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Ich will dir jetzt mit wenigen Worten sagen, was dir Howard und Dr. Gray noch genauer erklären mögen, sollten sie jemals gezwungen werden, dir diesen Brief auszuhändigen.

Ich bin kein Mensch wie die, unter denen du aufgewachsen bist, Robert. Ich bin ein Magier. Ein Hexer. Und du bist mein Sohn. Die Kräfte, über die ich, verfüge, schlummern auch in dir, und wenn du den Gefahren, die dich bedrohen, entgehen willst, dann mußt du sie wecken und zu einem Hexer wie ich werden. Du begreifst jetzt vielleicht noch nicht, welchen Preis du dafür wirst zahlen müssen, aber es ist die einzige Möglichkeit. Vertraue dich meinem Freund Howard an; er gehört zu den wenigen Menschen, denen ich jemals vertraut habe und bei denen ich dieses Vertrauen nicht bereuen mußte. Bitte ihn, dir meine Aufzeichnungen zu geben, die Bücher und Folianten, die ich während meines ganzen Lebens zusammengetragen habe und die mein Vermächtnis darstellen. Alles, was ich jemals gelernt und erlebt habe, die ganze Erfahrung meines Lebens, ist darin aufgezeichnet, und gemeinsam mit Howard wirst du aus ihnen lernen, was zu lehren ich nicht mehr in der Lage bin. Vielleicht wirst du mich hassen, wenn deine Ausbildung beendet ist, und vielleicht ist dies nichts als die gerechte Strafe dafür, daß ich mich mit Mächten eingelassen habe, die dem Menschen für ewig verschlossen sein sollten. Ich bete zu Gott, daß es nicht so ist.

In Liebe

Dein Vater‹

Das Geräusch der Tür drang in meine Gedanken. Mit einer fast erschrockenen Bewegung ließ ich das Blatt sinken und wandte mich um. Howard und Gray hatten das Zimmer wieder betreten und standen jetzt nebeneinander unter der Tür. Der Ausdruck auf ihren Gesichtern hatte sich grundlegend geändert. Jede Spur von Freundlichkeit war von Grays Zügen gewichen; er wirkte angespannt, irgendwie lauernd und sprungbereit. Und nicht mehr annähernd so alt und hilflos wie noch vor Augenblicken.

Howard dagegen war so nervös, wie ich ihn noch nie zuvor bemerkt hatte. Seine Finger spielten, ohne daß er es merkte, mit einem Knopf seiner Weste und waren drauf und dran, ihn abzudrehen, und in seinem Mundwinkel glomm eine schwarze Zigarre, auf deren Ende er wie wild herumkaute.

»Nun?« fragte er, nachdem Gray und er mich gründlich und auf eine Art, die mich schaudern ließ, gemustert hatten. »Hast du es gelesen?«

Ich nickte und schüttelte unmittelbar darauf den Kopf. »Gelesen schon«, sagte ich. »Aber es ... es stand nichts darin, was ich nicht schon wußte.«

Howard lächelte. »Ich weiß«, sagte er. »Ich war dabei, als er den Brief geschrieben hat.«

»Aber darum geht es nicht«, fügte Gray hinzu. Plötzlich erwachte er aus seiner Erstarrung, ging mit raschen Schritten auf mich zu und nahm mir den Brief aus der Hand. Ich war viel zu verwirrt, um zu reagieren. Mit offenem Mund sah ich zu, wie er sich umwandte und zum Kamin ging.

»Moment mal«, sagte ich endlich. »Was ... was haben Sie vor?«

»Den Brief verbrennen, was denn sonst?« erwiderte Gray ungerührt. Er ging zum Kamin, beugte sich vor und warf das Blatt ohne ein weiteres Wort in die Flammen.

Ich schrie auf und wollte hinter ihm hereilen, aber Howard vertrat mir mit einem raschen Schritt den Weg und hielt mich zurück.

»Laß ihn«, sagte er. »Es muß sein.«

Für eine Sekunde kämpfte ich gegen seinen Griff an, aber Howard war viel stärker, als ich vermutet hatte. »Warum?« keuchte ich. »Der Brief ist...«

»Vollkommen unwichtig«, fiel mir Gray ins Wort. »Und gefährlich dazu. Ich mußte ihn vernichten, damit nicht versehentlich ein Unglück geschieht.«

Jetzt verstand ich gar nichts mehr. Ich ließ die Arme sinken, trat einen Schritt zurück und blickte abwechselnd von Gray zu Howard und zurück. »Was hat das zu bedeuten? War er denn ... nicht von meinem Vater?«

»Doch«, sagte Howard. »Aber das, was in ihm stand, spielte keinerlei Rolle. Ich hätte dir jedes Wort auswendig aufsagen können. Und du wußtest es ja auch schon.«

»Aber trotzdem -«

»Du hast dich gewundert, daß alles so leicht und unbürokratisch ging«, fiel mir Gray ins Wort. »Daß wir dir so vorbehaltlos vertrauten. Aber das konnten wir nicht, Robert.«

»Du hast erlebt, wie raffiniert unsere Feinde sind«, fuhr Howard fort. Plötzlich kamen sie mir wie zwei Männer vor, die eine genau einstudierte Szene ablaufen ließen und sich die Stichworte zuwarfen wie zwei Artisten die Bälle. Wahrscheinlich war es so.

