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»Erinnere dich!« drängte Howard. »Es ... es kann sein, daß unser Leben davon abhängt. Und das zahlloser anderer!«

Ich versuchte es, aber es ging nicht. Die Erinnerung bereitete mir fast körperliche Schmerzen.

»Sieh mich an!« verlangte Howard. Instinktiv gehorchte ich.

Sein Blick war starr in den meinen gerichtet, und seine Augen ... irgend etwas war mit seinen Augen. Ihr Blick war durchdringend und hart, so fordernd und gnadenlos, wie ich es noch niemals zuvor erlebt hatte. »Sieh mich an!« sagte er noch einmal, und diesmal war jedes einzelne seiner Worte wie ein Peitschenhieb, der mich bis ins Mark erschütterte. Irgendwo in einer verlorenen, frei gebliebenen Ecke meines Bewußtseins regte sich der Gedanke, daß Howard dabei war, mich zu hypnotisieren oder etwas Ähnliches mit mir zu tun, aber ich war unfähig, mich dagegen zu wehren.

»Erinnere dich!« befahl Howard. »Erinnere dich, was geschehen ist. Du ...«

Die Bilder kamen mit der Wucht eines Fausthiebes. Ich taumelte zurück, fiel gegen die Wand und krümmte mich wie unter Schmerzen. Rowlf wollte hinzuspringen, aber Howard scheuchte ihn mit einer raschen, beinahe herrischen Geste zurück. So wie draußen am Tor war ich mir meiner Umgebung weiterhin voll bewußt, aber gleichzeitig sah ich Bilder, die mir fremd und unverständlich waren und mich trotzdem mit einem unbeschreiblichen Grauen erfüllten. Ich war weiter ich, aber gleichzeitig auch eine andere - das Mädchen, in dessen Körper ich schon einmal gewesen war. Meine Umgebung hatte sich verändert. Ich war noch immer in der Kammer, aber über den feuchten Stein und die Wände krochen kleine, dunkle Dinge, die ich nicht genau erkennen konnte. Ein weißer Stoff wie Seide umgab meinen (meinen?) Körper, und hinter dem wehenden weißen Vorhang bewegte sich etwas Gewaltiges, Dunkles. Bizarre Laute drangen an mein Ohr, dann hörte ich meine eigene Stimme Worte sprechen, die nicht von mir stammten.

»Geht weg«, keuchte ich. »Geht... doch ... weg. Ich ... Charles. Charles, hilf mir. Ich ...«

Der weiße Schleier zerriß. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte ich das Wesen in aller Deutlichkeit erkennen.

Howard und Rowlf fingen mich auf, als ich das Bewußtsein verlor.

Ich konnte nicht sehr lange bewußtlos gewesen sein. Auf meiner Zunge lag ein übler Geschmack, als ich erwachte. Rowlfs mächtige Pranken stützten mich, und Howard kniete vor mir und fächelte mir mit einem Taschentuch frische Luft ins Gesicht.

»Nun?« fragte er. »Alles wieder in Ordnung?«

Das Lächeln auf seinen Zügen war falsch und vermochte die Sorge, die er empfand, nicht zu überspielen. Auf seiner Stirn perlte Schweiß, obwohl es hier drinnen dunkel und kalt wie in einem Grab war.

»Nein«, knurrte ich. »Ich mag es nämlich nicht, wenn ich ohne mein Wissen hypnotisiert werde.«

Howard lächelte flüchtig. »Es war keine Hypnose«, sagte er.

Ich ignorierte seine Antwort. »Hast du wenigstens erfahren, was du wissen wolltest?« fragte ich scharf.

»Nein«, entgegnete Howard. Er seufzte, richtete sich auf und half mir, ebenfalls auf die Füße zu kommen. Automatisch wanderte mein Blick zur Tür. Draußen war es dunkel geworden. Von der felsigen Ebene war nicht mehr als ein vager Schatten geblieben, über dem sich ein gewaltiger, sternenübersäter Himmel spannte. Der Blick reichte unglaublich weit.

»Es ist noch Zeit«, sagte Howard hastig, als er meinen Blick bemerkte, »aber nicht mehr viel. Erinnerst du dich an das, was du gesehen hast?«

Ich schwieg einen Moment, schüttelte den Kopf und sah ihn hilflos an. In meinem Kopf wirbelte alles durcheinander. Ich vermochte nicht zu unterscheiden, was Wirklichkeit, was Erinnerung und was schlichtweg Einbildung war.

»Du hast ein paarmal einen Namen gerufen«, sagte Howard vorsichtig. »Jenny ... erinnerst du dich?«

Jenny ... Das Wort ließ irgend etwas in mir klingen, aber es war wie die Erinnerung an einen Traum, der nur noch in Bruchstücken vorhanden ist. Und doch ...

