Выбрать главу

»Bin ich nich«, unterbrach mich der andere. »Wissense überhaupt, wie späts is?«

»Kurz nach Mitternacht«, antwortete ich automatisch. »Aber mein Anliegen ist wichtig.«

Mein unfreundliches Gegenüber seufzte, verdrehte die Augen und wollte die Tür ins Schloß werfen - aber ich hatte mittlerweile den Fuß im Spalt, und die straff gespannte Kette hinderte ihn auch daran, die Tür noch weiter zu öffnen, um etwa herauszukommen und handgreiflich zu werden. Der Typ dazu war er.

»Also gut«, murmelte er schließlich. »Mit wem wollense sprechn?«

»Mit Howard«, antwortete ich. »Einem Ihrer Gäste. Vielleicht wären Sie so nett -«

»Howard? Hier gibts kein Howard«, behauptete der andere. »Hier hats auch nie ein gegeben.«

Das war gelogen. Ich spürte es im gleichen Moment, in dem er die Worte aussprach. Ich habe schon immer gewußt, wenn mich jemand belügt.

»Das ist nicht wahr«, sagte ich ruhig. »Warum ersparen Sie sich und mir nicht unnötigen Ärger und holen Howard herunter?«

Im Gesicht meines Gegenübers zuckte es. Ich konnte im schlechten Licht nicht sehr viel von seinen Zügen erkennen, aber was ich sah, gefiel mir gar nicht. Eine halbe Minute lang musterte er mich durchdringend von Kopf bis Fuß, aber ich ließ ihm keine Zeit, sich irgendwelche neuen Ausreden auszudenken.

»Ich will Ihnen wirklich keinen Ärger machen, Sir«, sagte ich, noch immer freundlich, aber in hörbar schärferem Ton als bisher. »Mister Howard und ich sind sogar gute Freunde, auch wenn er mich noch gar nicht kennt. Aber ich kann natürlich auch in meine Kutsche steigen und in einer halben Stunde mit der Polizei wieder zurückkommen, wenn Ihnen das lieber ist.«

Es war ein Schuß ins Blaue, aber er traf. Der andere erschrak sichtlich, sah mich mit einer Mischung aus neu erwachtem Respekt und schierer Mordlust an und schürzte die Lippen. »In Ordnung, Mister Oberschlau«, knurrte er. »Nemse den Fuß außer Tür. Ich mach auf.«

Ich sah ihn einen Moment scharf an, nickte knapp und trat wieder zurück. Die Tür krachte unnötig hart ins Schloß, und eine halbe Sekunde später hörte ich ihn mit der Kette hantieren. Die Tür schwang erneut auf und gewährte mir einen Blick auf einen düsteren, nur von einer einzigen halb heruntergebrannten Kerze erleuchteten Korridor. Ich erschrak ein wenig, als ich sah, wie groß und breitschultrig der Kerl war, mit dem ich bisher geredet hatte. Er war ungefähr einen Kopf größer als ich, gut doppelt so breit und von der untersetzten, massigen Art, die Muskeln verriet, wo bei anderen Leuten vom gleichen Gewicht Fett war. Sein Gesicht wirkte noch immer verschleiert - offensichtlich hatte ich ihn aus dem tiefsten Schlaf gerissen - und die Hängebacken, die leicht vorstehende Oberlippe und die schweren Tränensäcke unter den Augen gaben ihm etwas von einer mißgelaunten Bulldogge. Hätte ich ihn gleich richtig gesehen, hätte ich wahrscheinlich einen etwas weniger dreisten Ton angeschlagen.

Aber dann hätte er mich wahrscheinlich auch nicht hereingelassen.

Rasch trat ich an ihm vorbei in den Flur, drehte mich herum und winkte dem Kutscher zu. Der Mann tippte kurz an die Krempe seines schwarzen Zylinders, ließ seine Peitsche knallen und fuhr los.

Der Türsteher blickte der Kutsche nach, bis sie in der Nacht verschwunden war, schüttelte den Kopf und knallte die Tür zu. »Das war nich so klug«, sagte er, »den Wagen wegzuschicken.«

Die Art, in der er die Worte aussprach, gefiel mir nicht; ebenso wie die Art, in der er mich ansah. Beides hatte etwas Drohendes.

Ich versuchte, seinem Blick standzuhalten und möglichst gelassen auszusehen, aber es gelang mir nicht sehr gut.

