Der geschliffene Stahl durchtrennte den Strang beinahe widerstandslos. Die Klinge schlug gegen den Boden und federte mit einem schmerzhaften Ruck zurück. Der abgetrennte Stumpf des Monsterarmes peitschte wild hin und her. Ich kroch zurück, stemmte mich hastig auf die Knie hoch und streifte das Ende des Fadens, das noch immer an meinem Fußgelenk klebte, angeekelt ab.
Für einen Moment wurde mir übel. Die Anstrengungen des Kampfes und der Schmerz waren zuviel gewesen. Ich wankte, kämpfte den Brechreiz mit aller Macht nieder und erhob mich taumelnd. Mühsam hob ich den Kopf.
Der Anblick traf mich wie ein Schlag.
Aus dem Zentrum der rasch kleiner werdenden Pfütze wuchs ein gewaltiges, grünschillerndes Monstrum hervor. Sein gesichtsloser Schädel hob sich und starrte in meine Richtung ...
Ich riß mich von dem bizarren Anblick los, fuhr herum und rannte, so schnell ich konnte. Mein Fuß schmerzte unerträglich. Eine dünne Spur glitzernder roter Tropfen blieb auf dem Straßenpflaster hinter mir zurück, und meine rechte Hand brannte noch immer wie Feuer. Die Haut war rot, als wäre sie verätzt worden.
Ich rannte, warf einen hastigen Blick über die Schulter zurück und sah, daß mein Gegner bereits zur Verfolgung angesetzt hatte und hinter mir herwabbelte. Und er holte rasend schnell auf!
Ich verdoppelte meine Anstrengungen, aber meine Verletzungen beeinträchtigten mich zu sehr. Selbst wenn es nicht so gewesen wäre, wäre ich dem Unheimlichen kaum entkommen. Das Wesen bewegte sich mit einer Schnelligkeit, die seinem bizarren Äußeren Hohn sprach.
Vor mir bewegte sich etwas. Ein Schatten schimmerte durch den Nebel, dann hörte ich das harte, metallische Hämmern beschlagener Pferdehufe. Der Nebel teilte sich und spuckte eine zweispännige schwarze Kutsche aus.
Um ein Haar hätte sie mich über den Haufen gefahren. Ich sprang im letzten Moment zur Seite, kam durch die abrupte Bewegung aus dem Takt und schlug zum wiederholten Male lang hin. Neben mir zog der Kutscher mit einem gellenden Schrei die Zügel an; die Pferde scheuten, brachten die schwere Kutsche zum Stehen und schlugen wütend mit den Vorderläufen aus.
»Robert! Bleib liegen!«
Ich gehorchte instinktiv, obwohl ich viel zu verwirrt war, um die Stimme auch nur zu erkennen. Mühsam wälzte ich mich auf den Rücken und sah, wie der Kutscher mit einem kraftvollen Satz vom Bock sprang. Gleichzeitig flog die Tür der Karrosse auf, und eine schmale, in einen eleganten, grauen Sommeranzug gekleidete Gestalt sprang ins Freie.
Howard!
Mein Blick suchte das Ungeheuer. Die Bestie hatte in den wenigen Augenblicken aufgeholt; mein Vorsprung - wenn man bei einem Mann, der lang ausgestreckt und halb gelähmt vor Schmerzen und Angst auf dem Straßenpflaster lag, noch von Vorsprung sprechen konnte - war auf weniger als zwanzig Schritte zusammengeschmolzen.
Ungläubig sah ich, wie Howard an mir vorüberstürmte und dem Ungeheuer ohne das geringste Zeichen von Furcht entgegenlief. In seiner rechten Hand lag ein kleines, graues Etwas.
»Howard!« brüllte ich verzweifelt. »Nicht! Es bringt dich um!«
Howard reagierte nicht. Er lief weiter, blieb erst drei Schritte vor dem Monster stehen und riß den rechten Arm zurück. Das kleine Ding, das er in der Hand gehalten hatte, flog in einem perfekten Bogen durch die Luft und klatschte gegen die Brust des Unholdes.
Das Ergebnis war verblüffend. Das Monster blieb so abrupt stehen, als wäre es vor eine unsichtbare Mauer geprallt. Eine zuckende, wellenförmige Bewegung jagte über seinen Körper. Seine Arme peitschten.
Dann begann es zum zweiten Male zu zerfließen. Aber diesmal war es anders. Sein Leib löste sich nicht in grünen Schleim auf, sondern verdampfte!
Dort, wo Howards Wurfgeschoß getroffen hatte, begann sich grauer Rauch von seiner Brust zu kräuseln. Das Schleimfleisch - oder was immer es sein mochte - begann zu kochen, zu brodeln und wie in Krämpfen hin und her zu wogen. Mehr und mehr Rauch quoll hoch, und ich glaubte, ein leises, fast elektrisches Knistern zu hören.
