das deutlich machte, wie sonderbar ihm das Wort »Kraft« aus Howards Mund vorkommen mußte. Selbst in dem weit geschnittenen Gehrock wirkte Howards Gestalt noch immer mädchenhaft zart und zerbrechlich. Mir selbst war der Anblick schon so vertraut geworden, daß ich mir nichts mehr dabei dachte. Jemandem, der Howard zum ersten Mal sah, mußte seine zerbrechliche Statur dagegen direkt ins Auge fallen. »Dann wollen wir mal sehen«, sagte er und schob Howard kurzerhand aus dem Weg. Wortlos ließ er sich vor dem Rad in die Hocke sinken, rüttelte einen Moment prüfend mit den Händen an den Speichen und kratzte sich am Bart. »Teufel auch«, murmelte er. »Wie haben Sie das geschafft?«

»Ich wollte, ich wüßte es«, antwortete ich. »Der Regen muß den Boden vollkommen ausgewaschen haben. Ich hoffe nur, daß es nicht noch schlimmer wird.«

Der Fremde sah auf und blickte mir einen Moment lang prüfend ins Gesicht. Mein Herz begann schneller zu schlagen, aber ich gab mir Mühe, äußerlich so gelassen wie möglich zu erscheinen. Selbst wenn er mich in Durness gesehen hatte, würde er mich kaum wiedererkennen. Ich hatte den Hut zum Schutz vor dem Regen so weit in die Stirn gezogen, daß von meinem Gesicht ohnehin kaum etwas zu erkennen war.

»Was suchen Sie überhaupt hier, nachts und bei dem Hundewetter?« fragte er.

Howard warf mir einen raschen, warnenden Blick zu, und ich spürte, ohne hinzusehen, wie sich Miß Winden über mir auf dem Kutschbock spannte. Der Mann mußte schon blind sein, wenn er Rowlfs reglos ausgestreckte Gestalt auf der Bank nicht sehen sollte.

»Wir kommen aus Durness«, sagte Howard hastig. »Unser Freund ist verletzt. Er muß zum Arzt.«

Der Reiter beugte sich neugierig vor und verzog die Lippen, als er Rowlfs verbranntes Gesicht sah. »O Scheiße«, entfuhr es ihm. »Der Brand am Hafen?«

Howard nickte. »Wir wollten beim Löschen helfen«, sagte er, »aber ich fürchte, wir haben uns nicht sehr geschickt angestellt.«

»Na, dann wollen wir mal sehen, daß wir den Karren wieder flott kriegen«, sagte der Mann. »Haben Sie ein Messer?«

Howard reichte ihm sein Taschenmesser. Der Fremde blickte es einen Moment verwirrt an, dann lachte er, sehr laut und nicht sonderlich humorvoll. »Sie haben Nerven, Mann. Warum versuchen Sie nicht gleich, das Zeug durchzubeißen?« Er gab seinem Kameraden einen Wink. »Bring mir die Axt, Lon.«

Ich trat hastig zur Seite, als Lon eine kurzstielige Axt von seinem Sattel löste und mit gesenktem Kopf herbeigeeilt kam. Der Mann nahm sie ihm aus der Hand, holte aus und schlug mit aller Kraft zu. Es gab einen hellen, splitternden Laut, als die rasiermesserscharf geschliffene Schneide die Wurzelstränge durchtrennte und von dem Metallreif des Rades abprallte.

»Geben Sie acht, daß Sie das Rad nicht beschädigen«, sagte Howard besorgt. Der Mann grunzte nur zur Antwort, holte ein zweites Mal aus und schlug wieder zu, diesmal mit noch mehr Kraft. Die Axt drang fast völlig in das schwarze Geflecht ein und zerschnitt Wurzeln und Holz. Diesmal gab es ein helles, seufzendes Geräusch ohne den winzigsten Nachhall. Heller Pflanzensaft tropfte aus den zerschnittenen Strängen. Es sah aus wie farbloses Blut.

Unser Helfer grinste triumphierend. »Sehen Sie?« sagte er. »So macht man das. In einer Minute können Sie weiterfahren.« Er holte zu einem dritten Hieb aus, aber diesmal ging irgend etwas schief: Die Axt glitt von etwas Hartem, das sich unter dem schwarzen Geflecht verborgen hatte, ab, und zwei, drei der dünnen zähen Ranken wickelten sich um ihren Stiel. Der Mann fluchte, versuchte sie loszureißen und runzelte verblüfft die Stirn, als die dünnen Ranken seinem Rütteln standhielten. Ich bückte mich neben ihn und versuchte ihm zu helfen, aber nicht einmal unsere vereinten Kräfte reichten aus, die Axt aus dem Griff der Pflanzenmasse zu befreien.