»Wir mußten sichergehen«, sagte Gray nun wieder. »Dieser Brief war eine Art Prüfung, Robert.«

»Eine ... Prüfung?«

Howard nickte. »Nur der echte Robert Craven hätte das Siegel erbrechen und ihn lesen können. Dein Vater hat ihn vor langer Zeit mit einem magischen Siegel verschlossen.«

Einen Moment lang schwieg ich. Ein ungutes, seltsames Gefühl breitete sich in mir aus. »Und wenn ich ... nicht der Richtige gewesen wäre?« fragte ich.

Howard sah mich ernst an. »Dann wärst du jetzt tot«, sagte er ruhig.

Ein eisiger Schrecken durchfuhr mich. Für Sekunden saugte sich mein Blick an dem zerkrümelten Häufchen weißer Asche fest, die von dem Brief übrig geblieben war. Vielleicht hätte ich jetzt Zorn auf Gray und Howard verspüren müssen, aber ich tat es nicht.

»Komm«, sagte Howard. »Setzen wir uns, Robert. Es gibt viel zu bereden.«

Es war Abend geworden, aber wir redeten noch immer. Das heißt, Howard und Gray redeten, und ich hörte mit wachsender Verwirrung zu und stellte nur hier und da eine Zwischenfrage, wenn ich etwas nicht verstand oder auch einfach nicht glauben wollte (was mehr als einmal vorkam). Im Grunde erzählten sie mir nichts Neues - das meiste von dem, was ich hörte, hatte ich bereits aus dem Munde meines Vaters vernommen oder mir auch zusammengereimt. Und trotzdem erschreckten mich ihre Worte zutiefst, berichteten sie mir doch in allen Einzelheiten von einer Welt, die praktisch neben der unseren existierte und tausendmal rätselhafter und gefahrvoller war, als ich mir noch vor wenigen Wochen hätte träumen lassen. Howard, Gray und mein Vater waren keineswegs die einzigen Menschen, die den Kampf gegen die Mächte der Finsternis aufgenommen hatten. Sie hatten zahllose Verbündete überall auf der Welt, aber auch ihre Gegner waren mächtig, so mächtig, daß meine Hoffnung, den Kampf gegen sie jemals gewinnen zu können, fast mit jedem Wort Howards oder Grays mehr dahinschmolz.

Ich erfuhr alles: die Geschichte Salems und seiner Zerstörung, das Schicksal der Flüchtlinge, die sich in Jerusalems Lot niedergelassen und ein Jahrhundert später von ihrem Schicksal eingeholt worden waren, die Geschichte meines Vaters, der das drohende Unheil vorausgesehen und vergeblich gewarnt hatte. Vor den Fenstern brach wieder die Dämmerung herein, und Rowlf brachte uns ein warmes Essen und reichlich Kaffee, um den ich ihn bat, um meine Augen am Zufallen zu hindern, aber Gray und Howard redeten weiter, sachlich, beinahe kühl, ohne irgend etwas zu beschönigen oder zu dramatisieren. Und endlich kam Howard zu dem einzigen Punkt im Brief meines Vaters, den ich nicht begriffen hatte.

»Du siehst, Robert«, sagte er ernst, »dir bleibt gar keine andere Wahl, als dich deinen Feinden zu stellen. Und das Vermächtnis deines Vaters anzunehmen.«

»Und wenn ich nicht will?« fragte ich zögernd.

Seltsamerweise lächelte Howard auf meine Frage. »Dein Wunsch ist nur zu verständlich, Robert«, sagte er. »Auch ich habe mich gewehrt, als ich zum ersten Mal von Hexerei und Schwarzer Magie erfuhr. Als mir die Existenz Chtulhus und der GROSSEN ALTEN bewußt wurde, habe ich mich wochenlang verkrochen und versucht, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Aber das geht nicht. So leid es mir tut, Robert, es ist unmöglich.« Er lächelte. »Dein Vater hat es einmal sehr treffend ausgedrückt: Es ist, als ob man in heißen Teer faßt. Man kann sich noch so lange die Hände reiben, es bleiben Schmutz und ein übler Geruch zurück. Du wirst es nie wieder los.«