Es dauerte nicht einmal eine Minute. Der Rauch wurde so dicht, daß er mir die Sicht auf das Ungeheuer verwehrte, aber als er sich verzog, war nicht mehr die geringste Spur von ihm zu sehen. Nur dort, wo es gestanden hatte, lag das kleine, graue Ding.
Howard ging mit raschen Schritten zu der Stelle hinüber, bückte sich und hob den Gegenstand, den er geworfen hatte, mit einem flüchtigen, triumphierenden Lächeln auf. Eine Hand berührte mich an der Schulter, und als ich aufsah, blickte ich in ein breitflächiges, dunkles Gesicht, das mich besorgt musterte. Ich hatte nicht einmal gemerkt, daß Rowlf neben mir niedergekniet war.
»Alles in Ordnung?« fragte er.
»Ja«, sagte ich und schüttelte den Kopf. Rowlf lächelte, schob seine gewaltigen Pranken unter meinen Rücken und richtete mich ohne sichtbare Anstrengung auf.
»Was ... mein Gott, was war das?« stammelte ich hilflos. Rowlf antwortete nicht, sondern stand schweigend auf und stellte mich wie ein Spielzeug auf die Füße, stützte mich aber, als mein verletzter Fuß unter dem Gewicht meines Körpers nachzugeben drohte.
»Bring ihn in die Kutsche«, sagte Howard. Rowlf knurrte irgend etwas, nahm mich kurzerhand auf die Arme und trug mich trotz meiner Proteste in die Kutsche. Behutsam setzte er mich ab, lächelte noch einmal und ging wieder nach vorne zum Bock. Wenige Sekunden später stieg auch Howard gebückt zu mir hinein, zog die Tür hinter sich zu, und der Wagen setzte sich in Bewegung.
»Das war knapp«, sagte er lächelnd, nachdem er sich gesetzt und mich einen Moment lang prüfend angesehen hatte.
»Ich ... ich danke dir für die Hilfe«, murmelte ich verstört. »Aber woher ...«
Howard lächelte. »Woher ich es gewußt habe? Gar nicht. Aber ich hatte das Gefühl, daß es besser ist, wenn ich dir nachfahre. Wie sich gezeigt hat, hat es nicht getrogen.«
»Was war das?« fragte ich. »Dieses Ungeheuer ...«
»Ein Shoggote«, antwortete Howard gelassen. »Ein kleiner Bruder von Yog-Sothoth, wenn du so willst.« Er schwieg einen Moment und beugte sich vor, um meinen verletzten Fuß zu begutachten. »Aber das erkläre ich dir alles später«, fuhr er in verändertem Tonfall fort. »Jetzt bringe ich dich erst einmal zu einem befreundeten Arzt. Und danach fahren wir gemeinsam ins Hotel und packen. Ihr seid dort nicht mehr sicher.«
»Und der Anwalt?«
Howard winkte ab. »Dr. Gray ist nicht nur mein Anwalt«, sagte er, »sondern auch mein Freund. Er wird ins Haus kommen, wenn ich Rowlf zu ihm schicke und ihm die ... äh ... Umstände erklären lasse. Priscylla und du werdet erst einmal bei mir bleiben müssen. Ich fürchte, ich habe unsere Gegner unterschätzt.«
»Ja«, seufzte ich. »Das scheint mir auch so.«
Über dem Fluß hing Nebel, und von seiner Oberfläche stieg ein eisiger, unwirklicher Hauch empor. Es war kalt, viel zu kalt für die Jahreszeit, selbst hier auf der Themse, und es war der siebte oder achte Morgen hintereinander, an dem zusammen mit der Dämmerung auch dieser Nebel heraufgezogen war und mit seinen wogenden grauen Schwaden das Licht verschluckte und das Erwachen des Tages hinauszögerte.
Mortenson zündete sich mit klammen Fingern eine Zigarre an, schnippte das Streichholz in den Fluß und stützte sich schwer auf die rostzerfressene Reling. Das Patrouillenboot lag träge im Wasser. Reglos, so wie es die ganze Nacht über dagelegen hatte, mehr als elf Stunden, seit Mortenson seinen Dienst antrat.
Aus müden, rotumrandeten Augen blickte er nach Osten. Der Nebel war dichter geworden; selbst die beiden Türme der Tower Bridge schimmerten nur noch als schwarze, verzerrte Schatten durch die graue Wand, die sich über den Fluß geschoben hatte, und alle Laute und Geräusche in seiner Umgebung erschienen ihm seltsam gedämpft und unwirklich.
Mortenson löste sich von dem Anblick, rieb fröstelnd die Hände aneinander und wandte sich um, um zum Steuerhaus zurückzugehen. Seine Schritte hallten dumpf auf dem Deck des Schleppers. Wäre der verzerrte Schatten Sarcins hinter den beschlagenen Scheiben des Ruderhauses nicht gewesen, hätte er geglaubt, der einzige Mensch in weitem Umkreis zu sein.