»Das gibts doch nicht«, murmelte der Fremde. Er schob mich weg und zerrte noch einmal am Stiel der Axt. Seine Muskeln spannten sich, und ich sah, wie die Sehnen an seinem Hals vor Anstrengung dick hervortraten. Aber die Axt saß unverrückbar fest.

Howard reichte ihm schweigend sein Taschenmesser. Der Mann bedachte ihn mit einem finsteren Blick, riß ihm das Messer aus den Fingern und begann verbissen, an den dünnen Ranken zu säbeln. Es dauerte fast fünf Minuten, ehe er seine Axt befreit und wieder zur Hand genommen hatte.

»Vielleicht reicht das schon«, sagte Howard. »Versuchen Sie es, Miß Winden.«

Die Peitsche knallte dicht über den Rücken der beiden Zugpferde. Die Tiere legten sich mit aller Kraft ins Geschirr. Die ledernen Riemen des Zaumzeuges knirschten hörbar, dann ging ein dumpfes Zittern durch den Wagen, und das Rad drehte sich um ein winziges Stuck nach vorne.

»Es klappt!« sagte unser Helfer aufgeregt. »Lon und Sie« - er deutete auf Howard - »nach drüben, ans Rad. Sie helfen mir hier!«

Wir warteten, bis Howard und der zweite Reiter um den Wagen herumgeeilt waren, dann griffen wir in die Speichen und stemmten uns mit aller Kraft gegen das Rad. Der Wagen ächzte hörbar. Ich spürte, wie die Speichen unter meinen Fingern zu zittern begannen, als wollten sie zerbrechen.

Und dann kam der Wagen frei, mit einem harten, so plötzlichen Ruck, daß ich auf dem regennassen Untergrund den Halt verlor und der Länge nach in den Schlamm fiel, so wie Howard zuvor. Der Wagen holperte ein Stückweit die Straße hinab und kam wieder zum Stehen, als Miß Winden an den Zügeln zog, und ich stemmte mich hoch, spuckte Schlamm und Wasser aus und versuchte, mir den Morast aus dem Gesicht zu reiben, ohne ihn in die Augen zu bekommen. Hinter mir erscholl ein rauhes, schadenfrohes Lachen.

Mit einem wütenden Ruck stand ich vollends auf, drehte mich herum und fuhr mir mit dem Unterarm durch das Gesicht. Das Lachen hörte auf.

Es dauerte einen Moment, bis mir der Ausdruck im Gesicht meines Gegenübers auffiel. Er hatte aufgehört zu lachen, und der Spott in seinen Augen hatte sich in Schrecken gewandelt. Und langsam dämmerte mir, was geschehen war. Ich war nicht nur in den Schlamm gestürzt, sondern hatte auch den Hut verloren. Und die weiße, blitzförmig gezackte Haarsträhne über meiner rechten Braue mußte selbst in der Dunkelheit überdeutlich zu sehen sein ...

»Mein Gott!« keuchte der Mann. »Sie ... Sie sind der Kerl, den sie suchen. Sie ...«

Ich reagierte einen Bruchteil später als Howard. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er herumfuhr und den Mann neben sich mit einem blitzartigen Kinnhaken niederstreckte. Ich sprang vor, holte zu einem wuchtigen Hieb aus und stolperte ins Leere, als der Mann blitzschnell zur Seite trat. Die Axt in seinen Händen blitzte auf. Verzweifelt warf ich mich zur Seite. Die Axt zischte einen halben Fingerbreit an meinem linken Ohr vorbei, aber ihr Stiel traf mich mit betäubender Wucht an der Schulter. Ich schrie vor Schmerz und Schrecken, verlor vollends das Gleichgewicht und fiel. Hinter mir erscholl ein wütender Schrei. Instinktiv rollte ich mich auf den Rücken, riß schützend die Hände vor das Gesicht und trat zu. Mein Fuß traf die Kniescheibe des Mannes, im gleichen Moment, in dem er die Axt zum entscheidenden Hieb schwang. Er schrie auf, verlor, durch den Schwung seiner eigenen Bewegung nach vorne gerissen, den Halt und stürzte neben mich. Die Axt prallte klirrend gegen den Stein und zerbrach. Ihr Stiel traf mich an der Schläfe, und ich verlor das Bewußtsein.