»Das soll im November ab und zu vorkommen«, erwiderte Bensen spitz. »Was ist los mit dir? Hast du Angst vor einem Schnupfen?« Er lachte. »Phillips zahlt jedem von uns fünfzig Pfund, Junge. Dafür kann man sich auch mal nasse Füße holen, oder?«
»Darum geht es nicht«, murmelte Mahoney. »Ich ...« Er brach ab, seufzte hörbar und schüttelte noch einmal den Kopf. »Mir gefällt die ganze Sache einfach nicht, das ist alles.«
Norris wollte etwas sagen, aber Bensen hielt ihn mit einem raschen, warnenden Blick zurück. Er wußte besser, wie er Mahoney zu behandeln hatte. »Mir auch nicht«, sagte er so sanft, daß Mahoney überrascht aufsah. »Mir wäre auch wohler, wenn wir ein Boot und eine vernünftige Ausrüstung hätten, aber dafür bleibt uns keine Zeit. Dieser Phillips wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen, wenn er erst einmal weiß, daß das Schiff noch hier liegt, und ich will das Wrack untersuchen, ehe er es kann.«
Mahoney nickte, aber die Bewegung war kaum wahrnehmbar, und Bensen spürte, daß er noch lange nicht überzeugt war. Sie hatten mehr als nur einmal darüber gesprochen. Eigentlich hatte es kaum ein anderes Thema gegeben, seit dieser sonderbare Mister Phillips und seine beiden noch sonderbareren Begleiter in die Stadt gekommen waren und angefangen hatten, Leute anzuheuern. Sie suchten ein Schiff. Ein Schiff, das vor gut drei Monaten hier vor der Küste gesunken sein sollte. Und nach dem Aufwand, den sie trieben - und der Unmenge von Geld, die sie unter die Leute streuten -, mußte es an Bord dieses Schiffes etwas ziemlich Wertvolles geben. Norris, Mahoney und er waren nicht die einzigen, die auf eigene Faust nach dem Wrack suchten. Aber Norris war der einzige, der das Glück gehabt hatte, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein und zu sehen, wie das vom Sturm aufgepeitschte Meer einen Teil des Wracks freigegeben hatte.
»Wenn es wirklich da unten liegt, kommen wir sowieso nicht ran«, murmelte Mahoney. »Das Wasser ist hier ziemlich tief, und die Strömung ...«
»Versuch es wenigstens, Floyd«, unterbrach ihn Bensen. »Selbst wenn du nicht rankommst, können wir wenigstens die Prämie kassieren, oder?«
Mahoney nickte widerstrebend. Phillips hatte eine Belohnung von hundertfünfzig Pfund allein für den ausgesetzt, der das Schiff fand. Das Jahreseinkommen eines Arbeiters, dachte Bensen, nur für eine Information. Das Wrack mußte mehr als nur einen Schatz bergen ...
»Na gut«, sagte er schließlich. »Ich probier's. Aber bildet euch bloß nicht ein, daß ich da runtergehe. Ich schwimme raus und sehe mich um, und das ist alles. Ich bin vielleicht ein bißchen blöd, aber nicht lebensmüde.«
»Das verlangt ja auch keiner«, sagte Norris rasch. »Wenn wir die genaue Lage wissen, besorgen wir uns ein Boot und eine anständige Ausrüstung. Dann sehen wir weiter.«
Mahoney bedachte ihn mit einem undeutbaren Blick, zog eine Grimasse und begann sich umständlich auszuziehen. Auch Bensen und Norris streiften rasch ihre Kleider ab und verstauten alles in den wasserdichten Rucksäcken, die sie mitgebracht hatten. Wenig später standen sie alle drei - nackt und in der Novemberkälte erbärmlich frierend - nebeneinander an der Flutlinie. Ein eisiger Hauch wehte ihnen von der Wasseroberfläche aus entgegen. Bensen schauderte. Plötzlich war er gar nicht so sicher, daß es wirklich eine gute Idee gewesen war, auf eigene Faust nach dem Wrack zu suchen.
»Viel Zeit haben wir nicht«, sagte Norris plötzlich. Bensen sah verärgert auf, schwieg aber, als er in die Richtung blickte, in die Norris' Hand deutete. Über dem Horizont ballten sich schon wieder schwarze, drohende Gewitterwolken zusammen. Nichts Besonderes in dieser Jahreszeit, dachte Bensen, und vielleicht harmlos. Aber es konnte genausogut eine Fortsetzung des Sturmes bedeuten. Schaudernd dachte er an das Unwetter, das die ganze Nacht hindurch über der Küste getobt hatte. Wenn es wieder losging und sie dann noch im Wasser oder auch nur hier unten am Strand waren ...
