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»Oder verdursten«, fügte ich finster hinzu. »Das geht wesentlich schneller.«

Howard sah mich an, als käme ihm diese Möglichkeit erst jetzt zu Bewußtsein. Für einen Moment wurde sein Gesicht grau vor Schrecken, dann hatte er sich wieder in der Gewalt. »Unsinn«, sagte er. »Irgend etwas wird geschehen. Ich spüre es. Dieses Haus ist ... kein normales Haus.«

Diesmal widersprach ich nicht. Ich hatte schon im ersten Moment, nachdem ich das Haus betreten hatte, gespürt, daß mit diesem Gebäude etwas nicht so war, wie es sein sollte. Es war mehr als ein Haus aus Stein und Holz; weit mehr.

Rowlf hatte wie bisher schweigend zugehört. Jetzt drehte er sich mit einem gegrunzten Fluch herum, schlurfte zum Kamin und beugte sich hinein, soweit es die prasselnden Flammen zuließen.

»Was wird das?« fragte ich neugierig.

Rowlf beugte sich noch weiter vor, schob einen brennenden Scheit mit dem Fuß beiseite und verdrehte sich halbwegs den Hals. Als er sich wieder aufrichtete, war sein Gesicht schwarz von Ruß. Kleine glühende Funken schwelten in seiner Hose.

»Geht auch nich«, murmelte er. »Is zu eng zum rausklettern. Außerdem scheint obn'n Gitter zu sein oder so was.«

Ich sah ihn einen Moment enttäuscht an, dann wandte ich mich wieder an Howard. »Was ist mit den Büchern?« fragte ich.

Howard runzelte die Stirn. »Den Büchern?«

»Du sagtest, es wären ... magische Bücher.«

Howard nickte. »Sicher, aber ...« Wieder sprach er nicht zu Ende, sondern seufzte nur, drehte sich aber nach einigen Sekunden doch herum und ging zu einem der Regale hinüber.

Er erreichte es nie.

Ich weiß nicht, was es war. Ich wußte nicht einmal, wie es geschah. Es war eine Vision, aber eine Vision von solcher Wucht, wie ich sie niemals zuvor erlebt hatte. Plötzlich, von einem Lidzucken zum nächsten, war ich nicht mehr in der Bibliothek. Der Raum um mich herum war groß, womöglich größer als die Bibliothek, eine graue, von Feuchtigkeit und Kälte durchdrungene Höhle, erfüllt von Dunkelheit und vereinzelten schmalen Streifen grauen, irgendwie krank wirkenden Lichts. Ich war nicht mehr ich. Mein Körper war der eines Fremden - oder genauer gesagt einer Fremden; einer jungen Frau oder eines Mädchens, die zusammengekauert in einer Ecke des Raumes hockte. Ihr/mein Blick war starr auf die gegenüberliegende Wand gerichtet, auf die zerschmetterte Tür darin und das formlose, grausige Ding, das wogend und zitternd durch diese Tür hereinkam ...

Dann war es vorbei, mit der gleichen, unbeschreiblichen Wucht, wie es mich überkommen hatte, ein Gefühl, als würde mein Körper oder vielleicht auch nur mein Geist von einer unsichtbaren geistigen Faust getroffen und bis ins Mark erschüttert. Ich taumelte, griff haltsuchend um mich und fiel auf die Knie. Wie durch einen grauen, wogenden Schleier sah ich Howards Gesicht vor mir.

»Robert!« Howards Stimme klang besorgt und erschrocken zugleich. »Mein Gott, Junge - was ist mit dir?«

In meinem Kopf drehte sich alles. Ich stöhnte, schob seine Hand kraftlos beiseite und versuchte aufzustehen, aber ich war für einen Moment so schwach, daß mir Rowlf dabei helfen mußte.

»Was ist... passiert?« fragte ich verwirrt. Die Bibliothek drehte sich um mich herum, und Howards Gesicht führte einen irren Veitstanz vor mir auf. Für einen Moment drohte ich abermals das Gleichgewicht zu verlieren.

»Du weißt es nicht?«

»Ich ...« Vergeblich versuchte ich, mich zu erinnern. Die Bilder, die ich gesehen hatte, erschienen mir sinnlos. Aber sie waren trotzdem von einer erschreckenden Realität gewesen. »Ich weiß nicht«, murmelte ich. »Ich hatte eine ... eine Art Vision.«

»Vision?« Howard runzelte die Stirn und sah mich scharf an. »Du hast geschrien, Robert.«

»Geschrien?«

Er nickte. Sein Gesicht war sehr ernst. »Ja. Du hast... einen Namen gerufen. Du erinnerst dich nicht?«

Ich versuchte es, aber alles, woran ich mich erinnerte, war das Bild dieses Kellerraumes. Das Mädchen. Das Mädchen, das ich gewesen war ... Und ein unbeschreibliches Ding, das ...

