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Carradines Schrei hatte nichts Menschliches mehr. Der Anblick schien den hypnotischen Bann, der sich um seinen Geist gelegt hatte, vollends zu zerbrechen. Seine Finger zerrten an dem weißen Kokon, der den Körper umgab, zerrissen das empfindliche Gewebe.

»Carradine!« Charles' Stimme überschlug sich fast. »Hören Sie auf!«

Carradine reagierte nicht. Wie ein Tobsüchtiger zerrte und riß er an dem Spinngewebe, zerfetzte in Sekunden den Kokon, an dem die Tiere stundenlang gearbeitet haben mußten.

»Hören Sie auf!« schrie Charles. »Sie machen alles zunichte, Sie Narr!« Er stürzte vor, brach rücksichtslos durch den Vorhang aus Spinnseide und versuchte, Carradine zurückzuzerren.

Carradine wirbelte herum. Sein verunstaltetes Gesicht zuckte vor Schmerz und Grauen. Mit einer blitzschnellen, kraftvollen Bewegung zuckten seine Hände vor, krallten sich um Charles' Kehle und drückten zu. Charles keuchte. Verzweifelt warf er sich zurück, zerrte einen Moment an Carradines Handgelenken und begann mit den Fäusten auf sein Gesicht einzuschlagen. Ich sah, wie Carradines Körper unter den Schlägen erzitterte. Seine Augenbrauen und Lippen platzten auf, Blut floß über sein Gesicht und verwandelte es in eine furchteinflößende Fratze.

Aber Angst und Verzweiflung schienen Carradine übermenschliche Kräfte zu geben. Seine Hände krallten sich nur noch fester um Charles' Kehle und drückten fest zu. Allmählich begannen Charles' Schläge an Kraft zu verlieren.

Der GROSSE ALTE stieß ein fast klägliches Zischen aus. Seine Tentakel peitschten. Der Blick seines einzigen, flammendroten Auges wanderte unentschlossen zwischen mir und den Kämpfenden hin und her. Ich spürte, wie das Band aus magischer Energie, das sich zwischen ihm und dem hilflos daliegenden Mädchen gespannt hatte, dünner wurde und nahezu zerriß. Und ich spürte auch, daß das Ungeheuer für einen Moment abgelenkt und verwirrt war.

Mit einer entschlossenen Bewegung riß ich meinen Degen hoch, umklammerte ihn mit beiden Händen und stieß mit aller Macht zu. Das Ungeheuer wirbelte herum. Seine Tentakeln peitschten nach meinem Gesicht.

Der Schmerz war unbeschreiblich. Ein weißglühender Dolch schien sich rief in meinen Schädel zu bohren. Ich schrie, taumelte, von der Wucht meiner eigenen Bewegung nach vorne gerissen, weiter auf das Monster zu. Der Degen blitzte auf, zuckte auf das lidlose Auge des Ungeheuers herab - und bohrte sich bis zum Griff hinein!

Das Ungeheuer begann zu schreien, hoch, spitz und schrill wie ein verwundetes Tier. Seine Tentakeln schlugen in irrsinniger Raserei, aber die Hiebe waren nicht mehr gezielt und nur noch ein Ausdruck seines Schmerzes. Sein Körper begann zu zucken und beben. Das flammende Auge war erloschen. Schwärzliche, zähe Flüssigkeit sickerte aus dem zerfransten Loch, das einmal sein Auge gewesen war.

Aber davon bemerkte ich kaum noch etwas. Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit verlor ich das Bewußtsein.

Ich war nicht mehr allein, als ich erwachte. Sonnenschein kitzelte mein Gesicht, und irgendwo in meiner Nähe waren Stimmen; Stimmen, die sich gedämpft unterhielten, ohne daß ich die Worte verstanden hätte. Ich versuchte die Augen zu öffnen, blinzelte und preßte erschrocken die Lider wieder zusammen, als grelles Sonnenlicht wie eine dünne Nadel in meine Augen stach. In meinem Kopf nistete ein dumpfer, pochender Schmerz.

»Er kommt zu sich.«

Es dauerte einen Moment, bis ich die Stimme erkannte. Und es dauerte noch länger, bis mir klar wurde, daß ich nicht mehr in der unterirdischen Höhle war. Ich lag auf einer weichen, kühlen Unterlage, und von irgendwoher kam ein wohltuender kühler Hauch.

Zum zweiten Mal öffnete ich die Augen, und diesmal gelang es mir, sie offen zu halten.

Ich lag auf einem Bett in einem kleinen, behaglich eingerichteten Zimmer. Das Fenster stand weit offen und ließ das Licht der Morgensonne und den Gesang von Vögeln herein.

