»Sir?« Desjani stand neben ihm und sah ihn besorgt an. »Ist alles in Ordnung, Sir?«
Er fragte sich, wie lange er wohl schweigend dagestanden hatte, und benötigte noch einen Moment, um die Gefühle in den Griff zu bekommen, die auf ihn einstürmten. »Ja, ja, danke, Captain Desjani.« Er konzentrierte sich wieder auf die Matrosin vor ihm. »Und Ihnen danke ich, dass Sie mir von Jasmin Holaran erzählt haben. Sie war eine gute Matrosin.«
»Sie sagte, Sie hätten ihr das Leben gerettet. Ihr und vielen anderen«, ergänzte die ältere Frau hastig. »Dank den lebenden Sternen für Geary, sagte sie immer. Hätten Sie sich nicht geopfert, dann wäre sie bei Grendel gestorben und hätte so viel versäumt. Ihr Ehemann war zu der Zeit zwar schon tot, und ihre Kinder waren alle zur Flotte gegangen.«
»Ihr Ehemann?« Er war sich sicher, dass Holoran nicht verheiratet gewesen war, als sie auf der Merlon diente. Durch sein Handeln hatte sie überleben und ein langes, erfülltes Leben führen können, ein Leben mit einem Mann und Kindern.
»Sir?« Desjani meldete sich wieder zu Wort, diesmal etwas drängender als gerade eben.
Offenbar hatte er wieder schweigend dagestanden, während ihm all diese Dinge durch den Kopf gingen. »Ja, es ist alles in Ordnung.« Er atmete tief durch, da er das Gefühl hatte, als wäre ihm eine große Last von den Schultern genommen worden, die ihm bislang so gar nicht bewusst gewesen war. »Ich habe etwas bewirkt«, flüsterte er so leise, dass nur Desjani ihn hören konnte.
»Natürlich haben Sie das.«
»Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen«, versicherte Geary der ehemaligen Gefangenen. »Dass ich einem Menschen begegne, der noch jemanden von meiner Crew gekannt hat.« Überrascht stellte er fest, dass er das völlig ernst meinte. Der Augenblick, vor dem er sich seit seinem Erwachen aus dem Kälteschlaf gefürchtet hatte, nahm ihm in Wahrheit etwas von dem Schmerz, den er wegen seiner verlorenen Vergangenheit mit sich herumtrug. »Ich werde keinen von ihnen jemals vergessen, und durch Sie habe ich jetzt die Verbindung zu einem meiner Besatzungsmitglieder zurückgewonnen.«
Die Frau strahlte ihn freudig an. »Das ist das Mindeste, was ich tun kann, Sir.«
»Es ist etwas sehr Großes, was Sie damit getan haben«, ließ er sie wissen. »Für mich. Daher danke ich Ihnen aus tiefstem Herzen.« Geary nickte Desjani zu. »Es ist alles in Ordnung«, versicherte er ihr.
»Ja, das ist es«, meinte sie lächelnd. »Wenn man Kriegsgefangene befreit, weckt man damit jede Menge Geister.«
»Ja, aber wenn wir diesen Geistern ins Gesicht sehen, dann bringen sie uns vielleicht auch Frieden.« Nachdem er sich noch einmal bei der älteren Frau bedankt hatte, ging er weiter und sprach mit anderen Befreiten. Das hohle Gefühl in seinem Inneren hatte sich unterdessen in angenehme Wärme verwandelt.
Die hielt jedoch nicht lange an. Als er mit Desjani den Shuttlehangar verließ, wurde er von der Brücke gerufen.
»Captain Geary?«, ertönte die Stimme der Ablauf-Wachhabenden, die blechern aus dem Komm-Pad klang. »Es scheint da ein Problem mit den ehemaligen Kriegsgefangenen zu geben.«
So viel zu den Augenblicken der Entspannung. »Was ist denn los?«
»Die ranghöchsten Senioroffiziere bestehen darauf, auf die Dauntless gebracht und in Schutzhaft genommen zu werden.« Nach dem Tonfall zu urteilen, konnte die Wachhabende selbst nicht glauben, was sie da sagte.