Ich stöhnte. Das Bild verschwamm, wenn ich mich genauer zu besinnen suchte. Ich hatte einen flüchtigen Eindruck von Schwärze, wogender, glitzernder und irgendwie lebender Schwärze, von schleimigem Fleisch und glitzerndem Horn. Einer Art Papageienschnabel. Aber es verblaßte, sobald ich danach zu greifen versuchte. Es war, als wollte etwas verhindern, daß ich das Ungeheuer beschreiben konnte. Aber ich wußte, daß ich es gesehen hatte. Und das wenige, woran ich mich erinnerte, war schrecklich genug.

»Charles«, sagte Howard. »Du hast ein paarmal ganz deutlich ›Charles‹ gerufen. Erinnerst du dich nicht?«

»Ich erinnere mich an nichts«, murmelte ich. »Nur an ...«

Eine rasche, wellenförmige Bewegung ging durch den Raum. Vielleicht war es auch keine wirkliche Bewegung. Es war ein rasches, blitzschnelles Zucken und Wogen, eine Erscheinung, als bögen sich Wände und Decke in sich, veränderten sich Winkel und Geraden auf unheimliche, mit menschlichen Sinnen kaum mehr erkennbare Weise ... Für einen ganz kurzen Moment streifte der Atem einer fremden, unbeschreiblich anderen Welt das Gebäude; einer Welt, von der wir nur Schatten und verzerrte Trugbilder wahrzunehmen imstande waren. Und für einen ganz kurzen Moment war es, als lebe das Haus.

Dann war es vorbei.

Howard sprang mit einem unterdrückten Keuchen zurück. »Was war das?« fragte er. »Das ...«

Wieder wand sich der Boden, und wieder war die Bewegung nicht wirklich zu sehen oder zu fühlen, als spiele sich das alles in einer Dimension - oder auf einer Ebene des Seins - ab, die jenseits der für Menschen zugänglichen war.

Howard erbleichte. Sein Mund öffnete sich, aber er brachte kein Wort hervor, sondern starrte nur aus ungläubig geweiteten Augen an mir vorbei auf den Tisch.

Langsam, mit einem Gefühl widersinniger, aber immer stärker werdender Angst, drehte ich mich herum. Ich wußte nicht, was ich erwartete - vielleicht das Ungeheuer aus meiner Vision, vielleicht einen Boldwinn, der auf bizarre Weise wieder zum Leben erwacht war ... Es war nichts von allem, nichts von dem formlosen Schrecken, mit dem meine Phantasie die Leere hinter mir füllte. Der Anblick war beinahe banal. Und doch ließ er ein ungläubiges Stöhnen über meine Lippen kommen.

Unser Eßgeschirr stand noch so da, wie wir es nach der überhastet abgebrochenen Mahlzeit zurückgelassen hatten. Aber es begann sich auf unheimliche Weise zu verändern!

Die Reste der Speisen auf den Tellern vermoderten. Weißlicher Schimmelpilz bildete sich, wuchs zu wäßrigen, krebsartig verquollenen Gebilden heran und zerfiel, so schnell, daß es aussah, als lebe die wabbelige Masse; auf dem Silber der Schalen und Schüsseln erschienen Flecken, das Porzellan wurde grau und unansehnlich und begann zu reißen. Das Tischtuch zerfiel zu grauem Staub. Es war, als liefe die Zeit vor unseren Augen hunderttausendmal schneller ab als normal ...

Und die Veränderung beschränkte sich nicht nur auf den Tisch. Wie Kreise, die ein ins Wasser geworfener Stein zieht, breitete sie sich im Raum aus. Der Teppich vermoderte unter unseren Füßen. Die Bücherregale begannen zu knirschen, die Bände zitterten, zerfielen in Sekundenschnelle zu grauem Staub und kleinen, rissigen Fetzen. Mit einem hörbaren Knirschen zerbrach die Kette des Kronleuchters. Howard riß mich im letzten Moment zurück, als das zentnerschwere Gebilde aus Glas und geschliffenem Kristall auf den Tisch herabfiel und ihn zerschmetterte.