Howard saß neben mir auf der Bettkante. »Nun?« fragte er leise. »Wieder unter den Lebenden?«

»Unter den ...« Ich versuchte mich aufzurichten, aber Howard stieß mich kurzerhand in die Kissen zurück. »Was ... ist passiert?« fragte ich stockend.

Howards Lächeln erlosch schlagartig. »Das hätte ich gerne von dir erfahren«, sagte er. »Du erinnerst dich nicht?«

Einen Moment lang versuchte ich es, aber hinter meiner Stirn wirbelten die Gedanken durcheinander. »Die Höhle«, murmelte ich. »Wo ist ...«

»Höhle?« Howard runzelte die Stirn. »Was für eine Höhle? Wir haben dich hier gefunden«, sagte er mit einer Geste, die das ganze Zimmer einschloß. »Du hast geschrien und wie ein Wilder um dich geschlagen. Was ist bloß passiert?«

Ich antwortete nicht gleich. Der Schmerz hinter meiner Stirn sank langsam zu einem dumpfen, mehr störenden als wirklich schmerzhaften Pochen herab, und im gleichen Maße, in dem er nachließ, kehrten meine Erinnerungen zurück.

Rowlf erschien neben dem Bett und reichte mir schweigend ein Glas. Ich sah, wie sein Blick flackerte, als er in mein Gesicht sah, schenkte dem aber keine Beachtung. »Ich war in einer Art... Höhle«, murmelte ich nach einem ersten, fast gierigen Zug. »Ich ... ich weiß, daß es sich verrückt anhört, aber ...«

Howard lächelte. »Nach allem, was passiert ist, hört sich wohl nichts mehr verrückt an, fürchte ich.«

»Nach allem, was ...« Ich erschrak. »Wo sind wir? Was ist mit...«

Howard drückte mich erneut mit sanfter Gewalt auf das Bett zurück. »Es ist alles in Ordnung«, sagte er. »Wir sind wieder in der Gegenwart. Es hat aufgehört, kurz nachdem du verschwunden warst.«

»Aber wieso?«

»Ich hatte gehofft, die Antwort darauf von dir zu bekommen«, murmelte Howard. »Ich weiß nicht, was geschah - es hat einfach aufgehört.« Er schnippte mit den Fingern. »Einfach so.«

»Einfach ...« Um ein Haar hätte ich gelacht. »Wenn das einfach war ...« Ich seufzte, trank einen weiteren Schluck und begann zu erzählen. Howard hörte mir schweigend zu, ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen, aber der Ausdruck auf seinen Zügen verdüsterte sich mit jedem Wort, das er hörte.

»Das ist alles«, sagte ich, als ich zu Ende berichtet hatte. »Ich verlor das Bewußtsein. Das nächste, woran ich mich erinnere, ist dieses Zimmer. Ich ... ich habe keine Ahnung, wo die Höhle geblieben ist, und der ...«

»Der GROSSE ALTE«, sagte er, als ich nicht weitersprach. Sein Gesicht war ausdruckslos, aber seine Stimme bebte vor unterdrückter Furcht. »Sprich es ruhig aus. Du weißt es doch sowieso.«

»Ich ... habe es befürchtet«, flüsterte ich. Selbst die Erinnerung an das scheußliche Monster ließ etwas in mir sich zusammenkrampfen.

»Du warst in ihrer Welt«, murmelte Howard. »Es war ein Teil ihrer Welt, den du gesehen hast. Und dieses Mädchen ...«

»Jenny.«

Howard nickte traurig. »Nach allem, was du erzählt hast, fürchte ich, daß sie nicht mehr am Leben sein wird.«

Ich antwortete nicht. Ich hatte sie niemals wirklich zu Gesicht bekommen und kannte eigentlich nicht mehr als ihren Namen. Und trotzdem erschreckte mich der Gedanke zutiefst.

Howard schien das zu spüren. »Es ist besser für sie, wenn sie tot ist«, sagte er sanft. »Niemand überlebt es, mit dem Bewußtsein eines GROSSEN ALTEN verbunden zu sein. Und selbst wenn sie lebt, ist sie in ihrer Zeit gefangen. Du kannst nichts mehr für sie tun.« Er seufzte, schloß einen Moment die Augen und fuhr dann mit veränderter Stimme fort: »Das erklärt alles.«

»Was erklärt was?« fragte ich betont.

Howard sah mich erneut auf diese sonderbare Art an, schüttelte ein paarmal den Kopf und stand auf. Ich hörte ihn eine Zeitlang hinter mir hantieren, dann kam er zurück und setzte sich wieder auf die Bettkante. In den Händen hielt er einen Spiegel. »Sieh hinein«, sagte er.