Bensen stemmte sich mit aller Gewalt gegen das Seil, während Norris am anderen Ende des Taus zerrte, mit dem Mahoney gesichert war.
Trotzdem wurden sie weiter und weiter ins Meer hineingezogen. Bensen spreizte die Beine, warf sich zurück und spannte die Muskeln, aber seine Füße fanden auf dem lockeren Sand keinen Halt; er stolperte, fiel nach vorne und taumelte Schritt für Schritt tiefer ins Wasser hinein. Neben ihm schrie Norris vor Schrecken und Angst, aber das hörte er kaum.
Dort, wo Mahoney versunken war, schien das Meer zu kochen. Weißer Schaum brach sprudelnd an die Oberfläche, dann erschien Mahoneys Hand, zu einer Kralle verkrampft, als suche er verzweifelt nach Halt. Etwas Grünes, Formloses griff plötzlich nach ihr, ringelte sich wie eine Peitschenschnur um sein Handgelenk und zerrte den Arm mit einem brutalen Ruck wieder unter die Wasseroberfläche.
Der Anblick gab Bensen neue Kraft. Mit einer verzweifelten Anstrengung warf er sich zurück und zerrte und zog mit aller Gewalt am Seil. »Zieh, Fred!« keuchte er. »Verdammt, zieh ihn raus! Das muß ein Oktopus sein oder sonstwas!«
Es war ein bizarrer, unwirklicher Kampf. Bensen wußte hinterher nicht mehr, wie lange er gedauert hatte - Sekunden, Minuten, vielleicht auch Stunden. Das Meer kochte und schäumte dicht vor ihnen, und ein paarmal tauchte Mahoneys Kopf aus dem Wasser auf, umschlungen von etwas Grünem und Großem, das mit schleimigen Tentakeln nach seinen Augen und seinem Mund tastete. Bensen spürte, wie seine Hände erneut aufrissen und wieder zu bluten begannen, aber er mißachtete den Schmerz und stemmte sich weiter gegen den mörderischen Druck, der auf dem Seil lastete.
Und dann war es vorbei. Bensen spürte, wie sich das Seil noch einmal in seinen Händen spannte, ihn mit mörderischer Kraft ins Meer hineinzuzerren versuchte - und riß!
Sein erschrockener Schrei erstickte, als er das Gleichgewicht verlor und nach hinten fiel. Er tauchte unter, schluckte Wasser und schlug einen Moment in blinder Panik um sich, ehe es ihm gelang, den Kopf über die Wasseroberfläche zu bekommen und Luft zu holen. Er keuchte, fand wieder festen Grund unter den Füßen und spie Wasser und bittere Galle aus. Für einen Moment begannen sich das Meer, die Küste und der Himmel um ihn zu drehen und einen irren Veitstanz aufzuführen. Die Kälte kroch weiter in seinen Körper herein und lähmte ihn, und ...
Und dann berührte etwas seinen rechten Fuß!
Bensen schrie gellend auf. Die Berührung war schleimig und weich, aber trotzdem von ungeheurer Kraft, und es war das Ding, das Mahoney umgebracht hatte!
Mit einer verzweifelten Bewegung riß Bensen seinen Fuß von dem schleimigen weichen Etwas weg, warf sich nach vorne und schwamm los, so schnell er konnte. Wieder schluckte er Wasser und hustete, aber er schwamm trotzdem weiter, kraulte, so schnell wie noch nie zuvor in seinem Leben. Die letzten zehn, fünfzehn Yards legte er auf Händen und Knien kriechend zurück.
Norris und er erreichten das Ufer nahezu gleichzeitig. Minutenlang blieben sie beide liegen, keuchend und bis zum Zusammenbruch erschöpft, unfähig, auch nur noch einen Schritt zu tun oder sich zu rühren. In Bensens Ohren rauschte das Blut. Er zitterte vor Kälte, und sein Herz hämmerte, als wollte es jeden Moment zerspringen.
Norris wälzte sich mühsam auf den Rücken, stemmte sich ächzend in eine halb sitzende Position hoch und zog die Knie an den Körper. Er zitterte. Seine Zähne schlugen vor Kälte klappernd aufeinander, »Mein Gott, Lennard«, stammelte er. »Er ... er ist tot. Mahoney ist tot. Er ist... er ist ertrunken.«
Auch Bensen richtete sich wieder auf. Die Kälte war qualvoll, und der Wind schnitt wie mit unsichtbaren Messern in seine Haut, aber schlimmer als die äußere Kälte war das eisige Gefühl, das sich langsam in seinem Inneren auszubreiten begann. Mühsam hob er die Hand, rieb sich das Salzwasser aus den Augen und atmete rasselnd ein.