»Sie ist ... in Gefahr«, murmelte ich.

In Howards Augen blitzte es auf. »In Gefahr?« wiederholte er. »Wer ist sie? Wo ist sie?«

»Wir müssen ihr helfen«, wiederholte ich. Die Worte kamen schleppend, langsam - und ohne mein Zutun. Langsam, und ohne wirklich zu wissen, warum, drehte ich mich von der Tür weg und deutete auf die halb eingebrochene Treppe, die zur Galerie hinaufführte.

»Sie ist ... dort«, murmelte ich. »Dort oben. Wir ... müssen ihr helfen.«

Howard tauschte einen raschen, undeutbaren Blick mit Rowlf, runzelte die Stirn und trat auf mich zu, aber ich drückte seine Hand beiseite und setzte mich, stockend und mit abgehackten, mühsamen Schritten, in Bewegung. »Robert!« sagte Howard erschrocken. »Was hast du vor?«

Ich antwortete nicht. Es war wie die Male zuvor: Das Wissen war einfach in mir, ohne den geringsten Zweifel - ich wußte einfach, daß Jenny dort oben war, und daß es wichtig war, sie zu retten, nicht nur für sie, sondern für uns alle und vielleicht für die ganze Welt.

Am Fuße der Treppe blieb ich stehen. Von den breiten, in einem sanft geschwungenen, weit ausladenden Bogen nach oben führenden Marmorstufen war nur noch ein Skelett geblieben, aber für einen geschickten Kletterer - der ich war - mußte es möglich sein, trotzdem nach oben zu gelangen.

Howard und Rowlf waren mir gefolgt, blieben aber gehorsam zurück, als ich eine abwehrende Bewegung mit der Linken machte. »Bleibt hier«, murmelte ich. »Ich weiß nicht, ob das Ding das Gewicht von zwei Männern trägt.«

Genaugenommen wußte ich noch nicht einmal, ob es das Gewicht eines Mannes tragen würde. Ich zögerte noch einen Moment, streckte die Hand nach dem zerfallenen Rest des Geländers aus und setzte mit klopfendem Herzen den Fuß auf die unterste Stufe.

Die gesamte Treppe bebte unter meinem Gewicht, als ich hinaufzusteigen begann. Kleinere Steine und Kalk lösten sich aus dem zerborstenen Steinskelett und rieselten zu Boden, und als ich die Hälfte hinter mir hatte, brach ein mannsgroßes Stück aus den geborstenen Marmorstufen und donnerte zu Boden. Ich blieb stehen, erstarrte für einen Moment und ging erst nach Sekunden weiter. Mein Herz raste. Ich war in Schweiß gebadet, und die Angst wurde langsam übermächtig. Ein einziger Fehltritt, eine einzige Stufe, die meinem Gewicht nicht mehr gewachsen war, und es war aus. Aber ich konnte nicht umkehren. Die lautlose Stimme in meinem Inneren trieb mich weiter. Ich mußte dort hinauf, ganz egal, wie.

Stunden schienen vergangen zu sein, ehe ich die Galerie erreichte. Ich blieb stehen, wartete, bis mein Herz aufgehört hatte, bis zum Zerspringen zu schlagen, und drehte mich langsam herum. Howard und Rowlf standen noch immer am Fuß der Treppe, aber sie waren ein Stück zurückgewichen, um nicht von einem herabstürzenden Trümmerstück getroffen zu werden.

»Ihr könnt kommen«, sagte ich. »Aber seid vorsichtig. Die Treppe ist verdammt unsicher.«

Howard und Rowlf wechselten ein paar Worte miteinander, die ich nicht verstand, dann ging Rowlf langsam los. Die gesamte Treppe schien in ihren Grundfesten zu erzittern, als er die ersten Stufen hinaufging.

Er kam nicht sehr weit. Ein tiefes, mahlendes Stöhnen lief durch das Skelett der Treppe. Kopfgroße Steinbrocken lösten sich und zersprangen mit peitschendem Knall auf dem Marmorfußboden, dann kippte ein drei Meter langes Stück des Geländers nach innen und stürzte herab. Rowlf schrie erschrocken auf, warf sich mit einer verzweifelten Bewegung nach hinten und wich dem tödlichen Steinregen im letzten Augenblick aus. Die Treppe bebte weiter. Mehr und mehr Brocken lösten sich, ganze Stufen kippten nach vorne und verschwanden donnernd in der Tiefe, dann entstand, weniger als eine Handbreit vor meinen Füßen, ein langer, gezackter Riß.