Einen Moment lang sah er nur stumm auf sein Komm-Pad. »Die bitten mich darum, festgenommen zu werden?«
»Ja, Sir. Möchten Sie mit ihnen reden, Sir?«
Eigentlich nicht. Trotzdem aktivierte er die am nächsten gelegene große Komm-Einheit und winkte Desjani zu sich. »Kommen Sie, das sollten Sie sich auch anhören.«
Geary sah zwei Frauen und einen Mann. Eine der Frauen und der Mann trugen die Abzeichen eines Flottencaptains auf Zivilkleidung, die die Syndiks ihnen überlassen hatten. Die andere Frau hatte den Rang eines Colonels der Marines inne. Alle drei sahen bereits älter aus, was Geary vor die Frage stellte, wie lange sie bereits Gefangene der Syndiks gewesen waren. »Ich bin Captain Geary. Was kann ich für Sie tun?«
Es dauerte einen Moment, ehe eine Antwort kam, da die drei ihn so anstarrten, wie es inzwischen normal war, auch wenn er sich niemals daran würde gewöhnen können. Schließlich erwiderte die Frau: »Wir bitten darum, so schnell wie möglich in Schutzhaft genommen zu werden, Captain Geary.«
»Wieso? Wir haben Sie gerade aus der Gefangenschaft geholt, warum sollten Sie sich freiwillig in eine Zelle auf einem Schiff der Flotte begeben?«
»Wir haben Feinde in den Reihen unserer Mitgefangenen«, sagte der Captain. »Wegen unseres Dienstrangs und unserer Dienstzeit hatten wir das Sagen über die Gefangenen. Einige Leute waren sehr unzufrieden mit den Entscheidungen, die wir im Lauf der Jahrzehnte getroffen haben.«
Geary sah zu Desjani, die die drei Offiziere skeptisch betrachtete. »Ich bin Captain Desjani, befehlshabender Offizier der Dauntless. Welche Entscheidungen haben zu solchen Problemen geführt, dass Sie auf mein Schiff kommen wollen?«
Die drei sahen sich kurz an, dann antwortete der Coloneclass="underline" »Kommandoentscheidungen. Wir waren gezwungen, die Konsequenzen aller Entscheidungen in Erwägung zu ziehen, die die Gefangenen betrafen.«
Selbst Geary war längst klar, dass die drei keine Einzelheiten verlauten lassen wollten. Desjani beugte sich vor. »Tun Sie, was die drei wollen. Nehmen Sie sie fest. Wir sollten sie unter Kontrolle haben, bis wir wissen, was da gelaufen ist.«
Er nickte, ließ die Geste aber so wirken, als gelte sie den drei ehemaligen Kriegsgefangenen. »Also gut. Wir müssen uns mit Ihrer Situation noch eingehender befassen, aber bis dahin komme ich Ihrer Bitte nach.« Er sah sich die Daten neben dem Bild an. »Sie sind alle auf der Leviathan? Dann werde ich Captain Tulev befehlen, dass er Sie in Ihren Quartieren unter Arrest stellt.«
»Sir, wir wären lieber Ihrer direkten Kontrolle unterstellt.«
»Captain Tulev ist ein zuverlässiger und vertrauenswürdiger Offizier dieser Flotte. Sie sind bei ihm nicht schlechter aufgehoben als bei mir.«
Wieder tauschten die drei vielsagende Blicke aus. »Wir benötigen Wachen, Captain Geary.«
Das wurde ja immer befremdlicher. »Captain Tulev wird den Befehl erhalten, Marines vor Ihren Quartieren zu postieren. Können Sie mir sonst noch etwas sagen?«
Nach kurzem Zögern antwortete die eine Frau: »Wir bereiten einen umfassenden Bericht über unser Handeln vor.«
»Danke, den würde ich gern lesen. Geary Ende.« Er beendete die Verbindung, dann rief er Tulev. »Captain, da spielt sich etwas ganz Eigenartiges ab.«
Tulev hörte sich an, was Geary zu berichten hatte, ohne dass er eine Miene verzog. »Ich werde Wachen aufstellen, Captain Geary. Ich wurde bereits von anderen ehemaligen Gefangenen angesprochen, die mich aufgefordert haben, ihnen zu sagen, wo die drei Senioroffiziere untergebracht sind.«
»Aufgefordert?«
»Ja, und deshalb hatte ich bereits beschlossen, diese Offiziere isoliert einzuquartieren und dem Grund für diese offene Feindseligkeit auf die Spur zu kommen.«
Desjani mischte sich ein: »Haben diese Leute irgendeinen Grund für ihre Forderungen genannt?«
»Nein, sie schweigen sich darüber aus. Allerdings handelt es sich bei ihnen durchweg um Offiziere. Aber ich werde dieser Sache schon auf den Grund gehen. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich muss die Marines für den Wachdienst anfordern.«
Nachdem das Gespräch beendet war, sah Geary Desjani an. »Irgendeine Ahnung, was da los sein könnte?«
Desjani verzog das Gesicht. »Das eine oder andere kommt mir schon in den Sinn. Die drei fürchten um ihr Leben, also muss es etwas viel Schwerwiegenderes sein als bloße Meinungsverschiedenheiten über bestimmte Entscheidungen.«