Er vertrieb den Gedanken, drehte sich zu Mahoney um und half ihm, das Seil um die Hüften zu schlingen und sicher zu verknoten.
Das Wasser war eisig. Bensen hatte das Gefühl, daß seine Beine entlang einer dünnen, rasch höher steigenden Linie absterben würden, als sie tiefer ins Wasser hineingingen. Durchscheinender grauer Dunst kräuselte sich von der Wasseroberfläche empor, und wie um es ihnen besonders schwer zu machen, lebte nun plötzlich der Wind auch wieder auf und schleuderte ihnen Kälte und brennendes Salzwasser in die Gesichter.
Norris und er blieben stehen, als sie bis zu den Hüften im Wasser standen, während Mahoney, rasch und ohne sich auch nur noch einmal umzublicken, weiterging. Bensen umklammerte mit steifen Fingern das Seil und sah zu, wie Mahoney weiterging, erst bis zur Brust, dann bis zu den Schultern und dann bis zum Hals im Wasser verschwand. Schließlich blieb auch er stehen und drehte sich, jetzt bereits Wasser tretend, noch einmal zu ihnen um.
»Haltet bloß das Seil fest«, sagte er. »Wenn ich euch ein Zeichen gebe, dann zieht ihr mich raus, klar?«
»Klar!« schrie Bensen zurück. Instinktiv zog er das Seil straffer, bis er Widerstand fühlte. Die Strömungen an diesem Teil der Küste waren berüchtigt. Selbst ein so guter Schwimmer wie Mahoney konnte es nicht riskieren, ungesichert ins Wasser zu gehen.
Mahoney drehte sich wieder um, machte ein paar kräftige Züge und tauchte. Bensen ließ das Tau vorsichtig durch die Finger gleiten, während Mahoney unter Wasser weiter auf die Riffbarriere zuschwamm, die ein paar hundert Fuß vor der eigentlichen Küste unter der trügerisch glatten Oberfläche des Meeres lauerte. Es dauerte endlos, bis sein Kopf wieder durch den grauen Spiegel brach und er Luft holte, um erneut zu tauchen.
Bensen sah besorgt zum Himmel. Die Gewitterfront war nicht näher gekommen, aber er wußte, wie unberechenbar das Wetter gerade in diesem Teil der schottischen Küstenlandschaft war - was jetzt noch wie ein weit entferntes Herbstgewitter aussah, konnte in einer halben Stunde als tobender Orkan hiersein und das Meer in einen kochenden Hexenkessel verwandeln.
Das Seil in seinen Händen zuckte. Bensen schrak aus seinen Gedanken hoch, tauschte einen raschen, alarmierten Blick mit Norris und zog das Tau straff.
Mahoney tauchte wieder auf, winkte mit beiden Armen und atmete ein paarmal tief durch. Seine Lippen waren blau vor Kälte. »Es ist hier«, rief er. »Fast genau unter mir.«
»Bist du sicher?« rief Bensen zurück.
»Ja!« Es war nicht nur die Kälte, die Mahoneys Stimme zittern ließ. »Ich kann es ganz genau sehen - es liegt auf der Seite. Die Reling ist keine zwei Meter unter Wasser. Gebt ein bißchen mehr Leine - ich gehe noch mal runter!« Ehe Bensen und Norris noch etwas sagen konnten, war er erneut getaucht.
Diesmal blieb er lange unter Wasser, länger als zwei Minuten, schätzte Bensen. Das Seil zuckte in seinen Händen, und ein paarmal glaubte er, einen Schatten unter der Wasseroberfläche zu sehen, war sich aber nicht sicher.
Schließlich, als Bensen schon begann, sich Sorgen zu machen, tauchte Mahoney wieder auf. »Es ist hier«, rief er noch einmal. »Aber da ist noch etwas, Lennard. Ich ...«
Eine grauweiße Fontäne schoß hinter ihm aus dem Meer. Mahoneys erschrockener Schrei ging im Toben und Gischten des Wassers unter. Ein mörderischer Ruck ging durch das Seil in Bensens Händen. Mahoney versank so schnell, als würde er von irgend etwas unter Wasser gezogen.
Eine Sekunde später tauchte er keuchend wieder auf, warf sich auf den Rücken und begann aus Leibeskräften zu schreien. »Holt mich raus!« brüllte er. »Um Himmels willen, zieht mich raus!« Sein Gesicht war verzerrt. Bensen sah, wie sich sein Mund zu einem lautlosen Schrei öffnete, dann zerrte irgend etwas mit furchtbarer Kraft an dem Seil und riß ihn nach vorne, gleichzeitig verschwand Mahoney wieder. Weiße Gischt und Luftblasen markierten die Stelle, an der er versunken war.