»Nein«, sagte er, ganz leise, aber sehr entschieden. »Er ist nicht ertrunken, Fred.«
Norris sah ihn verstört an, schluckte ein paarmal und sah wieder auf das Meer hinaus. Das Wasser hatte aufgehört zu brodeln. Der Ozean lag trügerisch ruhig da, wie ein großes, glattes Grab.
»Er ist nicht ertrunken, Fred«, sagte Bensen noch einmal. Wieder schwieg er einen Moment, ballte die Faust und blickte dahin, wo Mahoney versunken war. »Irgend etwas hat ihn umgebracht«, sagte er und ballte die Faust. »Und ich schwöre dir, daß ich herausfinden werde, was.«
Norris' Blick flackerte. Sein Gesicht war so weiß wie der Strand, auf dem sie hockten, und sein Atem ging noch immer schnell und unregelmäßig. »Und ... wie?« fragte er.
»Phillips«, knurrte Bensen. »Dieser Phillips wird es wissen.« Er stand auf, stutzte einen Moment und bückte sich wieder. Ein dünner, grauer Faden, wie ein Stück schon halb verfaulter Seetang, ringelte sich um seinen rechten Fußknöchel, genau da, wo er die Berührung gespürt hatte. Bensen schauderte, als der Anblick noch einmal die Erinnerung an das schleimig-weiche Gefühl in ihm erweckte. Hastig bückte er sich, streifte das Ding ab und rieb sich angeekelt die Finger im Sand sauber. Dann richtete er sich auf.
»Komm«, sagte er. »Gehen wir, ehe der Sturm losbricht. Ich habe ein paar Fragen an diesen Mister Phillips.«
Nachts kamen noch immer die Alpträume. Es war stets der gleiche Traum, immer die gleiche, schreckliche Folge von Szenen und Bildern, ohne daß ich mich hinterher konkret daran erinnern konnte, was genau ich geträumt hatte, aber ich erwachte fast regelmäßig schreiend und schweißgebadet, und ein paarmal - jedenfalls erzählte mir Howard dies später - mußten er und Rowlf mich mit aller Kraft halten, weil ich um mich schlug und mich selbst zu verletzen drohte. Ich konnte mich nie an den Traum erinnern, nur an Bruchstücke: ein Mann spielte darin eine Rolle, ein Mann mit Bart und einer weißen, in der Art eines Blitzes gezackten Haarsträhne, die über seiner linken Augenbraue begann und sich fast bis zum Scheitel hinaufzog, und andere, schlimme Wesen, die ich nicht genau zu erkennen vermochte: Wesen aus Schwärze und gestaltgewordener Furcht, peitschenden Tentakeln und furchtbaren Papageienschnäbeln, von denen Blut tropfte. Und Stimmen. Stimmen, die in einer Sprache redeten, die ich nicht verstand, und die älter war als die menschliche Rasse, vielleicht älter als das Leben überhaupt. Und vielleicht war es auch gut, daß ich mich nie an Einzelheiten erinnern konnte. Vielleicht wäre mein Verstand endgültig zerbrochen, hätte ich mich genau erinnert. Es war schon so schlimm genug - die Bilder, die ich nicht vergessen hatte, waren verschleiert und blaß, wie hinter Nebel oder treibendem, dichtem Dunst verborgen: Landschaften, vielleicht auch Städte, vorwiegend in Schwarz und anderen, düsteren Farben, für die es in der menschlichen Sprache keine Worte gab, bizarr verdrehte und verzerrte Dinge, schwarze Seen aus Teer oder flüssigem Pech, an deren Ufern sich namenlose Scheußlichkeiten suhlten ...
Ich schüttelte die Bilder mühsam ab, trat ans Fenster und atmete tief ein. Es war kalt, und die Luft roch nach Schnee und Salzwasser. Einen Moment lang blieb ich reglos am geöffneten Fenster stehen, atmete tief durch und genoß das Gefühl prickelnder Kälte, das sich in meiner Kehle breitmachte. Es war angenehm, dicht an der Grenze zum Schmerz, aber die Kälte vertrieb - wenigstens für einige kurze Augenblicke - auch das dumpfe Gefühl aus meinem Schädel und ließ mich wieder klar denken. Fast eine Minute lang blieb ich reglos so stehen, atmete tief und bewußt durch und blickte auf die Straße hinab. Es war fast Mittag, und die Straße war voller Menschen; Menschen, die geschäftig ihrer Wege gingen und die Dinge tun, die Menschen nun einmal tun, an einem ganz normalen Novembertag. Das Bild war von einer sonderbaren Friedfertigkeit; wären die dunklen Gewitterwolken nicht gewesen, die wie ein unregelmäßiger schwarzer Strich über dem Horizont im Osten brodelten und ab und zu ein leises, drohendes Grollen hören ließen, hätte man es fast idyllisch nennen können. Eine Zeitlang blickte ich schweigend auf die Straße hinab, dann trat ich zurück, schloß das Fenster und drehte mich zu Howard um.