»Warum?«

»Weil ich nich glaub, daß H.P. Sie empfangen wird.«

»H.P.?«

»Howard«, knurrte mein Gegenüber. »Wennse schon mitten in der Nacht herkommen, um mit ihm zu reden, sollten Se wenigstens sein Namen wissen, findense nich?« Ein mißtrauisches Funkeln erschien in seinen Augen. »Wat wollnse überhaupt vonnem?«

»Ich glaube nicht, daß Sie das etwas angeht«, erwiderte ich steif. Ich trat zurück, nahm den Hut ab und deutete eine Verbeugung an - ohne ihn dabei auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. »Mein Name ist Craven«, sagte ich. »Robert Craven. Bitte melden Sie mich Mister Howard - und sagen Sie ihm, daß ich Grüße von seinem Freund Andara bringe. Ich bin sicher, er wird mich empfangen.«

Wieder blickte mich der andere eine Sekunde zweifelnd an, als brauche er so lange, um meine Worte zu verarbeiten, dann zuckte er mit den Achseln. »Meinetwegn«, nuschelte er. »Aber wundern Se sich nich, wenner nich kommt. H. P. kriegt so gut wie nie Besuch.« Er schüttelte den Kopf, legte umständlich die Kette wieder vor, drehte sich um und schlurfte vor mir den Gang hinab. An seinem Ende befand sich eine zweiteilige, nur halb geschlossene Tür, durch deren Ritzen warmes rotes Licht schimmerte. Mein seltsamer Führer stieß einen der Türflügel vollends auf, deutete eine einladende Geste in den darunterliegenden Raum an und drehte sich gleichzeitig um. Direkt neben der Tür führte eine Treppe in die oberen Stockwerke des Hauses hinauf.

»Wartense hier«, sagte er unfreundlich. »Ich geh H. P. fragen.«

Ich sah ihm kopfschüttelnd nach, wandte mich aber nach einem Moment gehorsam um und trat in den Raum, den er mir angewiesen hatte. Erneut ertappte ich meine Hand dabei, wie sie nervös über den Griff des Stockdegens strich, den ich unter meinem Umhang verborgen hatte. Auch wenn ich es selbst nicht zugeben wollte - aber dieses heruntergekommene Haus und sein seltsamer Türwächter flößten mir Unbehagen ein, ja, beinahe schon Furcht. Es war etwas Düsteres, Bedrohliches an diesem alten Gemäuer, das schwer in Worte zu fassen war.

Der Raum, in dem ich war, schien eine Mischung aus Bibliothek und Salon zu sein. Eine Wand wurde ganz von einem deckenhohen, bis zum Bersten gefüllten Bücherregal eingenommen, die beiden anderen wurden von einem gewaltigen, marmornen Kamin und einem nicht minder gewaltigen Tisch, der von einem halben Dutzend kostbarer Stühle flankiert wurde, beherrscht. Der Raum war wesentlich eleganter - und auch sauberer -, als ich erwartet hatte. Und trotzdem verstärkte sich der Eindruck, den ich von diesem Gebäude hatte, noch. Es war irgendwie ... düster.

Ich blieb einen Moment unschlüssig unter der Tür stehen, sah mich um und trat schließlich zum Kamin. Die Flammen brannten hoch und erfüllten den Raum gleichermaßen mit Licht wie behaglicher Wärme. Ich legte meinen Mantel ab, ging vor dem Kamin in die Hocke und hielt die Hände über die Flammen. Meine Finger prickelten vor Kälte, aber das war wohl etwas, woran ich mich gewöhnen mußte. Zu Hause in New York hätte ich zu dieser Jahreszeit unter freiem Himmel übernachten können; hier in London mit seinem Nebel und seinem berüchtigten Klima wurde es selbst im Hochsommer nach Dunkelwerden empfindlich kalt.

Nach einer Weile hörte ich Schritte. Ich richtete mich wieder auf und wandte mich um, aber zu meiner Enttäuschung erschien nicht Howard, sondern wieder das Bulldoggengesicht unter der Tür.

»H. P. kommt gleich«, knurrte er unfreundlich. »Sie sollens sichn bißchen bequem machen, bisser da ist.« Er schlurfte an mir vorüber, öffnete einen Schrank und nahm zwei Gläser und eine geschliffene Glaskaraffe hervor. Mit einer Kopfbewegung dirigierte er mich zum Tisch, schenkte eines der Gläser voll und stellte das andere umgedreht auf den Tisch.

»Ich geh dann«, nuschelte er. »Er wird gleich kommn. Wennse was brauchn, dann rufnse mich.« Ohne eine Antwort abzuwarten schlurfte er zur Tür, warf sie hinter sich ins Schloß und polterte lautstark die Treppe hinauf. Ich sah ihm kopfschüttelnd nach, griff nach dem Glas, das er mir eingeschenkt hatte, und nippte vorsichtig daran.

Die rote Flüssigkeit darin war Sherry, ein ganz ausgezeichneter Sherry sogar. Kein Getränk, das man in einem Haus wie diesem anzutreffen erwartete.